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G20, die Gewalt des totalitären Denkens und eine globale Zukunft für alle

Von|
Anetta Kahane (Quelle: Amadeu Antonio Stiftung)

 

Von: Anetta Kahane

 

Die Amadeu Antonio Stiftung, dies sei gleich am Anfang gesagt, verurteilt uneingeschränkt die Gewalt während des G20-Gipfels. Dafür gibt es keine Entschuldigung, keine Rechtfertigung und keinerlei Relativierung. Linksextremismus ist keine Kinderkrankheit, sondern eine autoritäre, antidemokratische Ideologie. Sie ist weder eine Antwort auf Rechtsextremismus noch auf die Ungerechtigkeiten in unserer Welt. Und ihre Militanz lässt sich damit auch nicht begründen.

 

Den Verlauf der Ereignisse und die Art des Umgangs damit möchten wir dennoch mit fünf Thesen kommentieren. Dass die Diskussion sich heute nur um die Fragen von rechts und links dreht, wird dem Anlass nicht gerecht. Sie wiederholt nur eine lange Tradition der Kategorisierung, ohne zu sagen, was damit eigentlich gemeint ist.

 

1.      Die Rechts-Links Debatte

Sie kommt immer wieder hoch und wird für die Lagerwettkämpfe gebraucht und benutzt. Abgesehen davon, dass so nichts verständlicher wird, ist daran vieles unredlich. Wer nach den linksextremen Krawallen von Hamburg meint, der Staat hätte sich zu lange mit Rechtsextremismus beschäftigt, statt die schlimmere, linke Gefahr zu bekämpfen, ist demagogisch oder hat keinen Realitätssinn. Beides ist eine Gefahr. Nur, dass die Rechtsextremen nach der Vereinigung eine unübersehbare Blutspur hinterlassen haben. Eine Gleichsetzung beider Seiten ist in diesem Zusammenhang unmoralisch und relativiert die Morde, die nun mal von Rechtsextremen begangen wurden. Dass auch Stadtteile von Nazis demoliert wurden, wie jüngst in Leipzig, hat weit weniger Furor ausgelöst als der linke Mob in Hamburg es vermochte. Dennoch: es war Gewalt, die in Hamburg wütete. Daran ändert sich auch nichts, dass die Linkspartei meint, diese Randalierer wären gar nicht links. Mit dieser Begründung hat der Djihadismus nichts mit dem Islam zu tun und die Höcke-AfD nichts mit Rechtsextremismus. So kommen wir nicht weiter. Die Diskussion muss auf allen Seiten ehrlicher werden.

 

2.      Die Ära der Querfront

Die Feindseligkeit gegenüber Eliten kennt kein rechts und links. Längst versammeln sich unter diesem Stichwort die Demokratiefeinde aller Richtungen. Die Verachtung, ja der Hass mit dem Entscheidungsträger aller Art konfrontiert sind, kennt keine Grenzen mehr. Und es trifft sie unterschiedslos: Tyrannen und Demokraten, Despoten und gewählte Abgeordnete, Wirtschaftsverbrecher und Unternehmensleiter. Die pauschale Elitenkritik ist ebenso elendig wie die pauschale Verurteilung derer, die vom legitimen und garantierten Recht auf Demonstrationsfreiheit Gebrauch machen. Auch in Hamburg. Statt also mit Besorgnis auf das Pauschale an sich zu schauen, auf die Querfront gegen Globalisierung und gegen alles, was dazu gehört, gefallen sich alle in ihren alten Rollenmustern. Doch die Querfront ist die größte Gefahr. Sie ist grundsätzlich kulturpessimistisch, argumentiert apokalyptisch, verweigert jede Partizipation und Gestaltung und ignoriert die Realität. Ihre Narration handelt von einer gewaltigen Verschwörung oder läuft am Ende immer auf eine Ideologie hinaus, in der eine kleine Gruppe bösartiger Menschen das Böse wollen und die Fäden dahin ziehen. Antisemitismus ist das Grundgeräusch des Eliten-Bashings. Wer also von linker Gewalt in Hamburg redet, sollte sich fragen lassen, inwieweit er selbst zu diesem Grundrauschen beiträgt. Das gilt für alle: Einzelpersonen, Gruppierungen und Parteien. Wer also wirklich etwas gegen diese Entwicklung tun will, muss sich mit dem bedrohlichen Ton der globalen Verschwörungserzählung auseinandersetzen, die längst eine übergreifende, in der Mitte angekommene Bewegung geworden ist.

