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Interview mit Hengameh Yaghoobifarah Was heißt „#unteilbar“ für eine Sammlungsbewegung? 

Die #Unteilbar-Demo in Berlin im Oktober 2018 (Quelle: Flickr / andiweiland / CC BY-NC 2.0)

Im Interview wollte das Forum demokratische Kultur und zeitgenössische Kunst diesen Punkt vertiefen: Wenn die französischen „Gelbwesten“ als vorbildlich beispielhaft für #unteilbar benannt wird – könnten dann auch deren Probleme beispielhaft werden?

Forum: Du hast in Deinem Kommentar der #unteilbar-Veranstaltung vor allem auf den Antisemitismus und die Unterwanderung durch Rechtsradikale bei den „Gelbwesten“ hingewiesen. Das schien den anderen Diskussionsteilnehmer*innen gar nicht präsent. Könnte das auch bei #unteilbar ein Problem werden?

Hengameh Yaghoobifarah: Das ist ein potentielles Problem für jede Bewegung, weil man bei Bewegungen wenig Kontrolle darüber hat, wer sich einem anschließt. Wenn jeder sich anschließen kann, kann es immer zu etwas ausufern – auch in etwas, das rechte, rassistische und antisemitische Tendenzen hat. Bei der #unteilbar-Demo im letzten Herbst wollten die Veranstalter*innen eigentlich, dass die Demonstrant*innen keine Deutschlandfahnen mitbringen. EineGruppe hatte auf Facebook im Vorfeld angekündigt, Deutschlandfahnen mitzubringen, um sich diese „wieder anzueignen“. Als wäre es nötig, dass sich weiße Deutsche die Deutschlandfahne wieder aneignen.

Obwohl also die Organisator*innen der Demo den Wunsch geäußert hatten, Landesfahnen zu unterlassen, wurden Deutschlandfahnen mitgebracht. Das zeigt, dass man bei einer Viertelmillion Demonstranten nicht so viel Einfluss hat. Es ist ein Beispiel dafür, wie wenig Kontrolle man über Bewegungen hat.

Was bedeutet denn #unteilbar überhaupt?

Eigentlich soll das ja heißen, dass man sich nicht durch “Divide and Rule”– Mechanismen spalten lässt, die zum Beispiel Dichotomien aufbauen wie Frauen vs. Migrant*innen, Muslim*innen vs. Juden und Jüdinnen und so weiter. Aber #unteilbar wird dann nicht nur als Chance zur Solidarität verstanden, sondern auch als bedingungslose Zusammenarbeit mit allen möglichen Leuten interpretiert. Das finde ich verkehrt. Ich lasse mich sehr schnell teilen, wenn ich etwa in einer Gruppe von Leute menschenfeindliche Tendenzen entdecke.

Wenn man, wie der Name angibt, #unteilbar sein will, muss man ja auch Positionen integrieren, die man eigentlich für Ressentiments hält, oder?

Oft werden wir uns ja schon innerhalb einer kleinen Politgruppe nicht einig. Das multipliziert sich, wenn sich viele anschließen. Aber wenn der Anspruch ist, sich nicht spalten zu lassen, nimmt man offenkundig auch Positionen in Kauf, denen man nicht vollends zustimmt. Interessant ist dann die Frage auf wessen Seite man sich am Ende des Tages stellt, wenn problematische Positionen geäußert werden. Stellt sich das Organisationsteam, stellt sich das Gros der Bewegung auf die Seite der Person, die diskriminiert hat, oder auf die Seite der Person, die das thematisiert hat. Oder wird denjenigen, die auf Diskriminierung aufmerksam machen, erst einmal vorgeworfen, dass sie versuchen zu spalten?

Da kommt es schnell zum Victim Blaming.

Wem gegenüber oder inwiefern ist man also unteilbar und an welchem Punkt teilt es sich dann eben doch?! Wenn beispielsweise diese Pseudofeminist*innen aus der AFD mitlaufen, ist man da dann auch #unteilbar, weil man glaubt, eine Art feministischen Konsens hat?

Da stellt sich ja auch die Frage, wer die Bewegung eigentlich definiert. Ich denke an eine Studie von Naika Foroutan, die Erfahrungen von Migrant*innen und Ostdeutschen vergleichen wollte, aber als deutsch-deutsche Debatte wahrgenommen wurde. Bei #unteilbar könnte es also auch passieren, dass die dominante gesellschaftliche Gruppe das definiert?

Erfahrungsgemäß überwiegt in Deutschland die weiße Solidarität und nicht die antirassistische, feministische oder anti-antisemitische. Für mich ist also rechtklar, wer am Ende entscheidet, wo hier die Grenzen gesteckt werden und wo nicht.

