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#Deutschrapmetoo Sexualisierte Gewalt im Rap

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(Quelle: Screenshot)

TRIGGERWARNUNG: Der folgende Text beschäftigt sich mit Vorwürfen sexuellen Missbrauchs.

Ausgelöst wurde #Deutschrapmetoo-Debatte von der Influencerin Nika Irani, die via Instagram dem bekannten Rapper Samra vorgeworfen hat, sie vergewaltigt zu haben.In einer Instagram-Story schilderte sie den Vorfall, der sich im Juni 2020 ereignet haben soll. Samra soll sie im Schlafzimmer seines Tonstudios in Brandenburg gewürgt und auf das Bett geworfen haben. Er habe sie schließlich vergewaltigt, so Iranis Vorwürfe. Laut eigener Aussagen hat sie den Fall nicht zur Anzeige gebracht. 

Einige Tage später meldete sich dann auch der Beschuldigte, der mit bürgerlichem Namen Hussein Akkouche heißt, ebenfalls bei Instagram zu Wort. Er hat 1,7 Millionen Abonnent:innen. Er bestreitet, je jemanden vergewaltigt zu haben, und kündigte an, den Sachverhalt von der Staatsanwaltschaft klären zu lassen. Kurz darauf veröffentlicht er Videos, in denen er Irani, ohne ihren Namen zu nennen, als Lügnerin bezeichnet sowie „die Presse“ beschimpft. Samra ist einer der bekanntesten Rapper Deutschlands. Sein Label Universal hat angekündigt, bis zur Klärung des Sachverhalts die Zusammenarbeit ruhen zu lassen

Die #MeToo-Bewegung entstand im Oktober 2017, als Frauen unter dem Hashtag MeToo weltweit über Erfahrungen von sexualisierter Gewalt berichten. Anstoß war der Skandal um den Hollywood-Produzenten Harvey Weinstein, der von diversen Schauspielerinnen der sexuellen Belästigung, Nötigung oder der Vergewaltigung beschuldigt wurde. Weinstein wurde am 11. März 2020 zu 23 Jahren Gefängnis verurteilt, legte jedoch gegen das Urteil Berufung ein. 

 

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In Deutschland blieb die Bewegung vergleichsweise klein. Hauptsächlich betraf sie die Schauspielbranche. Die Rapszene überstand sie weitestgehend unbeschadet. Das ändert sich derzeit. Immer mehr Rapper:innen äußern sich zum Thema, einige gestehen ein, dass sie Szene ein massives Problem mit Sexismus hat, andere wiederum betreiben klassische Täter-Opfer-Umkehr und nehmen Samra vor den Anschuldigungen in Schutz. Und dennoch ist in der Rap-Community etwas losgetreten worden. 

100.000 Follower:innen veröffentlicht Rapper belastendes Video

Allerdings nimmt die Debatte momentan teilweise sehr absurde Züge an: Wohl auch zu Promo-Zwecken kündigte der Aachener Rapper CashMo am 25. Juni an, ein Video zu veröffentlichen, dass zum Sturz einer großen Rap-Legende führen würde, es ginge um sexuellen Missbrauch — das Video würde er allerdings erst veröffentlichen, wenn er die 100.000 Follower-Marke geknackt habe. In kurzer Zeit, und mit viel Follower-Empfehlungen etlicher Rap-Kollegen, unter ihnen auch der Rapper Twin, der bereits 2011 auf einem Song der rechtsextremen Band Kategorie C gefeatured wurde, veröffentlichte CashMo schließlich das Video. Es zeigt den Rapper Bushido vor 16 Jahren in einem Hotelzimmer beim Versuch ein möglicherweise noch minderjähriges Mädchen, zu sexuellen Handlungen zu überreden. Zwar spricht sich CashMo in dem Video immer wieder gegen Vergewaltigung aus, und dass sexueller Missbrauch in diesem Business keinen Platz habe. Allerdings wirkt sein Vorgehen eher wie der Versuch, dem Rapper Bushido zu schaden, statt tatsächliche Aufklärungsarbeit zu leisten. Er versucht, Profit aus sexueller Gewalt zu schlagen, in dem er seine Followerzahl in die Höhe treibt und indem er seinem Rivalen schadet. CashMo spricht davon, „jetzt in den Krieg [zu] ziehen“ und erst wenn Bushido „gecancelt“, also aus der Öffentlichkeit verbannt, werde, sei alles gut. 

Dabei ist natürlich nicht alles gut, wenn Bushido nun gecancelt wird, es geht schließlich um viel mehr Fälle als diesen. Es geht darum, ein strukturelles Problem in dieser Branche sichtbar zu machen. Doch das geht nicht, in dem ein breitbeiniger Rapper, schlimmstenfalls auf Kosten der Opfer von sexualisierter Gewalt, aus Lippenbekenntnissen Ruhm zu ziehen versucht. Für die Leiden und den schweren psychischen Schäden, den sexuelle Gewalt bei Betroffenen anrichtet, bleibt so nichts übrig. 

