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Margot Käßmann im Shitstorm Wie eine Meldung von AfD und Co. einfach erfunden wurde

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Margot Käßmann (Quelle: Wikimedia / evangelisch.de / CC BY 2.0)

Die Passage in ihrer Rede beginnt mit einem wörtlichen Zitat aus dem Wahlprogramm der Rechtspopulist_innen, danach vergleicht sie die Forderung der Partei mit dem „Ariernachweis“ der Nationalsozialisten:

„‚Den demografischen Fehlentwicklungen in Deutschland muss entgegengewirkt werden. Die volkswirtschaftlich nicht tragfähige und konfliktträchtige Masseneinwanderung ist dafür kein geeignetes Mittel. Vielmehr muss mittels einer aktivierenden Familienpolitik eine höhere Geburtenrate der einheimischen Bevölkerung als mittel- und langfristig einzig tragfähige Lösung erreicht werden.‘ Keine Frage mehr, jetzt ist es klar. Frauen sollen Kinder bekommen, wenn sie ‚biodeutsch‘ sind. Das ist eine neue rechte Definition von einheimisch gemäß dem so genannten kleinen Arierparagraphen der Nationalsozialisten: zwei deutsche Eltern, vier deutsche Großeltern. Da weiß man, woher der braune Wind wirklich weht.“

 

Weiß die AfD, was sie selbst sagt?

Besonders bemerkenswert: Margot Käßmann ist keineswegs die einzige, die das AfD-Wahlprogramm so versteht. Ralph Weber, der stellvertretende Vorsitzende der AfD-Landtagsfraktion in Mecklenburg-Vorpommern und Juraprofessor, veröffentlichte auf seiner Facebook-Seite Ende April seine ganz eigene Interpretation der „deutschen Leitkultur“ und nahm Käßmanns Lesart vorweg:

„Wir müssen und werden dafür sorgen, dass unsere Heimat auch in 30 Jahren noch von deutscher Kultur, deutschen Traditionen, unserer deutschen Sprache und einer deutschen Leitkultur geprägt und geformt wird. Wir ‚Biodeutsche‘ mit zwei deutschen Eltern und vier deutschen Großeltern müssen hierfür sorgen: Dies sind wir unserer Heimat, unseren Kindern und zugleich unseren Vorfahren schuldig.“

Er beendete den Text übrigens so: „Deutschland den Deutschen und alles für unser geliebtes Deutschland!“

Außer einer „Abmahnung“ hatte der Facebook-Post keinerlei Konsequenz für den AfD-Politiker. Fraktionsvize ist er weiterhin. Der Text ist (mit wenigen Änderungen) bis heute auf seiner Facebook-Seite zu lesen.

Sein Fraktionskollege Jürgen Strohschein kritisierte Weber aber direkt und sagte dem „Nordkurier„: „Diese Äußerungen von Professor Weber erinnern in abgeschwächter Form an den Ariernachweis im nationalsozialistischen Deutschland.“

 

Empörung! Ab jetzt!

Die Rede hielt Käßmann am Donnerstag, am Samstag kocht dann die Empörung hoch. Was Käßmann eigentlich gesagt hat, spielt spätestens jetzt keine Rolle mehr. Nur noch ein Halbsatz und ein Satz bleiben übrig: „Zwei deutsche Eltern, vier deutsche Großeltern. Da weiß man, woher der braune Wind wirklich weht.“

Allen Ernstes wird jetzt also verbreitet, Käßmann hätte gesagt, dass Menschen mit zwei deutschen Eltern und vier deutschen Großeltern Nazis seien, obwohl das ja nicht stimmt. Diese Lüge greifen  nicht nur kleinere Accounts auf, sondern, neben Erika Steinbach, auch noch andere mit großer Reichweite.

