Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Identitäre Bewegung Aus den sozialen Netzwerken auf die Straße

Von|
Die Identitäre Bewegung marschiert vor Schloss Bellevue auf (Quelle: Screenshot Facebook)

„Die Jugend ohne Migrationshintergrund – vergessen aber nicht wehrlos“

Eine unvollständige Auswahl von Aktionen der IB von Sommer 2015 bis Mai 2016:

Im Juni 2015 besetzen Aktivisten der IB Deutschland kurzzeitig Balkone der SPD Zentralen in Hamburg und Berlin und entrollen Banner mit Hassbotschaften (Spiegel Online).Am 1. August 2015 errichten sie ein Protestcamp vor dem Sitz des deutschen Bundespräsidenten, Schloss Bellevue, in Berlin .Im Vorlauf zur Landtagswahl im März 2016 mauern „Aktivist_innen“ in Sachsen-Anhalt den Zugang zu Wahlbüros zu um zu verhindern, dass Migrant_innen an einer Probewahl teilnehmen können (Zeit Online).Eine Duisburger Schule, die den Titel „Schule ohne Rassismus – Schule mit Courage“ trägt wird im April 2016 mit rassistischen Plakaten vollgeklebt (Der Westen).Am 18. April gibt es einen Übergriff der Identitären Bewegung Berlin-Brandenburg auf den Sitz der Amadeu Antonio Stiftung in Berlin. Deren Eingang wird in einer nächtlichen Aktion mit Plakaten hetzerischen und verleumderischen Inhalts beklebt (ngn).Im Mai verteilt die IB unter anderem in Potsdam Pfefferspray an in ihren Augen „deutsche Frauen“ zur Verteidigung gegen „muslimische Männer“ (PNN). 

Vom Aktionismus zur Ideologie

Mit ihren Aktionen erfahren sie viel Aufmerksamkeit und schlagen so Brücken zu ihrer menschenverachtenden Ideologie. Diese fußt auf dem Konzept des Ethnopluralismus. Dieser „Rassismus ohne Rassen“ funktioniert ähnlich wie die „Ich bin ja kein Nazi, aber“ Attitüde. Die IB gibt vor, mit Rassismus nichts zu tun zu haben, schmückt ihre Aufkleber auch gerne mit Gesichtern, die von Neurechten als  „fremdvölkisch“ bezeichnet werden. Doch sollen die vermeintlich anderen Völker bleiben, wo sie sind. Schließlich ist die „Vermischung“ genau das, wovor sich die „Identitären“ am meisten fürchten. Doch die Selbstdarstellung, dass das Hochleben der eigenen, völkischen Identität ohne eine Abwertung des Anderen einhergeht, darf bezweifelt werden. Schließlich funktioniert eine Volksgemeinschaft als Konstrukt nur durch die Abgrenzung von anderen, und der Hass auf Migrationsbewegungen ist in der rechten Szene und auch bei den „Identitären“ allgegenwärtig. Oder wie ist das Verteilen von Pfefferspray zum Einsatz gegen  angebliche „muslimische Aggressoren“ zu verstehen? 

Erinnerung an die Shoah als „Schuld-Knechtschaft der Deutschen“

Auch zum Thema Judenfeindschaft hat die Identitäre Bewegung Deutschlands etwas zu sagen: Die von Deutschen und ihren Helfer_innen begangenen Verbrechen gegen jüdische Menschen im Nationalsozialismus verurteilen sie auf ihren Blogs. Dass das Propagieren eines „deutschen Volkskörpers“ in seiner Konsequenz den Ausschluss von Jüdinnen und Juden bedeutet, lassen sie hierbei unerwähnt. Hingegen wird eine „Schuld-Knechtschaft der Deutschen“ herbeiphantasiert, die „unsichtbare Wirtschaftslobbies“ hinter den Kulissen fleißig betrieben, um das deutsche Volk in die Knie zu zwingen. Wer damit wohl gemeint ist? Wahrscheinlich dieselben gierigen Eliten, die angeblich den großen „Volksaustausch“ planen. Ein abstraktes Feindbild, das die Person des „ Jude“ mitschwingen lässt. Aber das sagt man ja so nicht mehr. 

