Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

AfD nach Poggenburg-Affäre Weiterhin ein Fall für den Verfassungsschutz

Von|
Neujahrsgruß von André Poggenburg (AdP, damals noch AfD) auf Facebook: Nur echt mit Kornblume und "Volkgsgemeinschaft". (Quelle: Screenshot Facebook)

Bis vor nicht allzu langer Zeit war André Poggenburg, ehemaliger Landes- und Fraktionsvorsitzender der AfD in Sachsen-Anhalt, eine wichtige politische Figur der extremen Rechten in Deutschland. Der Rechtsaußen aus dem Burgendlandkreis führte gemeinsam mit seinem thüringischen Kollegen Björn Höcke den einflussreichen völkisch-nationalistischen „Flügel“ seiner Partei an und erreichte in der Landtagswahl 2016 für seinen Landesverband aus dem Stand über 24 Prozent der Stimmen ― ein bisher einmaliger Wahlerfolg in der Geschichte der Bundesrepublik, der ihm in der Partei großen Respekt einbrachte.

Das Führungsduo Poggenburg-Höcke war spätestens seit diesem Erfolg eine feste Größe in der AfD und eine Art Fixstern, an dem sich die völkischen Radikalen in der Partei orientierten. Beide hatten wesentlichen Anteil daran, aus Mitteldeutschland eine Hochburg der AfD und aus der jungen Partei ― zumindest in den neuen Bundesländern ― eine echte Konkurrenz für die alten Volksparteien zu machen. Doch diese Erfolgsgeschichte ist zumindest für Poggenburg nun definitiv zu Ende.

Der Niedergang eines AfD-Idols

Wie keine*r politischen Beobachter*in in den vergangenen zwei Wochen entgehen konnte, ist der Stern Poggenburgs am Firmament der AfD nun also versunken. Mit seinem am 10. Januar vollzogenen Parteiaustritt und der gleichzeitigen Gründung einer neuen Partei, der vorerst auf Mitteldeutschland beschränkten AdP („Aufbruch Deutscher Patrioten“), ist zugleich aber auch ein neuer, weit rechts stehender Stern am politischen Horizont Deutschlands aufgegangen (BTN berichtete).

Die politischen Kommentator*innen und Analyst*innen sind dieser Tage nun darum bemüht, die Konsequenzen dieses Parteiaustritts und der darauffolgenden Parteineugründung abzuschätzen. Es wird darüber spekuliert, ob durch Abwanderungsbewegungen großer Teile nun das Ende der AfD bevorsteht oder ob der AdP dasselbe Schicksal blüht wie den Abspaltungen von Bernd Lucke (2015) und Frauke Petry (2017), deren Parteigründungen in der Bedeutungslosigkeit versunken sind. Sogar Mutmaßungen über Forderungen nach Grenzverschiebungen jenseits der Oder-Neiße-Linie durch die dezidiert „mitteldeutsche“ AdP werden angestellt (vgl. ZEIT).

Unzweifelhaft ist aber, dass die politischen Karten im für die AfD so wichtigen Osten Deutschlands neu gemischt werden ― ausgerechnet im Superwahljahr 2019, in dem neben den Europawahlen auch Landtags- und Kommunalwahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen anstehen (und an die teilzunehmen, die AdP bereits angekündigt hat). Wie groß die möglichen Stimmverluste für die AfD, die gerade in diesen Ländern stärkste Kraft werden will, sein werden, ist noch völlig unklar – dafür sind die Entwicklung noch zu frisch, die AdP noch zu klein und die Landtagswahlen im Herbst noch in zu weiter Ferne.

Alles, nur keine substanzielle Deradikalisierung

Was man vor lauter Spekulationen aber auf keinen Fall im Parteiaustritt Poggenburgs sehen sollte, ist eine substanzielle Mäßigung von Inhalt und Zielen der AfD oder eine Bestätigung irgendwelcher politischer Selbstreinigungskräfte. Als eben solche will sie etwa der Bundesprecher Jörg Meuthen verkaufen, der behauptet, Poggenburg habe sich nicht mehr im politischen Spektrum seiner Partei bewegt (vgl. Deutschlandfunk). Das kann getrost als Märchen bezeichnet werden.

Zwar spricht Poggenburg selbst von einem „spürbaren Linksruck“ der AfD, den er nicht mehr mitzutragen bereit sei; doch darf man diesem kontrafaktischen Gerede keinen Glauben schenken. Hinter dem Weggang Poggenburgs stehen nicht unüberbrückbare inhaltliche Differenzen. Der „Flügel“ mit Führungskadern wie Hans-Thomas Tillschneider, Andreas Kalbitz und natürlich Björn Höcke vertritt genau dieselben völkisch-nationalistischen, auf rassistischer Ausgrenzung und einem Alleinvertretungsanspruch des „Volkes“ basierenden Ideen, die Poggenburg auch mit seiner neuen „national-konservativen Bewegungspartei“ etablieren will.

Es haben sich einzig die Umstände geändert: Zum einen war schon seit Längerem eine Entfremdung zwischen Poggenburg und den anderen Kadern des „Flügels“ zu beobachten, wobei es nicht um inhaltlichen Dissens, sondern um Machtkämpfe und beleidigte Egos ging (vgl. ND). Zum anderen hängt mit der drohenden Beobachtung durch den Verfassungsschutz, über die demnächst entschieden wird, ein gefährliches Damoklesschwert über der AfD.

