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Ivermectin Warum Impfgegner:innen Pferdeentwurmer essen

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Aufs falsche Pferd gesetzt: Es gibt keine wissenschaftlichen Belege für die Wirksamkeit von Ivermectin gegen Covid-19.
Aufs falsche Pferd gesetzt: Es gibt keine wissenschaftlichen Belege für die Wirksamkeit von Ivermectin gegen Covid-19. (Quelle: Durvet)

Die klebrige Paste ist weder appetitlich, noch leicht zu konsumieren: Manche vergleichen sie mit Kleister, andere mit Vaseline. Gegen den bitteren Geschmack tauschen Nutzer:innen in Foren Tipps aus: Mit Konfitüre, Bananen oder auf einem Sandwich schmecke die Paste angeblich besser. Es geht um Ivermectin oder, wie das Medikament in der Szene bezeichnet wird, „Moo Juice“ (zu Deutsch: Muh-Saft): ein Anti-Wurmmittel für Tiere, vor allem Pferde. Doch für eine wachsende Community von Impfgegner:innen und Verschwörungsfans ist das Arzneimittel ein vielversprechender Hoffnungsträger im Kampf gegen Covid-19 – ohne wissenschaftliche Beweise.

Dieser Trend ist vor allem in den USA zu sehen, dort schnellt die Zahl der Rezepte für Ivermectin in die Höhe. Inzwischen wird es 88.000 Mal pro Woche verschrieben – im Vergleich zu 3.600 Rezepte pro Woche vor der Pandemie, wie die US-Gesundheitsbehörde „Centers for Disease Control and Prevention“ berichtet. Laut Google-Trends steigen Suchergebnisse nach dem Arzneimittel seit Juli 2021 rasant. Doch wie kam es dazu, dass immer mehr Menschen Pferdeentwurmer als Mittel gegen das Coronavirus zu sich nehmen?

Ivermectin wurde 1975 erfunden, seit 1981 wird es vor allem für Tiere wie Pferde, Kühe und Schafe verwendet. Seit 1988 ist das Medikament in vielen Ländern auch für Menschen zugelassen: In kleinen Dosen als Tabletten oder Creme kann es gegen Parasiten wie Krätze oder Läuse und Krankheiten wie Onchozerkiasis, auch „Flussblindheit“ bekannt, durchaus wirksam sein. So verdiente sich Ivermectin schnell den Status eines „Wundermittels“. Die Erfinder Satoshi Ōmura und William Campbell gewannen dafür 2015 den Nobelpreis für Physiologie oder Medizin.

Dann kam 2020 die Covid-Pandemie – und damit die verzweifelte Suche nach einem schnellen und vor allem kosteneffektiven Heilmittel gegen das neuartige Coronavirus. Im November 2020 veröffentlichten Wissenschaftler:innen um Dr. Ahmed Elgazzar an der Benha Universität in Ägypten eine Preprint-Studie über die Wirksamkeit und Sicherheit von Ivermectin gegen Covid-19 auf der Plattform „Research Square“. Die Studie, die noch keinen Peer-Review durchgegangen war, behauptete, in randomisierten Tests reduziere Ivermectin die Sterblichkeitsrate von Covid-Patient:innen um 90 Prozent. Doch im Juli 2021 wurde die Studie zurückgezogen und von „Research Square“ gelöscht. Der Grund: Plagiatsvorwürfe, Ungereimtheiten in den Datensätzen und nicht näher definierte „ethische Bedenken“. Die Hoffnung platzte.

Elgazzars Studie wurde inzwischen mehrfach diskreditiert (siehe Guardian) und eine im Juni 2021 veröffentlichte Peer-Reviewed-Studie im Journal „Clinical Infectious Diseases“ kam zu dem Schluss, dass Ivermectin keine effektive Behandlung für Covid-Patient:innen sei. In einem systematischen Review der Universität Würzburg in Zusammenarbeit mit weiteren deutschen Universitätskliniken im Rahmen des „Nationalen Forschungsnetzwerks der Universitätsmedizin zu Covid-19“ fanden Forscher:innen keine Hinweise darauf, dass Ivermectin den Zustand von Erkrankten verbessert oder die Zahl der Todesfälle reduziert.

