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1. Mai in Gera Mehr Bruch als Aufbruch

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Teilnehmende einer rechtsextremen Demonstration am 1. Mai 2023 in Gera.
Unter russischen Fahnen, Compactflaggen und umgedrehten Nationalsymbolen sammelten sich Anhänger*innen prorussischer Desinformation und Anhänger*innen der verschwörungsideologischen und rechtsextremen Szene am 1. Mai 2023 in Gera (Quelle: TM)

Etwa 700 Personen haben am 1. Mai an einer Demo von Neonazi Christian Klar in Gera teilgenommen. Unter dem Motto „Gemeinsam für den Frieden“ erwarteten die Organisator*innen eigentlich 2.000 Teilnehmer*innen. Auf den ersten Blick ist das ein herber Rückschlag für den Mobilisierungserfolg der verschwörungsnahen „Montagsdemonstrationen” in Gera. Vor einem halben Jahr folgten zum Tag der Deutschen Einheit am 3. Oktober 2022 noch 10.000 Menschen den landesweiten Aufrufen. Auch die Thüringer AfD war mit Björn Höcke prominent vertreten.

Christian Klar und Thüringer AfD: Vom Schulterschluss zum Bruch

Das hat sich geändert. Der Schulterschluss mit der Thüringer AfD scheint zu bröckeln. Ein Blick in die Demonstration bekräftigt das Bild. Statt Parteigrößen beteiligen sich vor allem ehemalige AfD-Politiker*innen, die zum Teil aus der Partei oder Fraktionen ausgeschlossen wurden oder ausgetreten sind. Dazu gehört etwa Robert Farle, fraktionsloser AfD-Abgeordneter im Bundestag oder der ehemalige AfD-Politiker André Poggenburg, der gemeinsam mit seinen beiden Mitstreitern Markus Beisicht (ehemals Pro-NRW) und Eugen Walter vom „Aufbruch Leverkusen“ angereist ist. Poggenburg versucht mit seiner Interessensbewegung „Aufbruch Deutschland 2020“ eine Dachorganisation zu bilden, „ohne Distanzierungen und Angst vorm Obrigkeitsschutz“. Zumindest teilte er das im März auf Facebook zur Gründungsveranstaltung des Vereins „Aufbruch Gera“ durch Christian Klar mit.

André Poggenburg gemeinsam mit Robert Farle und Markus Beisicht in Gera.
André Poggenburg gemeinsam mit Robert Farle und Markus Beisicht (v.r.n.l.) in Gera.

„Aufbruch“ statt „Alternative“ soll politische Konkurrenz der AfD sein, doch wirkt eher, wie ein Sammelbecken für bei der AfD in Ungnade gefallene. Poggenburg schreibt offen von „Verwerfungen“ mit der Partei. Auch Christian Klar deutet das in einem Gespräch mit der rechtsextremen Gruppierung Freie Sachsen an, dass am Vorabend der Demo auf Telegram veröffentlicht wurde. Er selbst sei nach seinem Mitgliedsantrag am 5. Januar 2022 im März als offizielles Mitglied der AfD bestätigt worden, bis ihm im November angeblich nahegelegt wurde, er „möge besser gehen“. Den Grund vermutet Klar in den Recherchen antifaschistischer Gruppen, die seine Neonazivergangenheit und Vorstrafen aufgedeckt hatten. Seit seiner Jugend ist der Demo-Anmelder Teil der neonazistischen Szene und soll auch Verbindungen in die Kameradschaft des „Thüringer Heimatschutzes“ gehabt haben. Es gibt aber auch andere plausible Gründe: etwa seine fehlende Gesetzestreue. Im letzten Prozess gegen ihn im Juli 2022 wurde er wegen schweren Diebstahls und Hehlerei in einem noch nicht rechtskräftigen Urteil zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt.

