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„Das konnte ich doch nicht wissen!“

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Sprache schafft Wirklichkeit (Quelle: Cloud via Wordle/flickr/CC-Lizenz/leralle/Kombo NgN)

Sheila Mysorekar ist Vorsitzende der Neuen deutschen Medienmacher. Der Verein hat es sich zur Aufgabe gemacht, für mehr Vielfalt in den Medien zu kämpfen. Entsprechend genau ist der Blick auf unangemessene Berichterstattung, Sprache oder Fotos bei Themen, die Migrantinnen oder Migranten betreffen. In einer neuen Broschüre berichtet Mysorekar von der häufigsten Antwort, die sie erhält, wenn sie Kolleginnen oder Kollegen darauf anspricht: „Das konnte ich doch nicht wissen!“ Im Vorwort der Broschüre schreibt sie darauf:

„Aber ist es wirklich so – kann man das nicht wissen? Dass es einen Unterschied gibt zwischen ‚Ausländerfeindlichkeit‘ und Rassismus, dass die Worte ‚Farbiger‘ und Schwarzer nicht synonym sind? Dass das Bild einer kopftuchtragenden Frau nicht die beste Wahl ist, um einen Artikel über Islamismus zu bebildern? Dass Afrika von Völkern und nicht von Stämmen bewohnt wird?“

Mysorekar meint, man müsse es nicht wissen, aber man könne – wenn man über diese Themen nachdenken würde. Doch vielen weißen deutschen Journalistinnen und Journalisten seien die Belange von Migrantinnen und Migranten, Schwarzen Deutschen oder Flüchtlingen nicht wichtig genug, um sich ernsthaft damit auseinanderzusetzen, ob ihre Berichterstattung adäquat sei.

Sprache kann gewaltvoll sein

Daneben gebe es aber auch Kolleginnen und Kollegen, denen schlicht die Zeit oder der Zugang fehle, um sich besser zu informieren. Ihnen soll die Broschüre „Leitfaden für einen rassismuskritischen Sprachgebrauch“, den das AntiDiskriminierungsBüro (ADB) Köln des Vereins Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V. nun herausgegeben hat, eine Hilfestellung geben. Auf 52 Seiten informiert sie über verschiedene Aspekte der Berichterstattung über unterschiedliche Personengruppen, so etwa über Musliminnen und Muslime oder Schwarze Menschen in Deutschland. Aber auch Antiziganismus in der Berichterstattung oder die Schlagzeilen zum NSU-Anschlag in der Kölner Keupstraße werden behandelt. Daneben gibt der Leitfaden einen Überblick, wie bestimmte Stereotype und Bilder entstanden sind.

„Sprache kann gewaltvoll und verletzend sein“, erklärt Ilka Simon, Referentin und Koordinatorin für Antidiskriminierungsarbeit des ADB Köln. „Der Leitfaden soll interessierten Journalistinnen und Journalisten dabei helfen, eigene Bilder und Vorgehensweisen zu hinterfragen und so verletzender Sprache keinen Raum zu geben.“

Praktische Tipps für den Redaktionsalltag

Die Broschüre will allerdings nicht nur Missstände in der Berichterstattung kritisieren, sondern auch ganz praktische Tipps geben, um versehentliche Verletzungen zu vermeiden. So schließt das Kapitel „Über Schwarze Menschen in Deutschland berichten“ etwa mit einem „Selbstcheck“. Darin heißt es:

Zur Selbstüberprüfung persönlicher Bilder nutzen Sie den Rollentausch! Setzen Sie jeweils „weiße Menschen“ in den jeweiligen Kontext ein, um zu entscheiden, ob sie sich dann immer noch so ausdrücken würden.

Vermeiden Sie Zitate, die Protagonisten zu „Anderen“ oder „Fremden“ machen, die Hierarchien zwischen weißen und Schwarzen Menschen aufbauen oder rassistische Begriffe oder Bilder enthalten (auch wenn sie gut gemeint sind).

