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Iran AfD und Co. missbrauchen den Widerstand der Iranerinnen gegen Unterdrückung

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Eine Frau auf einer Solidaritätsdemonstration für Mahsa Amini in Istanbul vor einer iranischen Flagge. (Quelle: picture alliance / ASSOCIATED PRESS | Francisco Seco)

Seit Tagen protestieren Menschen in Iran gegen das Regime. Auslöser ist der Tod der 22-jährigen Mahsa Amini, nachdem die Polizei sie wegen ihrer „unislamischen“ Kleidung verhaftet hatte. Die 22-jährige Mahsa Amini war am Dienstag, dem 13. September, während eines Familienbesuchs in Teheran von der Sitten- und Religionspolizei festgenommen worden, weil unter ihrem Kopftuch Haarsträhnen zu sehen gewesen waren.

Seit der islamischen Revolution im Jahr 1979 gelten in Iran strenge Kleidungsvorschriften, besonders für Frauen. Sie sind dazu verpflichtet, ihr Haar in der Öffentlichkeit zu bedecken und lange, locker sitzende Kleidung zu tragen, um ihre Figur zu verschleiern. Wer dagegen verstößt, muss mit öffentlicher Rüge, Geldstrafen oder Verhaftung rechnen. Die Regierung Ebrahim Raisis versucht seit Monaten, die islamischen Vorschriften durch die Sittenpolizei zu verschärfen. Auf der Polizeiwache war Amini zusammengebrochen und ins Koma gefallen. Wenig später starb sie im Krankenhaus. Das Bild von ihr im Krankenbett an Schläuchen kurz vor ihrem Tod ging um die Welt.

Seit dem Tod von Amini wehren sich im Iran Tausende Frauen und Männer gegen die strengen Kleidungsvorschriften und machen ihren Unmut über das repressive System in Straßenprotesten Luft. Weltweit gehen seither Bilder und Videos viral, in denen sich Iranerinnen ihre langen Haare abschneiden – mit Scheren und Messern. In vielen streng muslimischen Gesellschaften gelten lange Haare als Zeichen der Weiblichkeit, die es als besonderes Merkmal zu erhalten gilt. Kurzhaarschnitte hingegen gelten als Schandtat.

Wenn sich Frauen selbst die Haare abschneiden, ist das eher als Akt der Trauer gesellschaftlich akzeptiert, erklärt die Journalistin Düzen Tekkal. Die Trauernde legt ihren abgetrennten Haarschopf der verstorbenen Person mit ins Grab. „Wenn sich junge Frauen im Iran nun die Haare abschneiden, dann ist das nicht nur eine Solidaritätsgeste mit der von der iranischen Sittenpolizei getöteten Mahsa Amini, […], sondern ein emanzipativer Befreiungsakt“, erklärt Tekkal in einem Instagram-Post.

Frauen protestieren seither im Iran ohne Hijab auf den Straßen. Sie verbrennen ihre Kopftücher und Hijabs, wie Videos in den sozialen Medien zeigen. Dabei ist das öffentliche Ablegen des Hijab im Iran verboten. Frauen werden dafür verfolgt, gefoltert und getötet. In einem Land, in dem Frauen nicht selbstbestimmt und frei entscheiden können, wie sie sich kleiden, ist der Akt des Haare-Abschneidens, des Ablegens von Kopftüchern und Verbrennen von Hijabs Widerstand gegen patriarchale Unterdrückung. Die rebellierenden Frauen im Iran eignen sich ihren Körper wieder an. Sie wollen ihn nicht länger dem Regime überlassen. Den Iranerinnen geht es um Widerstand.

Das strenge islamische Recht des Irans schließt eine Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau kategorisch aus. Vor dem Gesetz sind sie nur die Hälfte eines Mannes wert: Das Recht auf Scheidung und das Sorgerecht geschiedener Frauen für die Kinder wurden nach 1978 eingeschränkt, das Mindestalter für die Verheiratung von Mädchen wurde zunächst auf dreizehn, dann auf neun Jahre herabgesetzt. Polygamie wurde legal – allerdings nur für Männer. Die Aussage einer Frau vor Gericht ist nur halb so viel wert wie die eines Mannes, gleiches gilt für finanzielle Entschädigungsansprüche. Die seit der islamischen Revolution eingeführte Pflicht zum Hijab ist ein zentrales Symbol dieser Unterdrückung. Legt eine Frau das Kopftuch in der Öffentlichkeit ab, wehrt sie sich nicht gegen die Verschleierung per se, sondern gegen die systematische Unterdrückung, schreib Gilda Sahebi im August in der taz.