Andererseits es gab auf dem Podium doch auch Konsens. Es gab ein paar Begriffe, die etwas sehr Verbindendes hatten. Auf Eliten als Feindbild konnten sich alle einigen. Du hast dann angesprochen, dass in diesem Elitenbashing auch immer ein Antiintellektualismus mitschwingt. Es war interessant, dass das vorher auf dem Panel niemand mal gesagt hat. Warum ist das so?

Wenn man sagt, dass Reichtum in der Gesellschaft unterschiedlich verteilt ist, dann ist das eine Sache. Wir machen es uns aber sehr leicht, wenn wir irgendeine ominöse Gruppe, die „von oben“ kommt, kritisieren, weil wir uns damit selbst aus der Verantwortung nehmen können. Gleichzeitig werden  Leute zu Täter*innen, die geschichtlich immer wieder zu Täter*innen gemacht werden. Aber wenn du die Verantwortung für Missstände bei irgendeiner Elite sucht, dann kannst du leider darauf bauen, dass andere dir zustimmen. Das finde ich sehr gefährlich, weil darin so viele reaktionäre und antisemitische Ressentiments aufblühen. Da müssen wir immer aufpassen – selbst wenn es Menschen nicht bewusst ist, dass das antisemitische Verschwörungstheorien reproduzieren kann, wenn sie solche Thesen aufstellt, weil sie eigentlich etwas Anderes meinten.

Ist der Claim, #unteilbar zu sein, nicht ein anti-pluralistischer Rollback? Als bräuchte man ein gemeinsames Feindbild, über das man die Differenzen ausgleichen kann? An dieser Stelle sehe ich immer das Potential für Antisemitismus als verbindendes Element durchscheinen. Bei den Gelbwesten ist auch eher Macron das Feindbild als Le Pen.

Es wurde auf dem Panel ja auch schon darauf hingewiesen. Wenn die Gelbwesten alle links wären, würde nicht die Front National in den EU-Wahlen so gut abschneiden. Die politische Mobilisierung war in Frankreich durch die Gelbwesten viel größer als sonst, was sich ja auch auf Wahlen auswirkt, und dennoch gab es so viel Resonanz auf rechte Parteien. Da kann man doch nicht selbst glauben, dass das eine linke Bewegung ist. Es ist vielmehr eine antiliberale Bewegung, die sich nicht einmal von nationalistischen Positionen spalten lässt.

Das sind doch eigentlich genau die Dynamiken, durch die sich Querfronten entwickeln. Aus Bündnissen, die sich hinter einem gemeinsamen Feindbild konstituieren.

Diese Querfronten siehst du ja nicht nur in Frankreich. Als es um den Hambacher Forst ging haben die Leute es nicht geschafft sich davon abzugrenzen, dass Rechte sich den Kampf dort aneignen können. Es gab dort viele völkische Aktivist*innen, die sich dem Protest angeschlossen haben.

Glaubst du denn, dass eine Abgrenzung überhaupt möglich ist?

Das ist eine gute Frage. Ich habe das jedenfalls noch nie erfolgreich gesehen.

Liegt das daran, dass die gemeinsamen Schnittmengen doch recht groß sind?

Das kann sein. Bewegungen bergen immer die Gefahr bedeuten, dass sich Querfronten bilden. Am Ende kann es dann in Antisemitismus oder in Rassismus ausufern. Obwohl es in diesen Fällen meistens eher Antisemitismus ist.

Der Antisemitismus ist natürlich bequemer, weil er mehr Raum für Abstraktion hat.

Und in der Geschichte der Feindbilder schon sehr etabliert ist. Du hast da so viele Tropen, die beliebig anwendbar sind.

Es war bezeichnend, wie Guillaume Paoli auf deinen Hinweis, dass es bei den Gelbwesten viele Rechtsextreme, Antisemit*innen und Verschwörungstheoretiker*innen gibt, reagiert hat. Er hat gefragt, welche Zeitungen du denn bitte liest und wie es sein kann, dass du das auch noch glaubst, was da drin steht. Für mich hat das sofort nach „Lügenpresse“ geklungen. Glaubst du, dass da der Wunsch nach der Bewegung so stark ist, dass sich die Feindbilder der Querfront schon längst internalisiert haben?

Ohne den Leuten mit denen ich auf dem Panel war etwas unterstellen zu wollen, aber wie oft hast du an dem Abend das Wort Antisemitismus gehört?

Außer von Dir nicht ein Mal.

Genau. Aber wenn man schon mit Elitenbashing kommt, muss man mindestens eine Abgrenzung von Antisemitismus im selben Satz vornehmen, um überhaupt über so etwas reden zu können. Es hat gar keiner nachgefragt. Ich finde das sehr bezeichnend.

Aber was jetzt? Im Grunde genommen ist #unteilbar ja durchaus unterstützenswert. Wie ist Deine Position: Sich raushalten, sich abwenden, kritisieren?

