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Rechte Szene Thüringen: Die NPD hängt sich an jedes Aufreger-Thema

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In Thüringen ist die NPD 2007 auch im vorpolitischen Raum aktiv; Foto (Archiv): hk

 

Uwe Schubert ist Berater von mobit – Mobile Beratung in Thüringen für Demokratie gegen Rechtsextremismus.

Wie sieht Rechtsextremismus in Thüringen derzeit aus?

Seit 2001 misst der „Thüringen-Monitor“ der Universität Jena die politischen Einstellungen der Thüringer Bevölkerung durch repräsentative Umfragen. Deshalb wissen wir, dass rund 20 Prozent der Thüringer rechtsextremen Einstellungen voll und ganz oder überwiegend zustimmen. Das ist für uns als mobiles Beratungsteam der Ansatz, mit dem man arbeiten muss. Die Menschen, die rechtsextrem organisiert sind, sind natürlich weniger.

Gibt es Schwerpunkt-Regionen?

Eisenach, Gotha und Jena sind klassische Schwerpunkt-Regionen. Im Ostthüringer Raum um Gera gibt es eine große Rechtsrock-Szene. Viele auch deutschlandweit bekannte Bands stammen von hier, wie etwa „Blutstahl“, „Eugenik“, die Black Metal-Band „Totenburg“ oder der Liedermacher Julmond. „Eternal Bleeding“ stammen aus dem nahegelegenen Altenburg. Entsprechend gibt es um Gera viele Konzerte, Internetlabels und Versandhandel. Eigentlich kann man sagen: Der Schwerpunkt zieht sich an den Autobahnen in Ost-, West- und Südthüringen entlang.

Welche sind die wichtigsten Organisationen?

Die wichtigste Partei ist die NPD mit ihrer Jugendorganisation JN. Für die NPD ist der Wahlkampf für die Kommunalwahl 2009 jetzt in vollem Gange. Nach den kommunalen Erfolgen in Sachsen und Mecklenburg-Vorpommern beflügelt die Partei besonders, dass sie bei der Bundestagswahl 2005 in Thüringen ihre zweitbestes Ergebnis nach Sachsen einholen konnten. Deshalb rechnen sich die Rechtsextremen in Thüringen für 2009 gute Chancen aus. Das ist eine neue Entwicklung, denn bei der letzten Landtagswahl 2004 hat die NPD mit 0,9 Prozent der Stimmen schlecht abgeschnitten und hat auch nur zwei Vertreter in Gremien bekommen, in den Wirtschaftsrat in Jena-Ostlobeda und über die DVU-Liste einen Stadtrat in Lauscha in Südostthüringen.

Auch die Szene der freien Kameradschaften ist sehr aktiv. Im Moment etwa passiert viel in Südthüringen. Wir beobachten neue Kräfte in Zella-Melis, im Thüringer Wald bei Suhl, Meiningen und in Hildburghausen. Schon länger existieren gefestigte Kameradschaftsstrukturen in der Region Eisenach und Gotha und in Jena.

Gibt es „lokale Spezialitäten“ der Szene?

In Thüringen gab es noch nie eine Trennung zwischen NPD und freien Kameradschaften, diese beiden Pole der Szene haben in Thüringen schon immer gut zusammengearbeitet. In den letzten Jahren geht aber auch hier der deutliche Trend dahin, dass viele Mitglieder der freien Kräfte auch in die NPD eintreten. Die hatte vor zwei Jahren in Thüringen noch rund 200 Mitglieder, jetzt sind es 400 bis 500. Entsprechend tragen die Kameradschaften alle NPD-Aktivitäten mit, Abgrenzungen gibt es keine. Anders herum melden auch NPD-Kader Veranstaltungen für Kameradschaften an oder mieten Räume. Dies erlärt die neue Stärke der NPD im vorpolitischen Raum (rechte Jugend und Musikszene).

Welche aktuellen Trends, Strategien beobachten Sie?

