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Warum ist es für Gerichte so schwer, eine rassistische oder rechtsextreme Motivation zu erkennen?

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Justitia wird oft blind dargestellt, weil sie ihr Urteil unabhängig davon fällen soll, wer vor dem Gericht steht. Manchmal ist sie allerdings zu blind, wenn es um rassistische Motivationen geht. (Quelle: flickr / cc / Ricardo)

Vergangene Woche fiel das Urteil gegen drei junge Männer von 18, 20 und 26 Jahren beim Jugendschöffengericht am Amtsgericht in Pirna (Sachsen). Es gab Bewährungsstrafen zwischen 8 und 15 Monaten, dazu müssen 3.500 Euro Schmerzensgeld gezahlt werden. Schließlich hatten die Täter ihre Tat vor Gericht doch zugegeben, sie hatten gesagt, es täte ihnen leid, und überhaupt seien sie „sehr unbedarft und sehr unüberlegt an die Sache herangegangen“, so kommentiert es Gerichtssprecher Andreas Beeskow gegenüber dem Hamburger Abendblatt.

Was war passiert? Laut Gericht: Eine Streitigkeit beim Dorffest. Über Fußball. Laut dem Opfer und zahlreicher Zeugen: Ein Zusammenstoß auf dem Dorffest, bei dem die späteren Täter den Hamburger Jugendlichen, die zur Klassenfahrt in Bad Schandau waren, sagten: „Verpisst Euch aus unserem Dorf“.  Danach verfolgten die drei die Gruppe Hamburger Schüler bis ihn ihre Jugendherberge, um dort auf einen 15-Jährigen asiatischer Abstammung loszugehen. Wie Zeugen aussagten, riefen sie danach rechtsextreme Parolen: „NSDAP – Wir vergessen nie“ (stern.de). Dem 15-Jährigen brachen Kiefer und Augenhöhle. Ist das „unbedarftes“ Verhalten? Wenn Täter ihre Tat mit rechtsextremen Parolen begleiten – wie kann dann das Gericht zu dem Urteil kommen: „Im Ergebnis konnte das Gericht keine rechtsradikale Motivation der Täter feststellen.“ Die sympathisieren im Internet mit den „Skinheads Sächsische Schweiz“ und dem lokalen Nazi-Laden „Nordic Flame“, wie die Beratungsstelle für Opfer rechtsextremer Gewalt feststellte (MDR).

Ähnliche Urteile gab es im Mai in Bernburg (Sachsen-Anhalt) und Kempten (Bayern). Und dies im Jahre 3 nach Entdeckung des „Nationalsozialistischen Untergrundes“, nach dessen Entdeckung eigentlich zu hoffen war, dass die Ermittlungsbehörden, Polizei und Gerichte, in Zukunft sensibler mit rechtsextremer Motivation umgehen würden. Aktuell gibt es sogar eine Gesetzesinitiative des Justizministers Heiko Maas, genau diese Motivation auch in die Strafzumessung einfließen zu lassen. Doch dazu müsste sie vor Gericht erst einmal benannt werden. Rechtsanwältin Kati Lang stellt in ihrer Dissertation “Vorurteilsmotivierte Gewalt in der strafrechtlichen Praxis“ fest, dass selbst bei Fällen, die Polizeiermittler für rechtsmotiviert hielten (was zumeist schon die erste Hürde darstellt), nur in etwa 67 % der Fälle die Motivation auch ein Thema im Gerichtssaal wurde. In 59 % der Fälle wurde die rassistische Motivation noch im Urteil benannt, doch nur in 20 Prozent der untersuchten Fälle floss die rassistische Motivation schlussendlich auch in die Strafzumessung ein.

Warum fällt es Staatsanwälten und Richtern offenbar so schwer, rassistische oder rechtsextreme Motivationen zu benennen?

Das ist schwer zu beantworten, es gibt auch kaum Forschung dazu. Allerdings kann man zu den Rahmenbedingungen sagen: Staatsanwälte sind nicht gezwungen, eine rassistische Motivation in die Anklage zu schreiben. Richter sind nicht gezwungen, sie im Urteil zu erwähnen. Vielmehr ist es sich nach derzeitiger Gesetzeslage so, dass die Beweggründe und Ziele nur im Rahmen der Strafzumessung zu würdigen sind, also erst in einem sehr späten Teil des Verfahrens. Es liegt somit, mangels gesetzlicher Regelungen, die einen früheren Verfahrensteil betreffen, an der Aufmerksamkeit von Staatsanwält*innen und Richter*innen, ob sie Aussagen, Sticker, politischen Background der Täter im Verfahren erwähnen oder nicht. 