Gerade weil man sich, so Klar, „mit der Thüringer AfD immer gut identifizieren konnte“, scheint die Enttäuschung über die nun fehlende Rückendeckung tief zu sitzen. Auf Anfrage von Belltower.News bei der AfD Thüringen nach Klar’s Mitgliedschaft erfolgte bis Redaktionsschluss keine Antwort. Lediglich die Stadtratsfraktion der AfD Gera hält noch an Klar fest. Teile davon haben sich inzwischen auch dem Verein „Aufbruch Gera“ angeschlossen, der sich derzeit noch in der Gründung befindet und bei der nächsten Kommunalwahl antreten will. Der Posten der Schriftführerin geht an die stellvertretende Sprecherin der Stadtratsfraktion Evelyn Gropp, die ebenfalls neben dem AfD-Landtagsabgeordneten aus Gera Wolfgang Lauerwald am 1. Mai teilnahm. Nach Belltower.News-Informationen reihte sich auch der AfD-Landtagsabgeordnete Torsten Czuppon in den Demonstrationszug ein. Der Politiker steht gerade vor dem Oberlandesgericht Jena wegen des Vorwurfs des Verfolgens Unschuldiger aus seiner Zeit als Polizeibeamter.

Verwerfungen mit der AfD dämpfen Mobilisierung

Die Verwerfungen mit der AfD könnten ein Grund für den Einbruch der Teilnehmendenzahlen am Montag gewesen sein. Die Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus in Thüringen (mobit) beobachtet im Freistaat einen Rückgang der Mobilisierungskraft von rechter Mischszene und AfD. „Ostthüringen, allem voran Gera, war allerdings weiterhin eine Hochburg der Mobilisierung. Dass nun ausgerechnet hier der Bruch mit der AfD stattfindet, könnte die Szene nachhaltig schwächen“, sagt Romy Arnold von mobit auf Anfrage von Belltower.News. Für die wöchentlichen Demonstrationen könnte das einschneidend sein, für die AfD dürfte das aktuell nur eine nebensächliche Rolle spielen. 2024 stehen Landtagswahlen an. Der rechtsextreme Landesverband der AfD ist jüngsten Umfragen zufolge in Thüringen mit 28 Prozent stärkste Kraft.

Gegendemonstration in Gera: Heftige Kritik an Polizeivorgehen

Das Aktionsbündnis Gera gegen Rechts und der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) organisierten gemeinsam am Montag eine Demonstration gegen den rechtsextremen Aufzug. Man wolle der Szene in Gera wieder etwas entgegensetzen. Zwar wurde zuvor immer wieder Gegenprotest organisiert, aber Angriffe aus der rechtsextremen Szene, wie etwa am 3. Oktober 2022, hätten „fatale Auswirkungen gehabt“, so Peter Lückmann vom DGB: „Viele trauen sich seitdem immer noch nicht zum Gegenprotest auf die Straße.“

Der Gegendemonstration am Montag hatten sich knapp 600 Menschen angeschlossen. Allerdings wurde die ursprüngliche Route durch die Polizei und Versammlungsbehörde geändert, um ein Aufeinandertreffen der beiden Demos zu verhindern. Für Empörung und Kritik sorgte das Vorgehen der Polizei gegen Gegendemonstrant*innen. Für mehrere Stunden wurden Demonstrierende in einem Kessel festgesetzt. Verletzte durch Pfefferspray und Schlagstöcke und Menschen mit Panikattacken hätten keine Hilfe bekommen, kritisierten die Aktivist*innen. Die Linken-Politikerin Katharina König-Preuss nannte den Einsatz gegenüber Belltower.News, „unverhältnismäßig und überzogen“. Versammlungsbehörde und Polizei hätten die „Versammlungsfreiheit einer antifaschistischen Demonstration massiv beschnitten und einer extrem rechten Demonstration den roten Teppich ausgerollt“, so die Landtagsabgeordnete. Parlamentarische Beobachter*innen von Linken und Grünen vor Ort kündigten an, den Einsatz im Innenausschuss und Koalitionsarbeitskreis auf die Tagesordnung zu setzen.

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„Freie Sachsen“ AfD in der Radikalisierungsfalle

Die AfD ist auch 2022 von Orientierungslosigkeit und Zerstrittenheit geprägt. Derzeit streitet sie intern über den Umgang mit den „Freien Sachsen“, einer rechtsextremen Kleinstpartei, die ihr im Freistaat den Rang als rechte Protestpartei abgelaufen hat.

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