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„Down the rabbit hole“ Warum glauben Menschen an Verschwörungsideologien?

(Quelle: Unsplash)

Down the rabbit hole“ heißt eine neue Handreichung von No World Order, einem Projekt der Amadeu Antonio Stiftung und gibt Einblicke in Hintergründe, aktuelle Entwicklungen und Möglichkeiten der Intervention. Der folgene Text ist ein Auszug aus der Broschüre.

Verschwörungsideologien erfüllen dem Politikwissenschaftler Armin Pfahl-Traughber zufolge im Wesentlichen vier Funktionen. Dabei ist wichtig zu beachten, dass diese nicht notwendigerweise bewusst auf einen bestimmten Zweck ausgerichtet zur Anwendung kommen. Sie umfassen die Sinnstiftungs- und Erkenntnisfunktion, die Identitätsfunktion, die Manipulationsfunktion sowie die Legitimationsfunktion.

Sinnstiftungs­ und Erkenntnisfunktion – Das Leid hat einen Sinn

Die Zusammenhänge der Gesellschaft sind vielschichtig und unübersichtlich. Vieles passiert außerhalb dessen, was Menschen direkt mit ihren Sinnen wahrnehmen können, oder ist so komplex, dass es nicht gänzlich erfasst werden kann. Verschwörungsideologien bieten ganz allgemein die Möglichkeit, gesellschaftliche und historische Ereignisse basierend auf Glaubensgrundsätzen zu ordnen und mit einem höheren Sinn zu versehen. Dies haben sie mit der Esoterik und Religionen gemein, vor allem wenn es um die Frage geht, warum auch guten Menschen Schlechtes widerfährt. Verschwörungsideologien vereinfachen jedoch die gesellschaftlichen Zusammenhänge in unzureichender Weise, wenn sie bestimmte Feind:innen alleinig für das Leid in der Welt verantwortlich machen. Dabei folgen Verschwörungsideologien einer scheinbar überlegenen Logik. Sie können auch zwischen nicht-zusammenhängenden oder widersprüchlichen Ereignissen Verbindungen herstellen, wie etwa zwischen persönlichem Unwohlsein und Kondensstreifen von Flugzeugen in der Verschwörungserzählung der „Chemtrails“. Für Verschwörungsideolog:innen ist die Welt nicht kompliziert, sie scheint nur so zu sein.

In der Vorstellung einer einzigen großen Weltverschwörung befähigt die Sinnstiftungs- und Erkenntnisfunktion ihre Anhänger:innen, alle geschichtlichen und gesellschaftlichen Ereignisse zu ordnen; sie wird zur Welterklärung. Die Welt ist eingerichtet, wie sie ist, weil die mächtige Weltverschwörung dies so geplant hat. Sie hat alles Leid zu verantworten.

Identitätsfunktion – „Wir“ gegen die Anderen

Die Identitätsfunktion von Verschwörungsideologien bedient ein wichtiges Bedürfnis der Menschen in der Moderne nach Gemeinschaft. Gefühlen der Vereinzelung und Unbestimmtheit setzen Verschwörungsideologien klare Gruppen entgegen. Sie bieten ihren Anhänger:innen leicht anschlussfähige, konkrete Identitätsentwürfe, die vor allem über die Abgrenzung zu den angebotenen Feindbildern entstehen. Die Beschreibungen der eigenen und der gegnerischen Gruppe sind verbunden mit einem dualistischen, also zweigeteilten Weltbild: Verschwörungsideolog:innen benennen allgemein ihre Feind:innen als „böse“, womit sie gleichzeitig zum Ausdruck bringen, dass sie zu den „Guten“ gehören. Die Einteilung und Beschreibung beider Gruppen erfolgt parallel. Dies geschieht auch dann, wenn scheinbar nur über die Feind:innen eine Aussage getroffen wird. In diesem Fall wird das Eigene als Gegenteil vorausgesetzt. In der nachfolgenden Tabelle sind einige allgemeine Eigenschaften der beiden Gruppen in Verschwörungsideologien abgebildet, die sich aus dem dualistischen Weltbild ableiten lassen.

