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Wien Zehntausende demonstrieren gegen Lockdown und Impfpflicht

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Am 20. November demonstrierten unter anderem Rechtsextreme und Hooligans gegen den Lockdown und die Impfpflicht in Österreich. (Quelle: Alle Fotos vom Autor)

Die Großdemonstration gegen die österreichische Corona-Politik am Samstag in Wien ist mit großer Sorge erwartet worden. Nicht ohne Grund: Mordaufrufe gegen österreichische Politiker:innen kursierten auf Telegram. Zwei Offiziere des österreichischen Heeres und die FPÖ-nahe Soldaten-Gewerkschaft FGÖ riefen auf, sich dem Protest anzuschließen. Die rechtsextreme Identitäre Bewegung wies ihre Follower darauf hin, dass es keine Straftat sei, Waffen mitzubringen. Es wurden Steckbriefe mit den Gesichtern kritischer Journalist:innen verteilt. Und der Anlass der Demonstration hatte Sprengkraft: Ab Montag (22.11.) verhängt die österreichische Regierung einen Lockdown. Ab Februar kommt die Impfpflicht – für Verschwörungsgläubige sind das apokalyptische Vorstellungen. Zum befürchteten „Tag-X-Szenario“ ist es zwar nicht gekommen — wohl aber zu einer beängstigend erfolgreichen Raumnahme von gewaltbereiten Rechtsextremisten.

Nur ein Beispiel für zahlreiche NS-Relativierungen.

Dabei war die Protestbewegung in Österreich schon fast zum Erliegen gekommen, der letzte Aufmarsch von Impfgegner:innen in Wien brachte keine 2000 Leute auf die Straße. Am Samstag sind rund 38 000 Menschen dem Aufruf von FPÖ-Chef Herbert Kickl gefolgt — fast viermal so viele wie die von der Wiener Polizei erwarteten 10.000 Teilnehmenden. Der Großteil der Demonstrierenden sammelte sich mittags auf dem symbolträchtigen Heldenplatz, nahe dem Sitz der österreichischen Regierung. Das Bild, das sich hier bot, erinnerte an die schlimmsten Zeiten der Querdenken-Proteste 2020: Esoterische Trommler ziehen an vermummten Fußball-Hools vorbei. Rechte Influencer laufen streamend durch die Menge, es wehen Nationalflaggen (sogar eine der inzwischen seltener zu sehenden Reichsflaggen) und auf den Schultern zahlreicher Demonstrierender kleben Davidsterne mit der Aufschrift „Ungeimpft“. Der österreichische Ableger von Querdenken heißt nach internem Streit inzwischen zwar „Fairdenken“, doch was gedacht wird, ähnelt sich: Der in Österreich bekannte Verschwörungsideologe Hannes Brechja wirbt auf der Bühne inbrünstig dafür, Corona mit dem Pferdeentwurmungsmittel Ivermectin zu behandeln. Die Volksseele kocht, die Masse skandiert: „Widerstand“.

Demonstrationsteilnehmer mit strategischer Vermummung, die ausgerechnet Mund und Nase freilässt.

Unter Applaus wird eine Delegation Polizist:innen begrüßt — nach Informationen der österreichischen Nachrichtenagentur APA soll es sich hierbei um Beamte aus Deutschland gehandelt haben. Auch Aktivist:innen der Berliner Querdenken-Szene sind gekommen, zum Beispiel Michael Bründel und Susanne Kühler von der „Freedom Parade“ und Vertreter:innen der sogenannten „Freien Linke“. Massiv geworben für die Demonstration in Wien hatte Alexander Ehrlich: Der Unternehmer organisiert Busfahrten zu den Demonstrationen der Bewegung. Bei den Demonstrationen in Wien kann man ihn inzwischen zu den Stammgästen aus Deutschland zählen. Inzwischen lockt das Protest-Marketing auch internationale Gäste an: Auf dem Heldenplatz war auch eine Delegation italienischer Verschwörungsgläubiger zugegen.

Mehr noch als in Deutschland, wo vor allen Dingen geschäftstüchtige Verschwörungsunternehmer wie der Reichsbürger-Freund Michael Ballweg das Heft in der Hand hielten, waren in Österreich von Anfang an etablierte rechte Kräfte federführend bei den Protesten: Martin Rutter zum Beispiel, einer der wichtigsten Corona-Aktivisten Österreichs, ist Gründer der Splitterpartei BZÖ. Einen der bisher größten Aufmarsch im Februar dieses Jahres hat der rechtsextreme Gottfried Küssel angeführt. Küssel war unter anderem Mitglied der militanten Neonazi-Gruppe „Aktion neue Rechte“ und Gründer der „Volkstreuen Außerparlamentarischen Opposition“, die sich die Neugründung der NSDAP zum Ziel gesetzt hatte. Seine „Corona-Querfront“ ist eine der aktivsten Gruppen in der österreichischen Corona-Protestbewegung.

Martin Sellner, Kopf hinter der rechtsextremen „Identitären Bewegung“.

Aufgerufen zu der Demonstration am Samstag hatte nicht zuletzt FPÖ-Chef Herbert Kickl. Angeführt wurde der Demonstrationszug von einer Gruppe vermummter Fußball-Hools, die ein Transparent der Identitären Bewegung vor sich hertrugen. Von der Spitze des Demo-Zuges heraus gab es immer wieder Drohungen und Angriffe auf Journalist:innen, ohne ernstzunehmendes Eingreifen der Polizeikräfte. Später am Abend ist auch die Polizei von den Rechtsextremen angegriffen worden, es kam zu Drohungen gegenüber jüdischen Menschen. Zu dem befürchteten „Tag X“ ist es zwar nicht gekommen. Aber die verschwörungsideologischen Proteste gewinnen, zumindest in Österreich, wieder an Aufwind — zur Freude gewaltbereiter Rechtsextremisten.

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