Die Behauptung, Ivermectin sei auch gegen das Coronavirus ein „Wundermittel“, bleibt allerdings hartnäckig. Und dazu tragen rechtspopulistische Journalist:innen und verschwörungsideologische Impfgegner:innen bei. Fernsehmoderator:innen wie Laura Ingraham, Sean Hannity und Tucker Carlson beim einflussreichen Sender „Fox News“, der immer wieder Fake News verbreitet, haben Ivermectin als effektives Heilmittel gegen Covid-19 angepriesen. In Australien setzt sich der umstrittene Abgeordnete Craig Kelly, Chef der United Australia Party, für Ivermectin ein: Kelly wurde schon mehrfach kritisiert, nachdem er Falschmeldungen und Verschwörungserzählugnen auf Social Media in Bezug auf die Covid-Pandemie und die Klimakrise verbreitete. Seine Facebook- und Instagram-Seiten wurden von den Plattformen inzwischen gelöscht. In Deutschland macht der Ex-AfDler und baden-württembergische Landtagsabgeordnete Heinrich Fiechtner Werbung für Ivermectin auf seinem Telegram-Kanal. Und die FPÖ-nahe Zeitung Wochenblick in Österreich titelte im Mai 2021: „Ivermectin: Hochwirksam gegen Corona, aber von WHO & Mainstream bekämpft“.

Eine treibende Kraft hinter dem Ivermectin-Boom sind aber „America’s Frontline Doctors“, eine Gruppe, die 2020 für Schlagzeilen sorgte, als ihre Sprecherin Stella Immanuel behauptete, das Anti-Malaria-Medikament Hydroxychloroquin sei ein gutes Heilmittel gegen Covid-19. Immanuel war bereits ein bekanntes Gesicht in der Pseudomedizin-Blase: Sie hat in der Vergangenheit behauptet, dass Eierstockzysten von Geschlechtsverkehr mit Dämonen kämen (siehe Daily Beast). Dass nun Hydroxychloroquin eine effektive Behandlung gegen das Coronavirus sei, verkündete sie mit ihrer Gruppe, ganz in weißen Laborkitteln bekleidet, im Juli 2020 auf einer schlecht besuchten Pressekonferenz vor dem Supreme Court in Washington DC.

Ein Video von der Pressekonferenz ging schnell viral und wurde sogar vom damaligen Präsident Trump retweetet, bevor Social-Media-Plattformen es wegen Falschbehauptungen löschten. Denn die Wirksamkeit von Hydroxychloroquin gegen Covid-19 konnte mehrfach nicht nachgewiesen werden (siehe New England Journal of Medicine). „America’s Frontline Doctors“ sorgten Anfang 2021 erneut für Schlagzeilen, nachdem ihre Gründerin, die Impfgegnerin Simone Gold, festgenommen und wegen gewaltsamen Hausfriedensbruchs und „ordnungswidrigen Verhaltens“ angeklagt wurde. Der Auslöser: Gold soll am „Sturm auf das Kapitol“ im Januar 2021 beteiligt gewesen sein (siehe Belltower.News). Die Vorwürfe bestreitet sie.

Nun suchen „America’s Frontline Doctors“ schon wieder das Rampenlicht – und setzen auf Ivermectin. Doch das dürfte auch finanzielle Gründe haben: Auf der Webseite „SpeakWithAnMD“ (zu Deutsch: „Mit einem/r Arzt/Ärztin sprechen“), auf der das Logo der Gruppe prominent platziert ist, können Nutzer:innen einen „Beratungstermin“ für 90 US-Dollar buchen. Potentielle Patient:innen müssen ein Formular ausfüllen, auf dem sie angeben müssen, welches Medikament sie bevorzugen. Die drei Optionen: Ivermectin, Hydroxychloroquin oder „nicht sicher“. Über einer Partner-Apotheke liefere „SpeakWithAnMD“ Rezepte für Ivermectin schon am selben Tag, heißt es.