 

3.      Globalisierungskritik

Rechte sehen durch Globalisierung eine „völkische Identität“ bedroht und fürchten das Ende der Vorherrschaft des weißen Mannes in der globalen Wirtschaft und dem gesellschaftlichen Alltag. Ihre Ansichten gehen von Protektionismus bis zu offener Gleichgültigkeit gegenüber Zuständen außerhalb des nationalen Kontextes. Teile der rechten Globalisierungskritiker sind dabei antikapitalistisch und antiimperialistisch. Ihre größte Sorge bei der Globalisierung gilt der „Gefahr“ durch Flucht und Migration, die wiederum die sog. völkische Identität bedroht.

 

Linke kritisieren den Kapitalismus in globalisierter Form grundsätzlich und sehen hier nur Elend und Zerstörung. Ihre Antwort für die Menschen in den Entwicklungsländern: „Lieber arm als ausgebeutet“ oder „lieber authentisch als industrialisiert“ ist ignorant, zynisch und in ihrem Wesen auch rassistisch. Denn sie will den Menschen in der nicht-weißen Welt die Art von Fortschritt vorenthalten, den sie selbstverständlich für sich selbst in Anspruch nehmen.

 

Beiden gemeinsam ist, dass sie die Globalisierung als kosmopolitisches Ungetüm empfinden, dessen hohe Komplexität auf bipolare Formeln heruntergebrochen werden muss. Die gemeinsamen Konstanten dabei sind eine ausschließlich negative Perspektive auf die globale Entwicklung und die Beschuldigung der Eliten, hier absichtsvoll zerstören zu wollen. Große Teile beider Lager der globalisierungskritischen Bewegung bewegen sich dabei im Spektrum des Antisemitismus, mit dem alten Klischee des destruktiven Geldjuden, der die Fäden der Welt zieht.  Es wird also Zeit, das Nachdenken über Globalisierung von Ideologien zu befreien und für ein möglichst realistisches Bild von der weltweiten Entwicklung zu streiten. Nur so lassen sich die Grundlagen für eine vernünftige Debatte herstellen.

 

 

4.      Der Sinn von Gipfeltreffen wie G 20

Schaut man in die Statistik der Kriegstoten im Verhältnis zur Bevölkerungszahl allein in den letzten 150 Jahren, dann wird offensichtlich, dass wir trotz der aktuellen Krisen- und Kriegsherde im Vergleich in sehr friedlichen Zeiten leben. Seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges hat es noch nie in der Menschheitsgeschichte eine so lange Friedensphase gegeben. Die heutigen regionalen- und Bürgerkriege mit ihren Toten und Geflüchteten sind keine Bagatelle, sondern immer Barbarei und Unmenschlichkeit. Doch die Anzahl der Opfer ist im Vergleich auf einem konstant äußerst niedrigen Niveau. Dies ist ohne Zweifel ein Erfolg der Nachkriegsdiplomatie. Dass die 20 stärksten Länder sich treffen und miteinander handeln und verhandeln, ist ein gewaltiger Fortschritt gegenüber jenen Zeiten, in denen Konflikte in Kriegen endeten. Die globalisierte Wirtschaft trägt dazu bei.

 