Die misogyne Grundhaltung vieler Rapper

Es scheint, als nutzten Teile der Rap-Community das ernsthafte Problem der sexuellen Gewalt in ihren Reihen dazu, interne Streitigkeiten auszutragen — alles unter dem Deckmantel, man wolle den Frauen helfen. Dabei bedarf es doch gerade im Deutschrap einer ernsthaften Aufarbeitung dieses Themas: Zum einen ist kein anderes Musikgenre in Deutschland so erfolgreich, besonders bei jungen Menschen, zum anderen transportieren immer noch viel zu viele Raptexte misogyne, also frauenfeindliche, Vorstellungen. 

Beispiel gefällig? Der noch minderjährige Nachwuchs-Rapper Agir veröffentlichte vergangene Woche einen Disstrack gegen Nika Irani. Er rappt darin: 

„Nika Irani gibt Loch auf der Party, ich hab sie erwischt mit ein Glas Asmarani, du würdest gern ficken mit Capi auf Bali […] Du hast mehr Arsch als ich Barthaare, also warte mal paar Tage. Willst 3k über PayPal, gib dir Fuffi, ist besser weil ich einfach bar zahle. Rede nicht viel. Du brauchst weiße Kreide. Zerrissene Unterhose, ist die hier von Seide, bist nackt und am Bahnhof, also sei mal leise. Du willst Fisch riechen? Nika, spreiz deine Beine”.

Alles nur Show?

Deutschrap ist die beliebteste Musikrichtung vieler junger Erwachsener, auf Streamingportalen wie Spotify und YouTube erreichen die Songs enorme Klickzahlen – trotz teils hochproblematischer Inhalte. Denn die Künstler:innen sind immer auch Vorbilder und Inspiration für ihre Fans, mit all ihrem Gebaren, von dem sie so viel auf Instagram veröffentlichen. Doch auch wenn viele Rapper:innen vorgeben, eine besonders harte Kunstfigur darzustellen, ist es doch fraglich, ob die Fans, die via Instagram das Gefühl bekommen, immer ganz nah am Leben des Idols dran zu sein, diese Unterscheidung machen können. Wenn Rapper:innen, auch als Kunstfigur, misogyne Grundhaltung in ihren Videos und in ihren Texten zur Schau stellen, müssen wir uns fragen, ob solche Inhalte nicht auch zu Gewalt animieren, mit einer Wirkung sowohl bei den Künstlern wie auch bei den Fans, die ihren Idolen nacheifern wollen. Wenn Rapper ganz offen über Gewalt gegen Frauen rappen, als sei es das normalste der Welt, hat das eine Wirkung auf die Zuhörer:innen.

Es geht um Zeilen, wie die des Rappers Nimo: „Deine Ex-Freundin ist aus der Fassung. Ich fick‘ sie fast tot, sie liegt im Wachkoma . La, la, la vida loca“. Der Track wurde allerdings nach den Vorwürfen gegen Samra vom Label von sämtlichen Streaming-Plattformen entfernt. Mittlerweile werden bereits die ersten Stimmen der Szene laut, dass man sich gecancelt fühle. 

#deutschrapmetoo will Sichtbarmachen 

Die nun losgetretene #MeToo-Welle innerhalb der Rap-Szene ist dringend nötig und längst überfällig. Im Zuge dessen haben anonyme Aktivistinnen einen Instagram-Account namens „deutschrapmetoo“ erstellt, und sammeln dort die Geschichten von Frauen, die innerhalb der Rap-Szene sexualisierte Gewalt erfahren haben. Sie wollen sexualisierte Gewalt im Deutschrap sichtbar machen, außerdem wollen sie Betroffene untereinander vernetzen. 

Wenn Machtmissbrauch zu sexueller Gewalt führt, ist das nicht alleine ein Problem des Deutschraps. Überall da, wo sich Macht konzentriert, können Menschen mit viel Macht Missbrauch betreiben. Und das betrifft eben nicht nur die Deutschrap-Branche sondern beinahe alle gesellschaftlichen Bereiche. Auch in zahlreichen anderen Musikgenres, wie im Pop und im Schlager, finden sich Songs mit sexistischen Aussagen, stereotypen Geschlechtervorstellungen und auch Inhalte die Gewalt an Frauen legitimieren. Nach wie vor ist ein hierarchisch und patriarchal geprägtes Geschlechterverhältnis in unserer Gesellschaft wirkmächtig, daher scheinen Texte mit sexistischen Inhalten, aber seichterer Melodie, wie im Pop, oft unproblematisch. Das besondere am Deutschrap ist allerdings ein weiterhin weit verbreitetes misogynes Frauenbild bei vielen Künstlern, das sie auch in ihren Texten verarbeiten. Und trotzdem (oder vielleicht gerade deswegen) spielen sie sich trotzdem zuverlässig immer wieder an die Spitze der Charts. 

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