Poggenburg: Die AfD „hat politische Tollwut“

Die abschreckende Wirkung, die eine solche Beobachtung auf gemäßigte Kräfte hätte, wird von der Parteiführung bis in den „Flügel“ hinein gefürchtet. Besonders Staatsbedienstete, die sich für die AfD engagieren, würden der Partei womöglich in großer Zahl den Rücken kehren, sollte sie tatsächlich offiziell ins Visier der Verfassungsschützer*innen geraten (vgl. ZEIT). Die Parteigranden haben das Schicksal der Republikaner vor Augen, die in den 1990ern so ins politische Abseits gerieten.

Diese Angst vor dem Verfassungsschutz führt zu einer vor allem rhetorischen Disziplinierung und einer verstärkten formalen Abgrenzung von rechtsextremen Organisationen. Poggenburg, der an Silvester 2018 mit einem faschistischen Neujahrsgruß an die „Mitbürger unserer Volksgemeinschaft“ den aktuellen Eklat um seine Person auslöste (vgl. Faktenfinder), sieht in dieser Furcht „Hysterie“ und eine opportunistische Anbiederung an das „Establishment“, wie er über Facebook verkündet. Für ihn ist dieses „Wegducken vor dem Verfassungsschutz“ mit einhergehender „Distanzeritis gegenüber Pegida und anderen Bürgerinitiativen“ Ausdruck einer „politischen Tollwut.“ (vgl. FAZ).

Es sind Wort, wie man sie aus der AfD häufig hört und deren Gehalt sich auch im erst Ende Oktober veröffentlichten „Stuttgarter Aufruf“ wiederfindet. Diese Petition haben 1200 radikale und offen rassistisch auftretenden Parteimitglieder, die sich „Denk- und Sprechverboten innerhalb der Partei“ widersetzen wollen, unterzeichnet ― darunter auch drei Bundestagsabgeordnete (vgl. ZEIT). Ganz besonders erinnern Poggenburgs Vorwürfe aber an niemand Geringeren als Björn Höcke, den unbestrittenen Star der Partei. Gerade ihm dürfte Poggenburg wohl aus der Seele sprechen, hat Höcke doch noch im November in derselben Angelegenheit in ähnlicher Weise von „politischer Bettnässerei“ und „Narretei“ gesprochen.

Poggenburgs Rolle nicht überschätzen!

In der Causa Poggenburg ist Höcke nun aber erstaunlich still ― ein Indiz, dass sogar er sich mittlerweile einen Maulkorb verpasst hat. Ein weiteres Indiz für diese Selbstdisziplinierung angesichts der Gefahr durch den Verfassungsschutz ist die Tatsache, dass Poggenburgs Landesverband schon 2015 den rechtsextremen Begriff der Volksgemeinschaft benutzt hat ― was damals keinerlei Konsequenzen hatte (vgl. tagesschau).

Es verhält sich also so, dass Poggenburg zu den gar nicht so wenigen „Flügel“-Vertreter*innen gehört, die sich auch vor dem Hintergrund einer drohenden Beobachtung durch den Verfassungsschutz nicht verbiegen wollen ― und dafür sogar bereit sind, eine neue Partei zu gründen. Er erteilt damit dem von Pragmatismus geprägten (und erfolgversprechenderen) Kurs der Parteiführung, dem sich sogar Höcke mittlerweile unterworfen zu haben scheint, eine Absage.

Ob Poggenburg viele Nachahmer, d. h. Mitglieder für seine AdP, finden und seine Partei ― wie er auf Facebook schreibt ― zu einer Art „Ost-AfD“ wird etablieren können, wird sich zeigen. Man würde seine Bedeutung aber auf jeden Fall maßlos überschätzen bzw. das rechtsradikale Potenzial der AfD auf naive Weise maßlos unterschätzen, unterstellte man, dass mit seinem Weggang nun alle allzu extremen Stimmen verstummt wären.

Poggenburg stand schon länger am Rande des „Flügels“, seine Rolle als Höckes mächtiger Flügelmann hat mittlerweile der Brandenburger Landesvorsitzende Andreas Kalbitz übernommen. Der ist mit seinen früheren Kontakten zur 2009 verbotenen neonazistischen „Heimattreuen Deutschen Jugend“ (HDJ) und einer langen Vergangenheit im rechtsextremen Milieu im Zweifel sogar eher noch radikaler als Poggenburg (vgl. Tagesspiegel, stern). Der Verfassungsschutz hat also weiterhin mehr als genug Gründe, die AfD ganz genau in den Blick zu nehmen.

Weiterlesen

20130427_bfver_a

Der Verfassungsschutz als Dienstleister – auf der Suche nach dem Kundendienst

Diese Woche fand in Berlin ein Symposium des Bundesverfassungsschutzes statt, Titel: „Wechselwirkungen in Extremismus und Terrorismus“. Der Rechtsterrorismus des NSU verkam dabei zur Randbemerkung. Stattdessen erlaubte die Veranstaltung erstaunliche Einblicke in das Selbstverständnis der Behörde.

Von|
Eine Plattform der