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Jahresrückblick 2020 Hamburg

Fake News und Verschwörungserzählung dominieren im Jahr 2020 auch in Hamburg. (Quelle: memyselfaneye)

Das Hamburger MBT (Mobiles Beratungsteam gegen Rechtsextremismus) blickt auf ein in fast allen Bereichen dynamisches und ereignisreiches Jahr 2020 zurück. Davon sind Aktivitäten des rechten Spektrums nicht ausgenommen. Auch im vergangen Jahr mussten wir eine Reihe von Vorfällen antisemitischer Gewalt beobachten, von denen hier nur ein Bruchteil benannt ist. Der antisemitische Anschlag am 2. Tag Sukkot vor einer Hamburger Synagoge, die fortwährende Beschädigung von Stolpersteinen und antisemitische Schmierereien stellen hierbei Zuspitzungen eines von Antisemitismus geprägten gesellschaftlichen Klimas dar. Auffällig ist, dass insbesondere die Schmierereien einige Botschaften, Bilder und Codes enthalten, die auch auf Shirts zu sehen sind, die häufig auf verschwörungsideologischen Demonstrationen zu beobachten waren. Überhaupt waren die coronaleugnerischen Events geprägt von offen antisemitischen Symboliken, Wortbeiträgen und Agitationen.

Bei Kundgebungen der verschwörungsideologischen Szene in Hamburg (u.a.  „Unsere Grundrechte“ oder „Querdenken 40“) versammeln und vernetzen sich bekannte (extreme) Rechte, die zuletzt unter anderem bei „Merkel-muss-weg“- und „Michel, wach endlich auf“-Kundgebungen in Hamburg Präsenz zeigten. Die Montagsmahnwachen und die dortige Verbreitung antisemitischer Verschwörungserzählungen ist ebenfalls nicht neu, sondern zu Corona zugespitzt und von größerem medialen Interesse. Auch online findet Vernetzung statt. Rechte Hamburger Youtuber_innen, die nicht erst jetzt antisemitisch und verschwörungsideologisch hetzen, zeigen nicht nur durch gegenseitige Verweise, sondern auch auf Demos ihre ideologische Nähe zu extremen Rechten, wie Martin Sellner („Identitäre Bewegung“) oder Nicolai Nerling. Zudem wurde und wird auch in Hamburg versucht über die Anschlussfähigkeit an Coronaleugner_innen zu extrem rechten Demos zu mobilisieren. Organisierte extreme Rechte aus Hamburg und Umland, wie bspw. Vertreter_innen der NPD Hamburg waren am 01.08.2020 bei den großen Protesten in Berlin. Die zugrundeliegenden Ideologien wie Antisemitismus, Rassismus oder Wissenschaftsfeindlichkeit sind jedoch auch jenseits der extremen Rechten gesellschaftlich verankert. So schließen sich unter anderem auch Elterninitiativen („Eltern stehen auf“ und „FiF – Familie im Fokus“) dem Protest gegen Hygienemaßnahmen an, und werden – teilweise auch über die Instrumentalisierung von Kindern – mit Flyern, Mails an Schulleitungen oder Demos vor Schulen aktiv. Die so genannten „Ärzte für Aufklärung“, unter ihnen einige Ärzte aus Hamburg, sind bereits länger Teil von rechten und/oder verschwörungsideologischen Netzwerken und nehmen die Situation zum Anlass, um antisemitische Narrative und Fake Facts zu Corona und den Maßnahmen zu verbreiten. Auch in Hamburg ist die Bewegung von Verschwörungsideolog_innen geprägt durch ein zunehmend aggressives Auftreten und der Legitimierung von Gewalt. Diese antidemokratische Bedrohung gilt es ernst zu nehmen, auch wenn Verschwörungsmythen in einigen Medien aber auch im persönlichen Umfeld verharmlost, pathologisiert oder verspottet werden.