Seit vielen Jahrzehnten ist das Kopftuch oder die Verschleierung der Frau zu einem Symbol für diverse politische Kämpfe geworden. Dabei hat es im Iran eine andere Bedeutung als beispielsweise in Deutschland. Wenn Frauen im Iran nun ihr Kopftuch ablegen, ist es ein Akt der Rebellion gegen repressive, ungerechte und patriarchale Strukturen. Wenn aber jetzt rechte deutsche Politiker*innen und Aktivist*innen das Kopftuch instrumentalisieren, dient dies lediglich der Verbreitung ihres antimuslimischen Rassismus. Allzu schnell wird dabei Kritik am repressiven Regime im Iran generell auf das Tragen eines Kopftuchs übertragen. Dabei geht es doch eigentlich um das Selbstbestimmungsrecht von Frauen.

Neurechte und rechtsextreme Aktivist*innen geben dabei gerne aus strategischen Gründen vor, für die Rechte von Frauen zu kämpfen. Allerdings hat beispielsweise die AfD mit feministischen Bestrebungen genauso wenig am Hut wie mit einer humanitären Einwanderungspolitik.

Der Berliner AfD-Politiker Georg Pazderski lädt das Kopftuch so weit mit Bedeutung auf, dass es immer zu einem Symbol islamischer Unterdrückung wird. Er schreibt auf Twitter: „Das Kopftuch ist sichtbares Symbol islamischer Frauenunterdrückung. Im Iran legen Frauen unter Lebensgefahr ihr Kopftuch ab und in 🇩🇪 feiert die Grün-Linke Schickeria das Kopftuch als angebliches Zeichen der Emanzipation.“ In Anbetracht der Gefahr, in die sich die mutigen Frauen im Iran begeben, ist es abstoßend, wenn nun die Rassist*innen und Islamhasser*innen wieder hervorkommen und den Kampf der Iranerinnen missbrauchen. Es geht den Frauen im Iran nicht um „islamische Frauenunterdrückung“, auch wenn es auch säkulare Proteste gegen das islamistische Regime gibt. Viele religiöse, sogar verschleierte Frauen im Iran wehren sich seit Jahren gegen den Kopftuchzwang. Ihnen geht in erster Linie um Widerstand gegen Unterdrückung und die Rückeroberung des eigenen Körpers – es geht diesen Frauen um Selbstbestimmung, nicht um den Islam.

Die Bundessprecherin der AfD, Alice Weidel, schreibt auf Twitter: „Im #Iran sind Menschen bereit, für Ihre #Freiheit zu sterben. Hierzulande wird die importierte Frauenverachtung als ‚Kulturbereicherung‘ gefördert.“ Auch Weidel kann oder will nicht verstehen, dass es nicht um eine Debatte Pro-und-Contra-Kopftuch geht, sondern um die freie Wahl von Frauen, die nicht vorgeschrieben bekommen wollen, wie sie sich zu kleiden haben. Zynisch außerdem: Die AfD schürt Rassismus, wann immer es ihr möglich ist – und der trifft Schwarze und People of Colour, ob Mann oder Frau, gleichermaßen. Weidel selbst sprach etwa 2018 in einer Bundestagsrede abwertend von „Burkas, Kopftuchmädchen und alimentierten Messermännern“.

Letztendlich geht es um die Gleichberechtigung, um die Gleichwertigkeit von Frauen. Das heißt: Ihnen die freie Entscheidung zu überlassen, wie sie leben wollen. Ob sie freiwillig ein Kopftuch tragen oder bewusst keines, gehört zu diesen Entscheidungen dazu. Deshalb ist der einzig gangbare Weg, weder Zwang auf Frauen auszuüben, ein Kopftuch zu tragen, noch das Kopftuch zu verbieten – auch wenn extreme Rechte, aber auch manche westlichen Feminist*innen das anders sehen. In einer liberalen Gesellschaft ist ein Kopftuchverbot ebenso inakzeptabel wie der Zwang, eines zu tragen.

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