„Der große Austausch“

Die Kampagne „Stoppt den großen Austausch“ der „Identitären Bewegung“, die aktuell betrieben wird, enthält einige der oben genannten ideologischen Bausteine. In einem Flyer, der auf Facebook geteilt und in mehreren Städten (u.a. Fulda) verteilt wurde, heißt es: “ Asylantenheime dienen nur vordergründig dem Wohl von Flüchtlingen. In erster Linie sind sie zur Bereicherung einiger weniger da.“ Der Tenor der Kampagne, die mit Flugblättern, dem Twitter-Hashtag #derAustausch, auf Facebook und mit Demonstrationen betrieben wird ist: eine Elite, bestehend aus Wirtschaftslobbyist_innen  und Politiker_innen, plane und betreibe aktiv einen Austausch des „deutschen und europäischen Volkes“ gegen ein wie auch immer geartetes anderes Volk, das diesen Eliten hörig sei. Deshalb gäbe es auch gar keine Flüchtlingskrise. Diese sei nur ein Vorwand, um einen Krieg gegen das Volk zu führen. Als Vordenker der Idee des „großen Austauschs des Volkes“ wird von der IB der französische Patriot Renaud Camus benannt, der seine Thesen in dem Buch (übersetzt) „Revolte gegen den großen Austausch“ darlegt. 

„Wir befinden uns im Krieg“

Die Asylsuche vieler muslimischer und nicht-muslimischer Menschen, die im vergangenen Jahr vor Krieg und Elend nach Europa flohen, markiert für die IB Deutschland, wie sie in zahlreichen Facebook-Posts verlauten lässt,  wohl eine Wende: Es sei an der  Zeit, die bürgerliche Fassade fallen zu lassen, um eben den „großen Austausch“ zu verhindern. Vielleicht sind so die vermehrten Aktionen und das Auftauchen des „identitären“ Lambda-Symbols auf etlichen rechten und flüchtlingsfeindlichen Demonstrationen  der vergangenen Monate zu erklären , etwa bei „Pegida“,  dem Leipziger Ableger „Legida“ etwa ebenso wie auf AfD-Demonstrationen und der „Demo für Alle“.  Aktuell sind einige Identitäre Ortsgruppengemeinsam mit bekannten Rechtsextremen dabei, den Tod des 17-jährigen Niklas P. aus Bonn für ihre menschenverachtende Propaganda zu missbrauchen und sich selbst als Opfer darzustellen. Auch wenn die „Identitären“ auf ihren Blogs gerne etwas anderes behaupten, die Schwelle zur Zusammenarbeit mit Rechten und Neonazis haben sie längst überschritten. 

In „der Szene“ angekommen

Anfangs durchaus skeptisch beäugt, haben die „Identitären“ mittlerweile einen festen Platz in der rechten Szene Deutschlands. Das lässt sich etwa daran erkennen, dass es personelle Überläufe und inhaltliche Überschneidungen mit der NPD  gibt. Während die „Identitäre Bewegung“ diese Verbindung anfangs negierte, ist sie doch inzwischen deutlich sichtbar. So sieht beispielsweise Rechtsaußen-Aktivistin Melanie Dittmer die Identitären als ihre nächste Karrierestufe nach der NPD-Jugendorganisation„ Jungen Nationaldemokraten“ und „Dügida“. Die NPD macht sich geschickten Argumentationen der „Identitären“ zu eigen, vertrieb etwa ein T-Shirt mit dem Aufdruck: „Nicht links, nicht rechts, identitär“. Auf rechten Seiten wie „PI-News“ und der „Blauen Narzisse“ werden die Identitären für ihre Professionalisierung und ihren „Mut zum Aktionismus“ gelobt.

