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Kommentar Pegida – War es das jetzt?

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Anetta Kahane ist Vorsitzende des Vorstands der Amadeu Antonio Stiftung (bis Ende März 2022); Foto: MUT

Es hat gezeigt, dass in Zeiten der Sozialen Netzwerke Gruppen mobilisiert werden können, die sich sonst kaum aus ihren Fernsehsesseln erheben. Und es hat bewiesen, dass auch diese Leute gern einmal die Woche gern mit Gleichgesinnten spazieren gehen, selbst im Winter und ganz besonders im schönen Dresden. Aber auch von der anderen Seite betrachtet, hat Pegida geholfen zu verstehen. Mehr als 100 000 Menschen sind gegen Ressentiments und für die offene Gesellschaft gegen Pegida auf die Straße gegangen, viel mehr als die dumpfen Wutbürger. Es brauchte keine staatliche Aufforderung, anständig zu sein, die Leute überall in Deutschland waren es von sich aus. Überall organisierten sie Proteste gegen den Rassismus der Pegidisten. Das war erstaunlich, toll und erfreulich. Es zeigt, dass Pegida keineswegs repräsentativ ist für Deutschland und dass es sich lohnt, weiterzumachen in dem Bemühen für Gleichwertigkeit.

Diese Botschaft hat einen Unterschied gemacht zu früheren Konflikten dieser Art. Vor 20 Jahren oder vor 10 Jahren ist die Solidarität vor allem mit Flüchtlingen in Deutschland keineswegs selbstverständlich gewesen und unvorstellbar war, dass Menschen für sie und ihren Schutz auf die Straßen gehen. Das zu bemerken ist wichtig, denn es zeigt wie eine Gesellschaft sich zu entwickeln in der Lage ist. Es gibt uns Hinweise dafür, wie wir selbst verantwortlich sind und dass wir Erfolg haben können mit dem, was wir tun. Deswegen sollten wir diesen Erfolg nicht abtun, sondern verstehen. Auch als Impuls für Optimismus, denn Pessimismus allein ist selbstgefällig und kraftlos macht. Sicher gibt es zu viele Pegidisten, die nicht verschwinden nur weil sie nun montags weniger spazieren. Und nach wie vor steigt die Zahl der Angriffe auf Flüchtlinge. Allein 2014 hat sie sich gegenüber dem Vorjahr verdoppelt. Deshalb müssen wir auch weitermachen und an allererster Stelle die Flüchtlinge schützen.

Antisemitismusforschung ohne jüdische Perspektive

Doch eine andere Sorge bleibt. Nach den jüngsten Umfragen hat sich der Antisemitismus nicht verändert. Im Gegenteil: Im Zeitalter der Verkürzungen sind Verschwörungstheorien zu einer Art Volkssport geworden. Kritik am System verwandelte sich zu einer Ablehnung der Demokratie. Die unzähligen Varianten der Verschwörungstheorien laufen am Ende immer auf ein antisemitisches Weltbild hinaus. Der Antisemitismus kehrt gewissermaßen an seinen Ursprung zurück. Er braucht das Projektionsfeld Israel dafür nicht mehr unbedingt, er kann auch ohne diesen Umweg hinter allem Schlechten den Juden sehen. Gerade in der Zeit des Gedenkens zum 70. Jahrestag der Befreiung des KZ Auschwitz schießen antisemitische Beschimpfungen wieder in die Höhe. Besonders jüdische Einrichtungen sind davon betroffen. Im Minutentakt treffen dort Drohungen ein.

Doch wer bewertet eigentlich was Antisemitismus ist und was nicht? Deutschland leistet sich ein Zentrum für Antisemitismusforschung, das eine jüdische Perspektive eher subjektiv und übertrieben findet. Der tägliche Druck, den Jüdinnen und Juden spüren, gilt als unsachlich. Wohl auch aus diesem Grunde arbeitet im Zentrum für Antisemitismusforschung kein einziger Jude. Das Gleiche gilt für die gerade eingesetzte Expertenkommission gegen Antisemitismus beim Bundestag. Unter den Mitgliedern kein Jude. Ginge auch eine Konferenz gegen Islamhass ohne Muslime? Oder eine Kommission gegen Sexismus ohne Frauen? Oder ein Antirassismus-Konvent ohne People of Color? Natürlich nicht. Bei Juden ist das etwas anderes. Der deutsche Opferstolz braucht keine jüdische Perspektive. Er ist sich selbst genug. Auch darin steckt ein Stück Antisemitismus. So wie es unsäglich wäre, wenn Weiße unter sich blieben, um darüber zu urteilen, ob Schwarze nicht übertreiben, wenn sie von Rassismuserfahrungen berichten. Daher kann die Diskussion über Antisemitismus unter den Nachfahren der Täter nur als zynisch betrachtet werden.  Antisemitismus ist und bleibt die große Herausforderung für Europa.

Wer Jüdinnen und Juden in Europa und in Deutschland will, sollte sie und ihre Perspektive ernst nehmen.

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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