Das hat zu einem regelrechten Hype um Ivermectin geführt – und das Medikament ist inzwischen bei vielen Apotheken und Herstellern vergriffen. Auch bei „SpeakWithAnMD“ gibt es mittlerweile lange Wartezeiten und Lieferengpässe. In Facebook-Gruppen und auf Subreddits, die zum Teil zehntausende Mitglieder haben, tauschen Menschen Tipps, beraten sich gegenseitig, suchen verzweifelt nach einer Quelle für das Arzneimittel – und werden bei Online-Versand-Firmen für Viehhaltung oder Tierläden fündig. Auf Amazon ist beispielsweise „Ivermectin Paste Dewormer“ mit Apfelgeschmack für Pferde zu finden, hergestellt von der Tiergesundheitsfirma „Durvet“. Auch dieses Angebot ist mittlerweile ausverkauft, so hoch ist die Nachfrage.

Doch solche Tierarzneiprodukte sind, wenig überraschend, nicht für Menschen geeignet. Sie enthalten eine vielfache Dosis des Wirkstoffs, manchmal bis zu zehn oder 15 Mal so hoch. Für Menschen kann das gefährlich sein: Zu den Nebenwirkungen gehören laut dem US-amerikanischen „Food & Drug Administration“ (FDA) Übelkeit, Hautausschlag, Muskelschmerzen, Schwellungen im Gesicht oder der Glieder, Leber-Verletzungen und Durchfall.

Der Ivermectin-Hype hat durchaus fatale Folgen: Phil Valentine, ein konservativer Radiomoderator aus Nashville, Tennessee und bekannter Impfgegner, musste im August 2021 nach einer Covid-Erkrankung im Krankenhaus behandelt werden (siehe NBC News). Er fing an, Ivermectin zu nehmen – erfolglos. Dann appellierte er an seine Hörer:innen, sich doch zu impfen. Valentine starb wenig später auf der Intensivstation. Er wurde 61. Ebenfalls im August 2021 erkrankte ein Polizist im Bundesstaat Georgia an Covid-19, der sich zuvor auf Social Media als Impfgegner positioniert und das Anti-Wurmmittel genommen hatte (siehe Independent). Er verstarb mit 57 Jahren.

Die Behörden schlagen nun Alarm. So twitterte die FDA: „You are not a horse. You are not a cow. Seriously, y’all. Stop it“. Das Gesundheitsamt in Mississippi erteilte eine Warnung an Dienstleister im Gesundheitssektor, dass immer mehr Menschen Covid-19 mit Ivermectin selbst behandeln wollen (siehe ABC12). Das habe dazu geführt, dass beim „Mississippi Poison Control Center“ inzwischen rund 70 Prozent der Anrufe im Zentrum mit dem Anti-Wurmmittel zu tun hätten. 85 Prozent der Anrufenden hätten milde Symptome gehabt, nachdem sie Ivermectin genommen hätten, so das Gesundheitsamt. In Mississippi mussten bislang zwei Menschen im Krankenhaus behandelt werden.

In einem Fall in Ohio verweigerten Ärzt:innen einem Covid-Patienten auf der Intensivstation Ivermectin, das die Frau des Patienten besorgt und mitgebracht hatte. Die Frau verklagte daraufhin das Krankenhaus und bekam Recht: Nun müssen Ärzt:innen den Patienten mit einem Arzneimittel behandeln, dessen Wirksamkeit wissenschaftlich nicht nachgewiesen werden konnte (siehe Washington Post). Der Patient in Ohio ist weiterhin auf der Intensivstation und musste beatmet werden, mehr als anderthalb Monate nach seiner Ansteckung. In den USA sind bereits 640.000 Menschen an Covid-19 gestorben. Dort ist ein Ende der Pandemie noch lange nicht in Sicht.

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