Auch in den Reihen der rechtspopulistischen AfD finden die Ideen der „Identitären“ Anklang:  So nahm etwa der sachsen-anhaltinische AfD-Landtagsabgeordnete Jan Wenzel Schmidt in Wernigerode an einer Identitären-Kundgebung „Stoppt den großen Austausch“ teil und sagte hinterher dem mdr dazu: „Die Bevölkerung wird ja in dem Sinne ausgetauscht, indem sie durch diese Asylbewerber ersetzt werden soll und gar nicht mehr angeregt werden soll zur eigenen Reproduktion der Bevölkerung.“ 

Entlarven, aufklären, Standpunkt beziehen

Wenn sich die“ Identitären „gegen den „Großen Austausch“  oder gegen Kapitalismus engagieren,  zitieren sie französische Philosophen und versuchen, in Debatten dabei zu sein. Den „Identitären“ eilt ein Ruf voraus, eine intellektuelle Spielart des rechtsextremen Denkens zu vertreten. Tatsächlich tummeln sich in ihren Reihen auffällig viele junge Menschen mit einem hohen Bildungsabschluss. Sie versuchen sich auch an der Analyse komplexer gesellschaftlicher Vorgänge. Doch ihre Antworten bleiben einfach. Und gefährlich. Deshalb ist und bleibt es im Umgang mit der Identitären Bewegung besonders wichtig, ihre „Argumente“ zu entlarven und einen klaren Standpunkt dagegen zu beziehen. Denn die  „Identitären“ sind nicht nur fester Bestandteil der rechtsextremen Szene Deutschlands, sie sind auch aktuell vielleicht sogar die größte, zumindest aber die aktivste rechtsextreme Jugendbewegung, die es hierzulande derzeit gibt.  

Mehr auf netz-gegen-nazis.de:

http://www.belltower.news/artikel/rechtsextreme-bedrohungskampagne-28917 http://www.belltower.news/artikel/monitoring-wie-patriotische-facebook-seiten-hass-verbreiten-10371http://www.belltower.news/artikel/jahresr%C3%BCckblick-2015-berlin-291719

 

Zum Weiterlesen:

Im Unrast Verlag ist 2014 ein Handbuch über die Identitäre Bewegung erschienen

 

Im Internet:

http://neue-rechte.net/http://www.stuttgarter-zeitung.de/inhalt.rechtsradikale-bei-der-afd-jungendorganisation-zufall-oder-gezielte-unterwanderung.3423802e-6015-4bc2-b2a6-ad6961ca5f80.htmlhttp://blog.zeit.de/stoerungsmelder/2012/12/16/neonazis-ubernehmen-die-identitare-bewegung_10828http://www.deutschlandradiokultur.de/simone-rafael-ueber-identitaere-bewegung-rechtsextreme-die.2156.de.html?dram:article_id=352838http://www.vorwaerts.de/artikel/wofuer-identitaere-bewegung-deutschland-wirklich-stehthttp://www.bnr.de/artikel/aktuelle-meldungen/pr-sente-rechte-szene-in-berlin

Weiterlesen

engin-akyurt-FAtBOjZOiBU-unsplash

„Alles Einzelfälle?“ Sexistische Gewalt der extremen Rechten

Welche Rolle spielen geschlechtsbezogene Ideologien und die Abwertung von Weiblichkeit bei rechter Gewalt, Übergriffen oder rechtsextremen Tötungsdelikten? Das hat die Amadeu Antonio Stiftung jetzt aufgearbeitet. Ein Ausschnitt.

Von|
Bildschirmfoto 2022-01-17 um 13.13.55

Hagen Grell Er ist wieder da

Nach Betrugsvorwürfen und einem Jahr Funkstille ist einer der umstrittensten „alternativen” Medienmacher wieder aus der Versenkung aufgetaucht: Hagen Grell ist zurück.

Von|
Eine Plattform der