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Angriffsserie in Neukölln Wie können sich Engagierte schützen?

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Pressekonferenz im Rathaus in Berlin: Christian von Gélieu, Dr. Dirk Behrendt, Bianca Klose (von links).

 

 

Früh am Morgen des 09. Februars bemerkt Claudia von Gélieu ein seltsames Flackern am Fenster. Als sie rausschaut, erkennt sie, dass ihr Auto in Flammen steht. Sie hat Glück. Das Auto ist direkt vor dem Haus geparkt. Nur weil der Wind in die entgegengesetzte Richtung weht, erreichen die Flammen das Haus nicht. Auch waren alle Fenster geschlossen, so dass kein Rauch in das Schlafzimmer von ihr und ihrem Mann Christian ziehen konnte.

 

Die von Gélieus, die sich in einem linken Kulturverein engagieren, sind die neuesten Opfer einer rechtsextremen Anschlagsserie, die Berlin seit Mai 2016 in Atem hält. Seit Mitte vergangenen Jahres hat die “Mobile Beratung gegen Rechtsextremismus Berlin“ (MBR) 43 Angriffe dokumentiert, vor allem in Neukölln. Aber auch in Wedding, Kreuzberg und Schöneberg kam es zu Vorfällen: Brandanschläge auf mehrere Autos, Steinwürfe auf Wohnungen und Bedrohungen in Form von Graffitis. Sowohl die Angriffe, als auch die Graffitis weisen auf einen direkten Zusammenhang der Taten hin und betreffen allesamt Menschen, die sich politisch oder gesellschaftlich engagieren.

 

Am 10. April wurde im Rathaus in Berlin aus diesem Anlass die Handreichung “Wachsam sein!” vorgestellt. Bei der Pressekonferenz anwesend waren Dr. Dirk Behrendt, Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, Bianca Klose, von der “Mobilen Beratungsstelle gegen Rechtsextremismus in Berlin” und Christian von Gélieu.

 

Im Januar dieses Jahres hatte Innensenator Andreas Geisel (SPD) die Ermittlungsgruppe “Rechte Straftaten in Neukölln“ (Resin) einberufen, um die Angriffe aufzuklären – bisher ohne konkreten Ermittlungserfolg. Trotzdem scheint die Angriffsserie erst einmal gestoppt. Ob das an den Ermittlungen der Polizei liegt oder die Täter_innen vorsichtig geworden sind, kann Dr. Dirk Behrendt, Senator für Justiz, Verbraucherschutz und Antidiskriminierung, bei der Pressekonferenz im Roten Rathaus nicht klären. MBR-Projektleiterin Bianca Klose vermutet, dass es sich um einen kleinen Täter_innenkreis aus der rechtsextremen Szene handelt, vergleichbar mit dem “Nationalen Widerstand Berlin“ (“NW-Berlin“). Der “NW-Berlin“ war ein rechtsextremes Netzwerk, das von 2005 bis 2012 in Berlin aktiv war und vor allem durch das Anlegen und Veröffentlichen von Privatadressen in Erscheinung trat, in dessen Folge es zu Anschlägen kam. (mbr)

 

“Ein Plakat gegen Rechtsextremismus reicht aus, um ein Opfer rechtsextremer Gewalt zu werden“, kommentiert MBR-Projektleiterin Bianca Klose die derzeitige Entwicklung. Dies betreffe immer häufiger auch Menschen, die bis jetzt keine explizite Zielgruppe der rechtsextremen Szene waren. So ist das Engagement für Geflüchtete und Menschenrechte mittlerweile Grund genug, Ziel rechtsextremer Gewalt zu werden. Die Gründe dafür sieht Klose in einem gesellschaftlichen Rechtsruck. Die Täter_innen fühlten sich durch das gesellschaftliche Klima motiviert. Auch Menschen, die als Vertreter der“Lügenpresse“ oder „Gutmenschen“ bezeichnet werden, stellen mittlerweile Ziele dar. Vor der Bundestagswahl im September sei ein weiterer Anstieg der Gewalt zu befürchten, so Klose. Daher könne von Entwarnung keine Rede sein, trotz der Ruhe seit Februar. Alle Anwesenden betonen, dass Solidarität mit den Betroffenen ein wichtiges Zeichen sei. “Die aktuelle Situation in Neukölln verlangt aber auch eine deutliche Reaktion von Polizei und Justiz“, ergänzt Senator Dirk Behrendt.

 

Die Handreichung “Wachsam sein!“ der MBR, die bei der Pressekonferenz vorgestellt wird, richtet sich deswegen an Menschen, die bisher keine Erfahrungen mit Angriffen und Bedrohung von Rechtsextremen gemacht haben. Sie gibt Hilfestellungen, worauf bei Veranstaltungen, Infoständen und Demonstrationen zu achten ist, um sich vor rechtsextremen Übergriffen zu schützen. Klose betont, dass die Handreichung eine Anleitung zum Wachsamsein soll. Sie soll Ermutigen und keine Angst schüren. Einige einfache Vorkehrungen seien aber hilfreich, um sich zu schützen. Zum Beispiel die Privatadresse verdeckt zu halten und das Umfeld bei Veranstaltungen zu beobachten.

 

Für Christian von Gélieu sind diese Verhaltensweisen seit Anfang Februar Alltag: “Ich lasse mich nicht einschüchtern, aber man schaut sich schon um, wenn man zur Bushaltestelle geht.“ Es sei unmöglich kompletten Schutz zu haben, vor allem, wenn Familienangehörige betroffen sind. Er erfuhr in der Folge viele Solidaritätsbekundungen, einige Bekannte wandten sich aber auch ab, mit der Begründung, dass er mit Angriffen rechnen müsse, wenn er sich politisch engagiere. Trotzdem oder gerade deswegen, will Christian von Gélieu weitermachen: „Jeder Rückzug aus gesellschaftlichem Engagement ist ein Sieg für die rechten Feinde einer demokratischen und humanen Gesellschaft.“

 

Die Broschüre als Download finden Sie hier: http://www.mbr-berlin.de/aktuelles/neue-handreichung-gegen-rechte-und-rechtsextreme-bedrohungen/?back=%2F

 

Printexemplare können kostenlos bestellt werden über: info@mbr-berlin.de

 

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