Bereits zu Beginn der Pandemie war zu erwarten, dass es zu Verschärfungen in Lebensrealitäten von Menschen mit eigenen Rassismus- und/oder Antisemitismuserfahren kommen wird. Neben rassistischen Aggressionen mit Corona-Bezug im Alltag, wissen wir von rassistischen Drohbriefen im Zusammenhang mit Corona, die anonym an BIPoC (Black, Indigenous, People of Color ist eine Selbstbezeichnung von Menschen, die rassistische Diskriminierung erfahren.) gesandt wurden. Dies ist Ausdruck davon, dass der gesamtgesellschaftliche Umgang mit der Pandemie durchaus anschlussfähig mit rechten Einstellungsmustern ist. Aus der Beratungspraxis heraus stellen wir fest, dass der öffentliche Diskurs um Verschwörungsideologien häufig nicht abbildet, welche Folgen die Popularität entsprechender Erzählungen für die gesamte Gesellschaft hat: Im Jahr 2020 hat eine Vielzahl von Menschen die Beratung aufgesucht, die Angehörige von Verschwörungsideolog_innen sind. Unserer Einschätzung nach ist die Anzahl von Personen, die an verschwörungsideologischen Demonstrationen teilnehmen bei weitem nicht repräsentativ für die Tiefe gesellschaftliche Verankerung der dort verbreiteten Erzählungen.

Akteur_innen aus Hamburgs rechtem Spektrum sind nicht nur mit Blick auf die Verbreitung von Verschwörungserzählungen auffällig geworden. Besonders deutlich ist das an den Aktivitäten der Hamburger AfD zu beobachten. Im Rahmen eines zivilgesellschaftlichen Gegenprotestes am AfD-Parteitag in Henstedt-Ulzburg im Oktober, verletzte eine AfD-assoziierte Person mehrere Menschen mit einem PKW – etwa einen Monat später fährt ein Besucher des Hamburger AfD Landesparteitags erneut mit seinem PKW in Gegendemonstrierende. Neben verschiedenen Agitationen im Umfeld von Geflüchteten-Unterkünften fiel die AfD auch durch den Versuch von Kriminalisierung postkolonialer Widerstandshandlungen auf. Dies ist nicht das erste Mal, dass die AfD in Hamburg versucht, koloniale Täterschaft umzudeuten.

Koloniale Kontinuitäten, auch in Form von strukturellem Rassismus bedürfen einer gesamtgesellschaftlichen Auseinandersetzung. Hierauf machen BIPoC schon seit Jahren aufmerksam. In 2020 fällt bundesweit aber auch in Hamburg durch erneute Ereignisse der Blick auf Institutionen, wie die Sicherheitsbehörden. Die hier erwähnten Vorfälle sind beispielhaft und bauen auf ein gesellschaftlich rassistisches Klima in allen Bereichen auf. Die Ingewahrsamnahme vor allem minderjähriger BIPoC-Personen nach der BlackLivesMatter-Kundgebung im Juni oder die erfolgreiche Klage eines Bewohners auf St. Pauli gegen ständige rassistische Kontrollen sind nur Beispiele der alltäglichen Praxis des Racial Profiling. Nicht unabhängig davon zu betrachten sind rechte Tendenzen in der Polizei, wie beispielsweise eine Reichsbürgerin, die Verwaltungsmitarbeiterin bei der Hamburger Wasserschutzpolizei war. Auch die Abfrage personenbezogener Daten von Hengameh Yaghoobifarah von Polizei-Computern in Hamburg und die weiterhin ungeklärte Drohmailserie zeigen, dass es einer unabhängigen Beobachtung und Beschwerdestruktur der Sicherheitsbehörden bedarf. Die Dethematisierung rassistischer Strukturen und der Mythos des_der Einzeltäter_innen verhindern eine gesellschaftlich notwendige Auseinandersetzung sowie die lückenlose Aufklärung und Aufarbeitung, was auch im weiterhin andauernden Fehlen eines NSU Untersuchungsausschusses deutlich wird.

 

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