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Köln Gedenken am Ort des abtransportierten armenischen Denkmals

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In Köln wurde am Ort des wieder abtransportierten Denkmals an den “Aghet“, den Völkermord an den Armenier_innen, im Jahr 1915 erinnert. (Quelle: R. Kaufhold)

 

 

„Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?“, Adolf Hitler 22.8.1939

Köln, 24. April 2018, 18 Uhr am Ausläufer des Böll-Platzes nahe der Hohenzollernbrücke. 100 Menschen, überwiegend armenischstämmig, aber auch zahlreiche weitere Deutsche haben sich versammelt, um an den 103. Jahrestag des türkischen, von Kaiser Wilhelm unterstützten Völkermordes an den Armeniern zu erinnern. Es ist still an diesem Frühlingsabend, dem Anlass angemessen. Am Gitterzaun mit Blick auf den Deutzer Bahnhof und die rechtsrheinische Steintreppe am Deutzer Rheinufer hängt ein großformatiges Transparent: „Wir gedenken der Opfer des Völkermordes an den Armeniern 24.4.1915“. Eine größere Menschenmenge hat sich im Halbkreis um ein Meer von Blumen versammelt. In der Mitte dieses Blumenmeeres und vereinzelter Grabkerzen ein großes Plakat: „Dieser Schmerz betrifft uns alle!“ Die Symbolik verstehen alle: Es ist der Ort einer opportunistischen Schande: Neun Tage zuvor war dort, mit Unterstützung zahlreicher Kölner „Prominenz“ im Umfeld der Initiativgruppe „Völkermord erinnern“ ein eindrückliches Mahnmal errichtet worden: Auf den bronzenen Seitenwänden der pyramidenförmigen Stele steht auf deutsch, armenisch, türkisch und englisch: „Dieser Schmerz betrifft uns alle“.  Auf dessen Spitze prangt ein gespaltener, eingekerbter Granatapfel, Symbol des verdrängten Völkermordes (Belltower.News berichtete). 

 

Der armenischstämmige Kölner Rechtsanwalt Ilias Uyar war gemeinsam mit seinem Freund Dogan Akhanli  Hauptmotor dieses eindrücklichen Erinnerungswerkes. Selbstverständlich wurde dieses Mahnmal, gemäß guter Kölner Tradition, nicht formal beantragt. Auf diesem Wege hätte es in Köln weder ein städtisches Museum EL-DE Haus, weder ein Wissen um den Abtransport von 11.000 Kölner Juden am Bahnhof Köln-Deutz in die deutschen Vernichtungsstätten noch eine Anerkennung der Kölner Edelweißpiraten  als widerständige, unangepasste Jugendliche gegeben (vgl. Hagalil). Dies musste erstritten werden, in jedem einzelnen Fall.

Die Stadt Köln teilte sogleich mit, dass sie diese störende Erinnerung an den Völkermord auf jeden Fall abtransportieren werde. Als sich auch der Schriftsteller Dogan Akhanli vor Ort einfand, um sich der geschichtsblinden Aktion in den Weg zu stellen, verschob man den Abtransport des Denkmals um 48 Stunden. Die skandalträchtigen Bilder scheute man.

 

Eine kurze Ansprache und eine Gedenkminute

Ilias Uyar erinnerte in seiner kurzen, eindrücklichen Gedenkrede an die Verschleppung mehrerer hundert armenischer Intellektueller am 24.4.1915. Diese Verhaftungswelle bildete den gut organisierten Auftakt des Völkermordes an den Armeniern, der sich bis zum Jahr 2018 hinstreckte. „Es gibt in Köln keine geeignetere Stelle als hier, in Sichtweise des Kaiser Wilhelm Reiterdenkmals“ betonte Ilias Uyar in seiner kurzen Gedenkrede. Er erinnerte an den inhaltlich sehr eindeutigen, längst überflüssigen Beschluss des Deutschen Bundestag, den Völkermord an den Armeniern als historisches Faktum endlich anzuerkennen. Mutige Abgeordnete wie Cem Özdemir müssen seitdem mit Personenschutz leben, so weit trägt der Arm Erdogans, so stark ist der Einfluss hiesiger türkischer Geschichtsleugner.

Uyar erinnerte auch an die eindrückliche Rede des damaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck, in der dieser an Hitlers Rede vom 22.8.1939 erinnerte, kurz vor Kriegsbeginn. Hierin triumphierte Hitler: „Wer redet heute noch von der Vernichtung der Armenier?“. Gauck war sich der historischen Verantwortung bewusst. Die Verantwortlichen der Stadt Köln hingegen machen das Gegenteil.

