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„Alles Einzelfälle?“ Die sexistische Ideologie der extremen Rechten

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(Quelle: Unsplash)

Die extreme Rechte in Deutschland besteht aus diversen Gruppierungen und Szenen, die sich bezüglich ihrer Performances und Ideologien unterscheiden. Eine wichtige Gemeinsamkeit stellen die reaktionären Geschlechterklischees dar, die die Szene nach innen ordnen und festigen.

Klassische Geschlechterbilder werden in verschiedensten Teilen der Gesellschaft vertreten. Die Spezifik extrem rechter Gendervorstellungen lässt sich daran erkennen, dass eine konstruierte Volksgemeinschaft den entscheidenden Referenzpunkt für Geschlechterfragen darstellt. Im Kern geht es also nicht darum, ob eine Frau sich bewusst für die Rolle als Hausfrau und
Mutter entscheidet. In rechtsextremen Ideologien gilt dieser Lebensentwurf als ihre einzige legitime Option (und zudem als ihre Pflicht). Es gehört zum den Strategien rechtsextremer Aktivist*innen, den Zwangscharakter rechtsextremer Geschlechterverständnisse zu verschweigen und ihre Positionen stattdessen als Kampf für Frauenrechte zu inszenieren, um etwa ihren Rassismus oder Antisemitismus zu rechtfertigen, so wie es beispielsweise auch bei der Instrumentalisierung des Themas sexualisierte Gewalt gegen Kinder geschieht. Dies bedeutet keinesfalls, dass es Teile der extremen Rechten gibt, die feministisch oder wenigstens nicht sexistisch bzw. misogyn sind. Kennzeichnend für rechtextreme Geschlechterverständnisse sind folgende Punkte.

Dichotomisierung: „Frauen und Männer sind komplett unterschiedlich“

Das Spektrum der Geschlechter wird in die zwei klar trennbaren antagonistischen Gruppen Mann und Frau eingeteilt, die strikt in cis Kategorien gedacht werden. Sie bilden die tragenden Säulen des Konstruktes Volksgemeinschaft . Männer sind für Politik, Verteidigung und das Außen verantwortlich und zeichnen sich durch Härte und Aggression, durch Vernunft aus; Frauen hingegen gelten als friedfertig, vermittelnd und sind für Beziehungsgestaltung, Emotionen und den inneren, häuslichen Bereich zuständig, der als unpolitisch gilt. Über das Gebären und die Erziehung der Kinder hinaus ist die Mutter in der klassischen rechten Familie aber auch für die Weitergabe der Ideologie im innerfamiliären Rahmen zuständig.

Hier wird ein Politikbegriff vertreten, der ausschließlich auf die Ebene der Parteipolitik und Verfassungsorgane beschränkt ist und alltagsbezogene, „weibliche“ Tätigkeiten nicht als politisch sieht – demnach wäre nur das als politisch zu bezeichnen, was der männlich gedachten Sphäre zuzuordnen ist und sich mit „großen“ gesellschaftspolitischen Themen beschäftigt. Im Umkehrschluss bedeutet das, dass die Gewalt, die im häuslichen Bereich gegen Frauen verübt wird, leicht entpolitisiert und individualisiert werdenm kann, da die gesamte häusliche Sphäre als unpolitisch gilt.

Biologisierende, homogenisierende Essentialisierung: „Es gibt etwas spezifisch Weibliches bzw. Männliches, das alle Frauen bzw. Männer gemeinsam haben“

Hierbei wird davon ausgegangen, dass alle Angehörigen eines Geschlechtes von Natur aus gemeinsame Eigenschaften haben (die sich diametral von den Eigenschaften des anderen Geschlechts unterscheiden). Entsprechend diesem Geschlechtscharakter ergeben sich unterschiedliche Pflichten gegenüber der Volksgemeinschaft, weswegen die Mutterschaft als (einzige) legitime Aufgabe für extrem rechte Frauen propagiert wird.