Der rechte Teil von Twitter teilt den immer gleichen und immer aus dem Zusammenhang gerissenen Satz. Erika Steinbach schreibt auf Twitter von „linksfaschistischen Ergüssen„. „Ist Margot Käßmann geisteskrank?“ fragt ein User und wird 196 mal retweetet. „Ein Dachschaden der nicht mehr zu übertreffen ist“ (199 Retweets). „Ich habe 2 deut Eltern 4 deut Großeltern u wie tragisch auch  8 deutsche Kinder wenn ich BRAUNES DRECK bin ist Käßmann dreckige SYSTEMHURE“ (Rechtschreibung wie im Original, 96 Retweets). “ Käßmann ist eine üble Rassistin. Jetzt ist man also ‚braun‘ nur weil man deutsch ist“ (104 Retweets). “ Muss man sich mal klarmachen: Wir sind schon so weit, dass Deutsche ohne Migrationshintergrund quasi als Nazi abgestempelt werden“ (25 Retweets). Jörg Meuthen, Bundessprecher der AfD und Fraktionsvorsitzender in Baden-Württemberg, schreibt: „Bischöfin Käßmann beleidigt Millionen Deutsche als Nazis“ (245 Retweets).

Die Gruppe „Fearless Democracy“ hat den Shítstorm, der unter #Käßmann tobt genauer analysiert.

 

Wie der Twitter-Sturm gegen Margot #Käßmann aussieht: 9.242 Tweets von 2.992 Twitter-Accounts. Top Accounts mit 30-50 Tweets. Thx @luca pic.twitter.com/b0el7grXGJ

— FearlessDemDE (@FearlessDemDE) 28. Mai 2017

 

Die Organisation erklärt die Grafik auf ihrer Website:

„Was wir im nachfolgenden Bild sehen, sind alle Accounts, die einen Tweet oder Retweet mit dem Begriff ‚Käßmann‘ in den letzten 10 Tagen veröffentlicht haben. Linien bedeuten eine Verbindung (=Followership). Retweets zählen auch in die Grafik hinein. Das bedeutet: Wenn ein Account eine von außen zu ihm getragene Botschaft weiterverbreitet, nimmt es damit selbstverständlich an der Verbreitung der Botschaft teil und wird auch gezählt. Je größer dabei ein Kreis, desto mehr Accounts folgen ihm, die ebenfalls zu dem Thema (in diesem Fall Begriff) in den letzten 10 Tagen geschrieben haben. Man sieht also Verbindungen, die eine besonders hohe Affinität zum Thema Käßmann haben.“

Im Auge des Orkans, wenig überraschend, Accounts, die zur AfD oder ihrem Umfeld gehören. Natürlich Erika Steinbach (34.700 Follower), Frauke Petry (39.800 Follower), der Account des Bundesverbandes (56.100 Follower) und auch der reichweitenstärkste Account aus dem AfD-Umfeld „Balleryna“ (290.000 Follower).

 

Die Geburt einer falschen Nachricht – live und in Farbe

Am Beispiel Käßmann lässt sich ablesen, wie die Empörungs-Maschine der AfD funktioniert.

1. Die AfD wird kritisiert.

2. Passagen aus der Kritik werden aus dem AfD-Umfeld solange verkürzt und aus dem Zusammenhang gerissen, bis sie auf den Kritisierenden zurückfallen können, auch wenn das neue „Zitat“ nichts mehr mit dem ursprünglich Gesagten zu tun hat.

3. Das falsche Zitat wird weiterverbreitet und weiterverbreitet und weiterverbreitet.

4. Die Kritker_in wird beleidigt, angegangen und denunziert.

5. Die eigentliche Kritik geht unter.

Margot Käßmann ist als streitbar bekannt und steht nicht zum ersten Mal im Zentrum eines Shitstorms. Die Ausmaße schockieren aber diesmal selbst sie: „Die Erfahrung, dass etwas bewusst falsch dargestellt wird, mache ich aber zum ersten Mal“, sagte sie dem „Evangelischen Pressedienst„. Gleichzeitig überlege sie, rechtliche Schritte einzuleiten:  „Manche Inhalte sollte man demnach aber auch rechtlich verfolgen. Das überlege ich mir in diesem Fall.“

„Fearless Democracy“ analysiert den Shitstorm um Käßmann hier ebenfalls detaillierter. 

Titelbild oben: Wikimedia / evangelisch.de /  CC BY 2.0

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