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Brennpunkt Autodafé, Teil 2 Eine kurze Geschichte der Bücherverbote

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Bücherverbrennung am 10. Mai 1933 auf dem Berliner Opernplatz. (Quelle: Bundesarchiv, Bild 102-14597 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0)

Banned in the USA“, so heißt der Titel einer Untersuchung, die jüngst vom Autor*innenverband PEN America veröffentlicht wurde. Der Titel erinnert an den gleichnamigen Song der kontroversen Hip-Hop-Gruppe Live 2 Crew aus dem Jahre 1990, der als selbstironische Antwort auf Bruce Springsteens 1984 erschienenen Klassiker Born in the USA gilt. Bei der von PEN America durchgeführte Untersuchung wiederum handelt es sich nicht um Satire, sondern um eine seriöse Angelegenheit: Im Rahmen eines von Erzkonservativen initiierten Kulturkampfes werden aktuell in den Vereinigten Staaten immer mehr Bücher aus Schul- und öffentlichen Bibliotheken entfernt.

Amerikanische Verhältnisse

Im ersten Teil dieser Kolumne ging es darum, wie Werke wie The Bluest Eye von Toni Morrison, The Fire next Time von James Baldwin und Gender Queer: A Memoir von Maia Kobabe dem Feldzug der Fundamentalist*innen zum Opfer fallen. Auch Anne Franks Tagebuch und Druckerzeugnisse über die Ermordung von Emmett Till werden ganz gezielt aus den Regalen der Büchereien geholt.

Der von PEN America geführte Index of School Book listet für den Zeitraum Juli 2021 bis Juni 2022 insgesamt 2.532 Fälle auf, in denen einzelne Bücher verboten wurden, 1.648 verschiedene Buchtitel. Betroffen waren 1.261 Autor*innen, 290 Illustrator*innen und 18 Übersetzer*innen, und die Maßnahmen beeinträchtigen das literarische, wissenschaftliche und kreative Schaffen von mehr als 1.500 Personen. Wiederum werden Abermillionen von Erwachsenen und Kindern als potenzielle Lesende dadurch benachteiligt.

Wie kann es sein, dass in dem Land, das sich die Freiheit auf sein Sternenbanner geschrieben hat und die Meinungsfreiheit womöglich noch höher bewertet als das Recht der Bürger*innen auf den Waffenbesitz, solche Zustände erduldet?

Tradition und Tendenzen

Bücherverbote haben in den Vereinigten Staaten gewissermaßen eine lange, mehrteilige Geschichte, die etliche Bände beansprucht.

Im 17. Jahrhundert war in der Neuen Welt die Verbrennung der Bücher eine typische Form der Zensur. Bereits 1650 wurde William Pynchons Broschüre The Meritorious Price of Our Redemption vom puritanischen kontrollierten Massachusetts General Court als fehlerhaft bezeichnet und als ketzerisch abgestempelt. Auf Anordnung jenes Gerichtes wurde das Werk auf dem Boston Common verbrannt, und damit zum ersten Titel, der von den britischstämmigen Kolonist*innen in Neuengland verboten wurde.

Heutzutage, etliche Jahrhunderte voller wegweisender, teils sich widersprechender Gerichtsurteile später, geht der Prozess des Bücherverbietens in den USA etwas weniger dramatisch vonstatten, aber mit nicht minder drakonischen Auswirkungen.

Verfahrenstechnisch betrachtet läuft das Verbieten sehr selten über die US-Bundesregierung. Denn diese wird meist „nur“ dann aktiv, wenn sie davon überzeugt ist, dass die Veröffentlichung eines bestimmten Werkes die nationale Sicherheit gefährden könnte. Selbstverständlich gibt es auch dort das Potenzial zum Machtmissbrauch, wie der Streit um die Pentagon-Papiere deutlich illustriert. Dabei handelt es sich genau genommen um eine geheime Studie des US-Verteidigungsministeriums zum Vietnamkrieg. Eine Studie, die von Daniel Ellsberg, einem der sechs Verfasser und dem späteren Whistleblower, quasi dem Edward Snowden der 1970er Jahre, teils in der New York Times und in der Washington Post publiziert wurde. Da ging es nicht um Bücher per se, sondern um Zeitungen, aber das problematische Prinzip der Prohibition gegenüber der Presse ist darin erkennbar.

Dann gibt es das sogenannte „Privishing“. Dabei erwirbt ein Verleger auf Geheiß der Regierung oder spezieller Interessenvertretungen die Rechte an einem Buch und sabotiert dann den Vertrieb bzw. die Vermarktung des Buches, selbst wenn eine solche Aktion gegen Verlagsverträge verstößt. Die Auflagenhöhe wird gekürzt, das Werbebudget verringert und Rezensierende werden diskret dazu animiert, das Werk zu verreißen. Ein Beispiel dafür ist der Umgang mit Gerard Colbys industriekritischem Buch Du Pont: Behind the Nylon Curtain (1984).