Stellvertreterkonflikte, regionale Kriege und Hungersnöte sind auch heute riesige Probleme. Ihre Ursachen, ihr historischer oder geopolitischer Hintergrund sind sehr unterschiedlich. In vielen Fällen sind G20 Staaten hier verantwortlich oder mitverantwortlich, in anderen sind sie es nicht. Zu behaupten, es gebe einen archimedischen Punkt, durch dessen Anwendung alle Probleme und Konflikte gelöst werden, ist eine problematische Weltsicht. Wenn beispielsweise die Abschaffung des Staates Israel gefordert wird, weil er die Ursache absolut aller Konflikte sei, so ist das nicht nur falsch, sondern auch antisemitisch. Das Gleiche gilt für ähnliche Prämissen wie etwa die nach Abschaffung des Kapitalismus. Solche Forderungen stehen für eine totalitäre Gesinnung, der es nicht um konkrete Gestaltung geht, sondern im schlimmsten Fall um Vernichtung. Das Treffen der G20 in ihrem Handeln zu kritisieren und dagegen zu demonstrieren, ist ebenso legitim, wie es legitim ist, Utopien zu folgen. Doch radikale Infragestellung, sowie die Behauptung, eine absolute Lösung zu haben, kann kaum auf den Gewaltgedanken verzichten. Die Vorstellung, die Welt in diesem Sinne revolutionär zu verändern, selbst im Sinne einer größeren Gerechtigkeit, enthält auch immer einen autoritären und damit gewalttätigen Kern.

 

5.      Kapitalismuskritik realistischer debattieren

Die Diskussion um die Unruhen von Hamburg wird aktuell eng geführt und auf den Wahlkampf bezogen. Noch immer erscheinen in der Diskussion Links- und Rechtsextremismus als Antipoden, als gegenteilige Ideologien, die sich bedingen oder in ihrem Extremismus gleichzusetzen sind. Fragen wie: ist Deutschland jeweils auf dem rechten oder auf dem linken Auge blind, wer ist schuld an den Ausschreitungen, wurde der Linksextremismus unterschätzt, weil der Rechtsextremismus angeblich zu lange im Focus stand – sie alle führen nicht weiter. Besser wäre es, über strukturelle Probleme der Auseinandersetzung mit autoritären, antisemitischen, antiimperialistischen, antiamerikanischen und z. T. rassistischen Ideologien und Politikansätzen zu reden. Es fehlt eine politische und nicht nur eine formale Auseinandersetzung mit dem Antikapitalismus. Das Bundesprogramm „Demokratie leben“ scheint im Phänomenbereich Linksextremismus fehlgeschlagen, wenn man diesen Zusammenhang betrachtet, weil es viel zu unterkomplex darauf reagiert.

 

Die Bestimmung des Kapitalismus als Ursache aller Probleme ist längst eine Auffassung des westlichen Mainstreams. Dabei ignorieren alle Seiten, dass eine liberale, demokratische und offene Gesellschaft mit sich entfaltenden Minderheitenrechten ohne Kapitalismus nicht möglich ist. Es gibt Kapitalismus ohne Demokratie, aber keine Demokratie ohne Marktwirtschaft. Dass die Globalisierung darüber hinaus für fünf der sieben Milliarden Menschen bessere Lebensbedingungen bedeutet, wird von den Antikapitalisten der verschiedenen Richtungen entweder ignoriert oder abgelehnt, in jedem Fall aber als Argument zurückgewiesen. Darin zeigen sich ideologische Projektionen. Es ist nichts dagegen zu sagen, Globalisierung und Kapitalismus gestalten zu wollen, doch beides abzuschalten, weil es eben Kapitalismus ist, ist menschenverachtend und rassistisch gegenüber denen, die den Fortschritt der Moderne haben wollen. Eine solche unreflektierte Kritik an Kapitalismus und Globalisierung ignoriert die Bedürfnisse weltweit. Die Debatte sollte insgesamt also sehr viel gründlicher und politischer geführt werden. Sowohl auf der Ebene der G20-Staaten als auch in der Frage, welche Themen durch die Krawalle tatsächlich auf dem Tisch liegen. Der G20- Gipfel war der Austausch der Industrieländer zu Globalisierung. Das ist so allgemein wie der Wiederstand dagegen allgemein war.

 

Ob die Aufregungen nach Hamburg nun auf eine bipolare Störung in den deutschen Debatten hindeuten oder ob es um die Frage von Blindheit auf dem rechten respektive linken Auge geht, eines ist klar: weder das aufgeregte Auf und Ab noch politisches Schielen geben uns Antworten auf die Folgen von Hamburg. Was fehlt, ist eine ehrliche Debatte über die Grenzen von totalitären Ideologien und die Gestaltung einer globalen Zukunft für alle.

 

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