Aber sie könnten all dies einfließen lassen?

Sicher. Auch in der aktuellen Gesetzeslage ist es bereits so, dass Motive, Beweggründe und Ziele sogar in die Strafzumessung einfließen sollen. Dafür müssen sie allerdings im Verfahren erörtert werden. Es reicht nicht, dass es in den Akten erwähnt wird – auch, wenn der Richter die Ermittlungsakten natürlich kennt. Das heißt: Wenn Staatsanwälte und Richter das nicht tun, muss das Opfer dazu aussagen oder ein Nebenklageanwalt für die Thematisierung sorgen. Sonst fällt das Urteil am Ende „nur“ über eine Körperverletzung, zum Beispiel. Aber natürlich darf und sollte man die Begleitumstände einer Tat und die Lebensumstände der Täter sehen und erläutern: Wenn Schweineköpfe vor eine Synagoge gelegt werden, ist es eine völlig andere Aussage, als wenn sie vor ein weniger sensibles Gebäude platziert würden. Wenn jemand rechtsextrem organisiert ist und sich erkennbar in einer rechten Lebenswelt bewegt, ist ein rassistischer Übergriff weniger zufällig einzuordnen. Das sind konkrete Anhaltspunkte im Strafverfahren, denen nachzugehen ist.

Aber haben Sie eine Vermutung, warum Gerichte sich damit so schwertun? Ist es mehr Arbeit? 

Richter*innen und Staatsanwält*innen sind genauso Träger*innen von Vorurteilen wie die gesamte Gesellschaft. Außerdem gibt es die Furcht vor einer Politisierung des Gerichtssaals, die im Zweifelsfalle eine Haltung einfordert – auch von der Justiz. Richter*innen und Staatsanwält*innen kommen einfache und effiziente Verfahren entgegen. Doch bei anderen Verfahren ist es ja auch möglich, eine Motivation zu erforschen und zu begründen, etwa bei Gewalttaten aus Eifersucht. Warum also nicht auch bei Rassismus? Der Gesetzgeber sieht dies jedenfalls jetzt schon so: Die Tatgesinnung soll in die Strafzumessung einbezogen werden.

Sind die Verfahren leichter anfechtbar, wenn eine rassistische Motivation benannt wird?

Wenn das Urteil erfolgreich anfechtbar ist, wurden Fehler gemacht. So einfach ist das.

Wie finden Sie die neue Gesetzesinitiative von Justizminister Heiko Maas, die aktuell diskutiert wird und im August 2014 beschlossen werden soll?

Ich fürchte, das bleibt Symbolpolitik, wenn der Gesetzesentwurf so verabschiedet wird. Darin steht ja, dass die rassistische Tatmotivation in die Strafzumessung einfließen soll. Das heißt, es wendet sich wieder nur an die Richter, und auch nur am Ende des Verfahrens. Außerdem ist das Gesetz zu offen formuliert und zielt zu wenig auf die konkreten Probleme. Es bleibt zu befürchten, dass diese Regelung aufgrund ihrer Unbestimmtheit seltsame Blüten treiben wird.

Was wir eigentlich bräuchten, wäre eine konkrete, auf die betroffenen Opfergruppen zugeschnittene Gesamtregelung für die Strafverfolgung: Vom ersten Polizisten, der eine Tat aufnimmt, bis zum Richter sollten alle mit der Aufklärung befassten immer wieder gezwungen sein, sich mit einer möglichen rassistischen Tatmotivation auseinander zu setzen. Im Strafverfahrensrecht könnten sowohl im Gesetz als auch in den Richtlinien entsprechende Regelungen eingefügt werden. Jeder Schritt in einem Strafverfahren ist normiert und geregelt. Es wäre also kein Problem, die Überprüfung auf eine Vorurteilsmotivation einzufügen.

Aber würde das auch dazu führen, dass rassistische Motivationen besser erkannt werden?

Das würde dazu führen, dass die Verfahrensverantwortlichen die Tatmotivation in jedem Verfahrensschritt beachten müssten, weil es ihnen vorgeschrieben ist. Außerdem wären die Justizbehörden gezwungen ihre Mitarbeiter*innen endlich zu diesem Thema fortbilden. Also: Ja.