Das ist eine schwere Frage für mich. Wenn ich die Bewegung kritisiere, kommt die Kritik schon an. Andererseits kommt die meiste „Kritik“ als Hass von Rechten. Will ich mich wirklich denen anschließen? Sich einfach der Bewegung anschließen und die Bruchstellen ignorieren ist aber auch keine Option. Es gibt das das Querfront-Potential und dieser Elefant im Raum, den der Antisemitismus bildet. Und dann ist diese ganze Bewegung so basic. Ich werfe in diese Maschine eine Münze Bildungsarbeit nach der anderen rein und am Ende kommt nur Frustration, Antisemitismus und deutsche Realität raus. Ignorieren kann #unteilbar aber natürlich auch nicht. Deshalb habe ich bei dem Panel zugesagt.

An diesem Abend hat sich ja das Grundproblem schon gezeigt. Es gab Momente, die indirekt die Koordinaten des Antisemitismus bedienten – obwohl mutmaßlich keiner auf dem Panel judenfeindliche Einstellungen hat.

Vielleicht verstehen Menschen manchmal nicht, wie komplex und abstrakt Antisemitismus sein kann. Vielleicht müssen sie darüber mehr lernen, um sich selbst korrigieren zu können. Andererseits fürchte ich, dass das nicht so schnell passieren wird.

Durch die sozialen Netzwerke hat sich der Antisemitismus ja auch nochmal stark beschleunigt und globalisiert. Auswandern ist gar keine Option mehr.

Es gibt bei manchen Leuten den Glauben, dass die Gesellschaft in den nächsten 10 oder 20 Jahren faschistisch wird. Der Scheitelpunkt ist also noch nicht erreicht. Dann gibt es Leute die da optimistischer sind und glauben, dass wir die Kurve noch kriegen.  Ich frage mich, woher die ihren Optimismus holen. Durch #unteilbar-Bündnisse wird sich das nicht in Luft auflösen.

Zumal sich diese Bewegungen ja auch dem Politischen entziehen. Auch wenn das nicht die Intention ist, integriert man ja am Ende sogar möglicherweise rechtsextreme oder diskriminierende Positionen, weil man sich nicht ausreichend abgrenzen kann, um sich nicht teilen zu lassen. 

Die Frage ist ja auch, was Abgrenzung dann eigentlich noch bringt. Die Organisator*innen haben sich ja abgegrenzt. Sie haben gesagt, dass sie keine Deutschlandfahnen auf der Demo sehen wollen. Trotzdem sind Menschen mit Deutschlandfahnen erschienen. Was soll man in so einer Situation machen? Was ist, wenn daraus wirklich ein Mob entsteht? Wie willst du das abbrechen?

Meine größte Angst, ist, dass sich am Ende antisemitische Ressentiments durchsetzen und sich das vermeintlich #Unteilbare darüber konstituiert.

Diese Angst ist ja leider nicht unberechtigt. Das ist ja eines der Probleme des Antisemitismus. Dieses Unsichtbare oder nicht für alle Einsehbare, was sich so gut ignorieren lässt. Wir sprechen darüber, dass wir antisemitische Tendenzen und Thesen beobachtet haben an dem Abend, aber das wird nicht jeder bestätigen, der da war.

Unsere Beobachtung könnten eher als Versuch gewertet werden, die Bewegung zu spalten.

Das Gerede von den ominösen Eliten trägt die Achsen des Antisemitismus in sich. Durch diese Chiffre bleiben Personen unbenannt, um nicht zu sagen, dass die Juden schuld sind. Aber diese Eliten gibt es natürlich nicht. Deshalb triffst Du sie nicht und kannst sie dann entsprechend auch nicht vermenschlichen. Bei abstrakten Eliten ist es leicht zu sagen, dass sie schuld sind. Das ist die leichteste Art Probleme zu verlagern oder zu externalisieren.

Ist und diesem Zusammenhang dann #unteilbar überhaupt etwas Erstrebenswertes?

Ich beobachte, dass es von den Organisator*innen keine Vorstellung darüber gibt, wie so eine Bewegung auszusehen hat. Das finde ich schwierig. Wenn Ressentiments ausufern – und das kann hier passieren – dann wird die Fallhöhe sehr tief sein. Ich sehe hier auch eher eine bürgerliche weiße Bewegung, die sich über einen vermeintlichen Antirassismus profiliert, als dass es eine Bewegung ist, die wirklich Rassismen bekämpft. Deshalb weiß ich gar nicht, was der Erfolg wäre, selbst wenn es gut läuft. Wie #unteilbar nicht radikal – im positiven Sinne – ist, kann die Bewegung auch keine großen Veränderungen herbeiführen.

Vielen Dank für das Gespräch.

Foto oben: Flickr / andiweiland / CC BY-NC 2.0

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