Ein Trend ist die strukturelle Ausweitung der NPD durch die Gründung von immer mehr Kreisverbänden. Die Mitgliederzahl der NPD in Thüringen hat sich in zwei Jahren mehr als verdoppelt. Entsprechend spalten sich bestehende Kreisverbände auf oder es gibt Neugründungen. Inzwischen gibt es 15 Kreisverbände – 2003 waren es noch 10.

Thematisch dreht sich in Thüringen bei der „Politik nach außen“ der Rechtsextremen derzeit alles darum, durch Engagement in sozialen Fragen ihre Anschlussfähigkeit unter Beweis zu stellen. Die Rechtsextremen haben sich an die Montagsdemos gegen Hartz IV angehängt – und die Veranstalter wollten sich oft nicht von ihnen distanzieren, „solange sie nur friedlich mitlaufen“. Die Taktik ging also leider voll auf.

Entsprechend besetzen sie jetzt das Thema Antikapitalismus – die Auftakt-Demonstration zur bundesweiten „Antikap-Kampagne“ der NPD fand im April 2006 im thüringischen Arnstadt statt. Auf kommunalpolitischer Ebene versucht die NPD etwa, sich an die „Familienoffensive“ anzuhängen, ein Volksbegehren gegen die neue Familienfördergesetz Thüringens, dass die Fraktionen von SPD, Grünen und FDP mit Gewerkschaften gestartet haben. Hier war man allerdings aufmerksam und hat eine NPD-Beteiligung nicht zugelassen. Die NPD hängt sich an jedes Aufreger-Thema: Widerstand gegen eine Stromtrasse durch den Thüringer Wald, das Aufstellen von Windkraftanlagen in der Nähe der Wartburg, Theaterschließungen. Und immer wieder fehlt Akteuren das Fingerspitzengefühl, so dass man schon mal NPD-Kader neben empörten Intendanten auf der Bühne sehen kann. Die NPD fasst es so zusammen, dass sie keinen „Aktionismus“ wollen, sondern ihr Gedankengut durch „geistvolle und konzeptionelle politische Arbeit vorantreiben“ wollen. Klassische Nazi-Themen wie etwa Rassismus oder Antisemitismus werden derzeit überhaupt nicht mehr nach außen getragen. Es gibt zwar weiter rassistisch motivierte Gewalt, die aber in der Regel nicht von organisierten Kreisen ausgeht.

Was die „Politik nach innen“ angeht, veranstalten die NPD und Kameradschaften weiter den alten „Nazi-Ringelpiez“: Geschichtspoltische Aktionen wie Rudolf Heß-Aufmärsche oder Besuche von Kriegerdenkmalen an Volkstrauertagen und Hitler-Geburtstagsfeiern.

Als wie bedrohlich schätzen Sie Rechtsextremismus in Thüringen derzeit ein und warum?

Für potenzielle Opfer rechtsextremer Gewalt ist Rechtsextremismus immer gefährlich. Zur WM 2006 sind wir oft nach No-Go-Areas in Thüringen gefragt worden. Da kann ich nur sagen: Ganz Thüringen ist eine No-Go-Area – und auch wieder nicht. Es kommt auf die Situation, die Tageszeit, den Ort an. Im letzten Jahr ist in Erfurt eine schwarze Sängerin angegriffen worden, die beim Domtreppenfestival, einem großen Opern-Event, mitgewirkt hat. Sie ist nach dem Event angegriffen worden, mitten auf dem Domplatz der Landeshauptstadt! Es ist die bittere Realität, dass rechtsextreme Gewalt überall passiert. Positiv ist dagegen zu vermerken, dass sich in den vergangenen sechs, sieben Jahren auch eine wesentlich aufmerksamere Zivilgesellschaft entwickelt hat. Inzwischen gibt es in jeder größeren Stadt und auch in vielen kleinen Orten Bündnisse gegen Rechtsextremismus gibt. Viele davon konnte die mobile Beratung durch Aufklärung und praktische Hilfe unterstützen. Auch die Presse berichtet offensiv über rechtsextreme Aktivitäten. Wenn Neonazis größere Aufmärsche planen, gibt es inzwischen eine große Mobilisierung dagegen, die durch alle gesellschaftlichen Bereiche geht.

Interview: Simone Rafael

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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