Es entbehrt nicht einer gewissen, wenn auch bitterbösen Ironie, dass Ray Bradburys Fahrenheit 451 aus dem Jahre 1953 auch die Zensur über sich ergehen lassen musste. Denn es dreht sich in dem dystopischen Roman unmittelbar um Bücherverbrennungen – der Titel basiert auf der Selbstentzündungstemperatur von Papier, nämlich 451 Grad Fahrenheit (ca. 233 °C). Schon 1967 wurde Fahrenheit 451 vom eigenem Verleger Ballantine Books für Oberstufenschüler „expurgiert“. Demgemäß wurden Wörter wie „Hölle“, „verdammt“ und „Abtreibung“ gestrichen und insgesamt rund 75 Passagen bereinigt. Die Maßnahme erinnert an die Mühen des englischen Arztes und Moralpredigers Thomas Bowdler, der 1818 vermeintlich unzüchtiges Material aus Williams Shakespeares Stücken löschte, um die Werke für Frauen und Kinder zumutbarer zu machen. Ähnlich überarbeitete er Edward Gibbons Verfall und Untergang des Römischen Reiches. Im Englischen hat sich der Begriff der „Bowdlerisierung“ eines Buches eingebürgert.

Heutzutage im US-Bundesstaat Florida, vom rechtsradikalen republikanischen Gouverneur Ron DeSantis regiert, ist die Bowdlerisierung kein Relikt aus der Vergangenheit, sondern ein Rüstzeug des Revisionismus direkt aus dem Arsenal des modernen Kulturkampfes. Mit der aktiven Zustimmung von DeSantis werden in neuen Schulbüchern Schwarze Versklavte euphemistisch als Black Immigrants bezeichnet. Parallellaufend erscheint in einem 216 Seiten langen Dokument die neuen Standards des Bildungsministeriums Floridas, wonach die Versklavten durch ihre Beschäftigung „Fähigkeiten entwickelt hätten, welche in einigen Fällen zu ihrem persönlichen Vorteil eingesetzt werden könnten“. Verschleppte Menschen afrikanischer Abstammung werden in Azubis umgedeutet.

Heutige Taktiken

Die Mechanismen, die hinter dem modernen Verbot der Bücher stehen, sind erstaunlich einfach. Die Prozedur läuft in der Regel dergestalt: Das Buch wird eher auf lokaler Ebene „angefochten“. Die Rede ist von content challenging. Wegen des Inhaltes versucht man, ein bestimmtes Buch aus einer Bibliothek, einer Bildungsinstitution, oder einer Behörde zu entfernen. Dies geschieht vorwiegend im Rahmen des Schulbezirks. Eltern, die als christlich-konservative Mitglieder der sogenannten „besorgten Bürgerschaft“ zugerechnet werden können, üben Druck auf die lokale Schulbehörde aus – deren Mitglieder gewählt werden. Ebenda, wo die Republikaner*innen die Mehrheit haben, geht es am einfachsten. Ist der Gouverneur des betroffenen Bundesstaates auch republikanisch, wie beispielsweise in Florida oder auch Texas, können die Antragssteller*innen durchaus mit großer Unterstützung rechnen. So kann es tatsächlich sein, dass unerwünschte Bücher gewissermaßen abgewählt werden, weil diese den Lackmustest der Antragssteller*innen nicht bestehen.

Gegner*innen der Bücherentfernung weisen auf die US-Verfassung hin. Es geht um First-Amendment-Rechte auf, unter anderem, die Redefreiheit und die Pressefreiheit. Die Entfernung eines Buches sei demnach ein verfassungswidriges Verbot. Andererseits jedoch, so die Eltern, die das Buch verbieten wollen, garantiert der erste Zusatzartikel zur Verfassung ihnen ein Petitionsrecht, das nicht eingeschränkt werden dürfe. Selbstverständlich landet der Fall vor Gericht, und konservative Lobbyist*innen mit tiefen Taschen finanzieren den Kulturkampf allzu gerne. Während die Causa in der ellenlangen juristischen Warteschleife steckt, werden immer weitere Werke verbannt und durch Bücher mit entsetzlichen Umschreibungen ersetzt. Siehe den Fall der Zweitmeinungsbücher über den Holocaust im Schulbezirk von Southlake, Texas. Zu den vielen Leidtragenden zählen ganz Jahrgänge voller Schulkindern und die Demokratie selbst.

Deutschland: Verbote und Vorboten

„Gegen volksfremden Journalismus demokratisch-jüdischer Prägung, und für verantwortungsbewusste Mitarbeit am Werk des nationalen Aufbaus, übergebe ich der Flamme die Schriften von Theodor Wolff und Georg Bernhard!“ So brüllte man herum, als am 10. Mai 1933 die Nationalsozialist*innen die Bildung und die Kultur boshaft und selbstdienend unter Generalverdacht stellten. Mit ihren „Feuersprüchen“ warfen sie am Berliner Opernplatz zahlreiche Werke des „undeutschen Geistes“ in die Flammen.

Im Jahre 2003 fasste Klaus Wowereit (SPD), damals Regierender Bürgermeister Berlins, zusammen: „Im Feuer verbrannten zuerst die Bücher, dann die Synagogen und schließlich die Menschen!“ In Anlehnung an Heinrich Heines Mahnung aus Almansor: „Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man auch Menschen.“

Die schiere Verbannung eines Buches beinhaltet schon die Einäscherung des freien Geistes und die Auslöschung der Geschichte. Das gilt ebenfalls für das Internet, das viel zu optimistisch als potenzielle Ausweich- bzw. Zufluchtsstätte für die bedrohte Literatur angesehen wird. Schließlich geht es den Verfechter:innen der Verbannung nicht um die Zerstörung eines Druckerzeugnisses, sondern um die Unterwerfung des Menschen.

Foto: Bundesarchiv, Bild 102-14597 / Georg Pahl / CC-BY-SA 3.0

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