 

Weitere Urteile aus der letzten Zeit:

05.05.2014, Landgericht Magdeburg:

Neun offensichtliche Neonazis, vorbestraft, einschlägig tätowiert, prügelten im September 2013 den 34-jährigen Imbissbetreiber Abdurrahman E. in Bernburg (Sachsen-Anhalt) mit menschenverachtender Brutalität beinah zu Tode. Dabei beschimpften sie ihn als „Scheißvieh“ und „Scheißtürke“, seine Freundin als „Türkenschlampe“. Laut Landgericht Magdeburg reicht das als „rassistische Motivation“ allerdings nicht aus, weil die Tat so spontan gewesen sei: Fünf Angeklagte wurden freigesprochen, vier erhielten Haftstrafen zwischen acht und fünf Jahren.  Das ist allerdings zum Glück noch nicht das letzte Wort: Sowohl die Staatsanwaltschaft als auch der Opferanwalt legten Revision ein. Das Opfer, ein 34-jähriger Vater von drei Kindern, erlitt eine eingetretene Schädeldecke und gebrochene Gesichtsknochen, lag zwei Wochen in künstlichen Koma und überlebte nur knapp. Noch heute leidet er unter den körperlichen und psychischen Folgen des Übergriffs (mehr: netz-gegen-nazis.de).

12.05.2014, Landgericht Kempten

Vor dem Landgericht Kempten wurde gegen einen Thüringer verhandelt, der im April 2013 auf dem Kaufbeurer Tänzelfest einen Mann totgeschlagen hatte. Der Täter ist ein einschlägig vorbestrafter Neonazi, das Opfer stammte aus Kasachstan – eigentlich hätte es ziemlich nahegelegen, von einem rassistischen Motiv für die Tat auszugehen, was einen niederen Beweggrund darstellt und damit ein Mordmerkmal. Die zuständige Staatsanwaltschaft Kempten aber teilte noch kurz vor Prozessbeginn mit: „Ein ausländerfeindliches/rassistisches Motiv konnte bis dato nicht beweiskräftig festgestellt werden.“So wurde der Täter am Ende auch nur wegen Körperverletzung mit Todesfolge verurteilt, nicht wegen Mord. Der Richter erklärte in seiner Urteilsbegründung, man habe „keinen Bezug zu einer rechtsradikalen Tat“ herstellen können. Der aus Kasachstan stammende Familienvater sei ein „Zufallsopfer“ gewesen (BR).

Urteil noch ausstehend: Halle

Während laufender Renovierungsarbeiten im Imbiss „Mamaris“ betreten am Sonntagnachmittag des 7. April 2013 zwei augenscheinlich alkoholisierte Männer den Gastraum und verlangen Bier. Als sie keins bekommen, bepöbeln sie die Anwesenden und rufen „Ausländer raus!“. Schließlich verlassen sie das Lokal, kommen jedoch wenig später zurück. Unter rassistischen Beleidigungen bringen sie den Betreiber zu Boden und schlagen und treten auf ihn ein. Auch ein Freund des Betroffenen wird von einem der Angreifer geschlagen. Erst nach Intervention eines weiteren Bekannten lassen die Angreifer von dem 44-Jährigen ab. Obwohl der Betroffene noch in Anwesenheit der Rechten die Polizei alarmiert, beleidigen sie ihn weiter, zeigen den sog. Hitlergruß und drohen damit, ihn umzubringen. Der 44-Jährige erleidet u.a. zahlreiche Prellungen und eine blutende Verletzung im Mund. An den körperlichen, vor allem aber den psychischen Folgen leidet er bis heute und hat mittlerweile den Imbiss aufgeben müssen. Bereits vor Anklageerhebung beschränkte die Staatsanwaltschaft die Strafverfolgung auf einfache und gefährliche Körperverletzung. Alle weiteren Vorwürfe diese Tat betreffend – Verwenden verfassungsfeindlicher Kennzeichen, Bedrohung sowie Beleidigung – fielen für die zu erwartende Strafe „nicht beträchtlich ins Gewicht“. Auch dass der heute 27-jährige Angeklagte den Imbissbetreiber am Folgetag vor seinem Geschäft erneut bedroht haben und mit Bierflaschen auf ihn losgegangen sein soll, wurde in der Anklage nicht berücksichtigt. Prozessbeginn war der 05. Juni 2014 (Mobile Beratung für Opfer rechtsextremer Gewalt).

Eine Auflistung aller betroffenen Prozesse im 1. Halbjahr 2014 veröffentlichen wir gemeinsam mit dem Mediendienst Integration im August.

Mehr auf netz-gegen-nazis.de:

| Chronik: Bedrohungen und Gewalttaten 2014

| Chronik: Neonazis vor Gericht 2014

| Beratung und Hilfe für Opfer rechtsextremer Gewalt

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