Kommentieren und ordnen Sie Zitate kritisch ein, sollte eine Reproduktion von rassistischen Diskursen oder Begriffen unvermeidlich sein.

Öffnen Sie den Diskurs und lassen Sie auch Schwarze Menschen zu Wort kommen, wenn es um ihre Themen geht. Es gibt viele Expert_innen und Interessenverbände, die Auskunft bieten.

Hinterfragen Sie sich selbst! Welche Bilder und Assoziationen schaffen Sie in den Köpfen Ihrer Leser_innen mit Ihren Ausführungen – selbst wenn Sie das nicht wollten.

Respektieren sie politische Selbstbezeichnungen – nutzen Sie das Wort „Schwarz“ zur Bezeichnung, auch wenn es Ihnen komisch erscheinen mag – aber nur, wenn es einer Beschreibung der gesellschaftlichen und politischen Positionierung auch wirklich bedarf.

Benutzen sie nicht das N-Wort, „Farbige“ oder sonstige kolonialrassistische Erbstücke der deutschen Sprache.

Keine leichte Lektüre

Die Broschüre ist nicht der erste Versuch, Journalistinnen und Journalisten zu einem rassismuskritischen Sprach- und Bildgebrauch zu ermuntern. Die Neuen deutschen Medienmacher weisen regelmäßig darauf hin und haben in einem Blogpost etwa folgende Anregungen veröffentlicht:

„Türken“ oder „Ausländer“: Diese Bezeichnung ist sinnvoll, wenn es sich um Menschen „aus/in der Türkei“ bzw. aus dem Ausland (z.B. Touristen) handelt. Für Menschen mit Migrationshintergrund ist er schlichtweg falsch, da viele die deutsche Staatsbürgerschaft haben und – diskriminierungsfrei betrachtet – Deutsche sind.

„Fremdenfeindlich“: Nur wenn die Taten gegenüber Fremden, wie z.B. Touristen verübt wurden.

„Ausländerfeindlich“: Richtet sich der Hass nicht auch gegen Deutsche mit Migrationshintergrund? Zutreffend: „rassistisch“.

Wirft man allerdings einen Blick in die Medien, unabhängig von deren politischer Ausrichtung, dann merkt man schnell, dass immer noch viele Begriffe gedankenlos eingesetzt werden.

Umso wichtiger sind Broschüren wie die nun erschienene Handreichung, um weiter Bewusstsein zu schaffen und zu sensibilisieren. Dabei ist der Leitfaden in seiner Gesamtheit keine leichte Lektüre – aber das ist das Hinterfragen eigener Klischees und eingefahrener Bilder selten. Es bleibt zu hoffen, dass möglichst viele Journalistinnen und Journalisten sich dennoch die Mühe machen, die Broschüre zu lesen und bei ihrer täglichen Arbeit im Hinterkopf zu behalten – passend zum Motto der Handreichung „Sprache schafft Wirklichkeit“.

Die Veröffentlichung der Broschüre wurde durch die Kooperation mit der Heinrich Böll Stiftung NRW sowie durch finanzielle Mittel der Stadt Köln, der Amadeu Antonio Stiftung sowie des Vereins Öffentlichkeit gegen Gewalt e.V. ermöglicht. In Kürze soll zudem ein kleines Glossar erscheinen, welches diskriminierende Begrifflichkeiten benennt und mögliche Alternativlösungen anbietet.

Weitere Informationen:

AntiDiskriminierungsBüro Köln (Homepage)Mediendienst Integration (Homepage)War doch gar nicht so gemeint! (Neue deutsche Medienmacher)In den Medien stinkt es! (migrantenstadl)

Service:

Der Leitfaden kann hier oder am Ende des Artikels heruntergeladen werden sowie unter folgender Adresse gegen Porto oder eine freiwillige Spende bestellt werden:

AntiDiskriminierungsBüro (ADB) KölnÖffentlichkeit gegen Gewalt e.V.Berliner Str. 97-9951063 Köln

Tel. 0221/96476300

E-Mail: info@oegg.de

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