Die Einteilung der Welt in „Gut“ und „Böse“ durch Verschwörungsideolog:innen hat nicht zum Resultat, dass alle Zuordnungen des Guten damit vollständig verwerflich wären. Vielmehr besteht das Problem in der ausschließlichen Zuschreibung zu einer Seite. Widersprüche und Ambivalenzen werden nicht zugelassen. Schlimmer noch: Verschwörungsideologien ermöglichen es, Widersprüche durch eine Verschwörungserzählung aus der Welt zu schaffen, um das eigene Weltbild und die eigene Position darin widerspruchsfrei zu halten (Sinnstiftungs- und Erkenntnisfunktion). Wenn etwa eine Person, die der Seite des „Bösen“ zugeordnet wird, etwas „Gutes“ tut, muss dies nicht zu einem Nachdenken über diese Zuordnung führen. Es kann stattdessen als Teil eines Plans interpretiert werden, dessen wahre Bösartigkeit (noch) geheim gehalten wird.

Innerhalb der „Guten“ unterscheiden Verschwörungsideolog:innen zwischen sich und den anderen Betrogenen, die jedoch noch nichts von der vermeintlichen Verschwörung wissen. Dies macht die Verschwörungsideolog:innen wiederum zu „Wissenden“ oder „Erwachten“ und damit innerhalb der Mehrheit der Betrogenen zur Elite. Für die Unwissenden werden häufig Bezeichnungen genutzt, die auf ihre Unwissenheit und Folgsamkeit hinweisen, wie etwa „Schlafende“, „Schafe“ oder „Schlafschafe“. Gleichzeitig wird mit dieser Unterscheidung auch die Aufgabe verbunden, die „Schlafenden“ zu wecken und von der Verschwörungsideologie zu unterrichten. Dadurch erheben Verschwörungsideolog:innen sich aus ihrem selbsternannten Opferstatus und machen sich zu Held:innen ihrer eigenen Erzählung. Im Film Matrix, der innerhalb verschwörungsideologischer, besonders antifeministischer Kreise sehr beliebt ist, wird dies durch das Einnehmen einer roten Pille („Redpilling“) dargestellt. Dem Protagonisten werden im Film vom Anführer der „Guten“ zwei Pillen angeboten: eine rote, die ihm nach der Einnahme ermöglicht, hinter die Kulissen zu blicken und seine Welt als Computersimulation zu erkennen, und eine blaue, nach deren Einnahme er das Treffen vergessen und sein Leben auf gewohnte Weise fortsetzen würde.

Feindbilder: Die Anderen sind die Bösen

Die Feindbilder von Verschwörungsideologien bestehen aus einem Sammelsurium an sozialen, politischen oder moralischen Zuschreibungen. Die Feind:innen werden als „Agenten des Bösen“ beschrieben, als Handlanger des Teufels, des Antichristen oder des Bösen an sich. Aus der Perspektive der Verschwörungsideolog:innen ist deren hauptsächliche Handlungsmotivation, die Gruppe der Verschwörungsideolog:innen zu beseitigen. Besonders heimtückisch dabei: Die Feind:innen sind nicht nur eine Bedrohung von außen, sie sind auch im Innern (des Staates, des Volkes etc.) aktiv.

Je weiter sich ein solches Denken radikalisiert, desto mehr wird der Dualismus von „Gut“ und „Böse“ zu einem Manichäismus: Ein manichäisches Weltbild geht davon aus, dass die Welt aus guten und bösen Mächten besteht, die sich in Konkurrenz zueinander befinden und auf ein entscheidendes, letztes Gefecht zusteuern.

Das „Böse“ existiert demnach nicht einfach für sich, sondern es stellt eine existenzielle Bedrohung für das Gute dar. Der verschwörungsideologische Manichäismus transportiert somit stets Erwartungen einer Apokalypse und erhöht dadurch den Handlungsdruck seiner Anhänger:innen. Für sie ist es beständig „fünf vor zwölf“, die Welt immer kurz vor ihrem Untergang. Sie sehnen sich nach der Apokalypse, da sie nicht nur einen gewaltsamen Ausbruch aus der gefühlten Hilfslosigkeit verspricht, sondern eine neue Weltordnung, in der nur noch das Gute und keine Widersprüche mehr existieren. Da die letzte Schlacht auch verloren werden kann, bedeutet dies: Paradies oder Tod. In beiden Fällen endet das Leiden.

Um die Feind:innen zu beschreiben, greifen Verschwörungsideolog:innen auf verschiedene Geschichten, Mythen und Figuren zurück, die als Wissen in ihren Gesellschaften vorhanden sind. Problematisch ist hierbei, dass gerade über die Gruppe der Jüdinnen und Juden viele Mythen und Vorurteile existieren, die in Verschwörungsideologien als Beschreibung der Verschwörer:innen genutzt werden.


Die neue Broschüre Down the rabbit hole — Verschwörungsideologien: Basiswissen und Handlungsstrategien können Sie hier herunterladen oder bestellen.

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