Diese renaturalisierende Konstruktion richtiger Männer und Frauen unterliegt allerdings der historischen Wandelbarkeit weiblicher und männlicher Ideale und hat damit auch ein widersprüchliches Moment. Obwohl es zwar wieder und wieder beschworen wird, lässt sich kein klar beschriebenes Geschlechterideal benennen, das sich unverändert durch die Generationen und die gesellschaftlichen Schichten gezogen hätte – die Idee der Kleinfamilie mit zugehöriger Hausfrau beispielsweise wäre in vorindustriellen bäuerlichen Kontexten undenkbar gewesen, wird aber von der heutigen extremen Rechten als „natürliches“ Lebensmodell verkauft.

Die Sozialwissenschaftlerin Renate Bitzan bezeichnet dies als „Bauchladen extrem rechter Weiblichkeitskonstruktionen“ und unterscheidet verschiedene Modernisierungsgrade der Frauenrollen, die jeweils akzeptiert werden: Das klassische rechtsextreme Rollenbild reduziert die Frau ausschließlich auf ihre reproduktive Funktion, wohingegen aktuellere Verständnisse es ermöglichen, die Rolle der Mutter zum Ausgangpunkt für politische Arbeit und Diskursbeteiligung zu machen. Einzelne Akteurinnen versuchen immer wieder, diese Grenzen zu erweitern. So verwendete beispielsweise der Mädelring Thüringen explizit das Label Nationaler Feminismus und verlangte: „Deutsche Frauen wehrt euch – gegen das
Patriarchat und politische Unmündigkeit!“. Ein anderes Beispiel stellt die Aktivistin der Identitären Bewegung Annika S. („Berit Franziska“) dar: Sie propagierte auf dem Blog radikal feminin zwar einerseits eine klassische Verteilung der Geschlechterrollen, andererseits kämpft sie seit 2019 im österreichischen Nationalteam der World Kickbox Foundation und fordert das Narrativ der Frau, die vom Mann beschützt werden muss, damit heraus.

Hierarchisierung: „Der Mann entscheidet und die Frau muss sich ihm anpassen“

Die extrem rechte Ideologie betrachtet den Mann als der Frau übergeordnet und überlegen. Dieses Geschlechterverständnis fungiert in der extremen Rechten als inneres Ordnungsprinzip. Die Frau soll hierbei eine unterstützende Rolle einnehmen, um dem Mann ein möglichst uneingeschränktes Wirken zu ermöglichen. So plädiert etwa Sophie Liebnitz in der neurechten Zeitschrift Sezession dafür, die „üppige misogyne Erbschaft des Abendlandes“ in Kauf zu nehmen, da bedeutende
europäische Kulturgüter durch sie erst ermöglicht worden seien. Im Blog derselben Zeitschrift stellt die neurechte Autorin Caroline Sommerfeld fest: „Die westliche Zivilisation kann nur gerettet werden, wenn das Frauenwahlrecht wieder abgeschafft wird“. Die „zivilisatorische“ Gesellschaft ist also hier eine dezidiert männliche und zeichnet sich dadurch aus, dass der
Mehrheit der Bevölkerung Grundrechte entzogen werden, um eine politisch legitimierte sexistisch-hierarchische Gesellschaftsordnung einzuführen.

Die Abwertung von Frauen unterscheidet sich von anderen Ideologien der Ungleichwertigkeit, denn die erträumte Volksgemeinschaft soll natürlich nicht ohne Frauen auskommen müssen – auch wenn diese als unterlegen gelten. Frauen, die ihre vermeintliche Minderwertigkeit und Andersheit akzeptieren, sind ein existenzieller Bestandteil des völkischen Konstruktes, solange sie sich entsprechend unterordnen. Hierdurch wirkt das sexistische Geschlechtermodell auch als Disziplinierungsmaßnahme, da Frauen (und auch Männer), die sich abweichend verhalten, von Bestrafung oder Ausschluss bedroht sind. Bei anderen Ideologien der Ungleichwertig fehlt dieser Aspekt, da die Betroffenen sich grundsätzlich nicht in die Volksgemeinschaft integrieren können – unabhängig davon, wie sie sich verhalten.

Die Studie Alles Einzelfälle? Misogyne und sexistisch motivierte Gewalt von rechts“ gibt es hier zum Download.

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