In ihrer offiziellen Antwort lässt die Kölner Stadtverwaltung keinerlei Zweifel daran aufkommen, dass sie vor allem politische Gründe hat, weshalb sie das störende armenische Mahnmal in einer Nacht-und-Nebel-Aktion abtransportiert hat: „Aufgrund des hohen Konfliktpotentials ist eine Erinnerung an den Genozid im öffentlichen Raum generell zu vermeiden“, teilte sie mit. Offenkundig hat sie zuvor Rücksprache mit dem NRW-Innenministerium und Bundesinnenministerium genommen. Es war also die Angst vor hier lebenden türkischen Geschichtsleugnern, die den Völkermord an den Armeniern leugnen, ganz wie NPD und Neonazis wie Haverbeck und Mahler bis heute die Shoah leugnen. Exakt diese Argumentation füllte bereits kurz nach 1945 die Blätter rechtsradikaler, aber auch zahlreicher konservativer Medien hierzulande: Man dürfe nicht über die deutschen Verbrechen sprechen, nicht an sie erinnern, man dürfe Juden keine „Entschädigung“ zahlen, weil dies den Antisemitismus der deutschen Bevölkerung erst hervorrufen würde. Die Stadt Köln hätte auch direkt schreiben können, dass im Stadtraum Köln eine Erinnerung an den Völkermord an den Armeniern wegen des „hohen Konfliktpotentials“ zu vermeiden sei.

Es sei die Aufgabe der Stadt Köln, diese konkrete Erinnerung an dieser Stelle wieder zuzulassen, forderte Ilias Uyar in seiner Rede. Hiermit befindet er sich im Einklang mit der großen Zahl von Kölner Unterstützern für dieses armenische Denkmals wie Günter Wallraff, Martin Stankowski, Dogan Akhanli, Peter Finkelgruen, die Melanchthon Akademie, Gunter Demnig, Peter Busmann, der in Deutschland unter Polizeischutz lebende Kabarettist  Hayko Ba?dat oder auch der Zentralrat der Armenier in Deutschland.

Nach der kurzen Ansprache Uyars und einer Schweigeminute legten zahlreiche Menschen, darunter auch zahlreiche Familien und Kinder, Blumen am Ort des abtransportierten Mahnmals nieder. Es war eine würdevolle, angemessene Atmosphäre.

Eine historische Erinnerung:  „Wandernde Konzentrationslager“

Wer mehr Hintergrundinformationen lesen möchte: Die Publizistin Judith Kessler hat diesen bis heute in der Türkei verleugneten Völkermord – “Aghet“, “die Tat des Fremden“, wie es Armenier formulieren, als Pendant zur Shoah – dem etwa 1,5 Millionen Armenier auf barbarische Weise zum Opfer fielen, in ihrem Beitrag „Wandernde Konzentrationslager“ in dichter Weise erinnert (vgl. Hagalil.com). 

 

Köln 1986: Ralph Giordano in der ARD

Die Chance auf ein angemessenes öffentliches Gedenken wurde durch die Verantwortlichen der Stadt Köln vertan. Auch die Kölner Grünen mit ihrer Landtagsabgeordneten Berivan Aymaz haben kein einziges Wort des Protestes gefunden. Dabei war Köln der Ort, an dem das erste mal in Deutschland in nachdrücklicher Weise an den Völkermord an den Armeniern erinnert wurde: Es war der in Köln lebende jüdische Shoahüberlebende Ralph Giordano, der bereits 1986 eine Aufsehen erregende historische Dokumentation über diesen systematisch betriebenen, von deutschen Offizieren und Regierungsbeamten geduldeten, wenn nicht sogar geförderten Völkermord zu bester Sendezeit – ARD, 20:15 Uhr – erstellte. Ein bis heute eindrückliches, mutiges Filmdokument:

 

 

Und wie sich die Bilder gleichen: Bereits 1986 gab es einen gut organisierten, von türkischen Geschichtsleugner_innen vorangetriebenen Protest gegen die Ausstrahlung der historischen Erinnerung. Den unermüdlich streitbaren Ralph Giordano erreichten weit über ein Dutzend, zum Teil konkrete Morddrohungen. Giordano, den in seinem Leben in Deutschland wohl 250 bis 300 Morddrohungen zugeschickt wurden, ließ sich nicht einschüchtern. Das Erinnern an den Völkermord an den Armeniern blieb eines seiner wichtigsten Anliegen, was sich auch in seinem gleichfalls 1986 erschienenen Buch Die armenische Frage existiert nicht mehr – Tragödie eines Volkes dokumentiert. Hierin zitiert Ralph Giordano den deutschen Konsul Rößler, der am 27.7.1915 aus Aleppo an die Deutsche Botschaft in Pera die amtliche Mitteilung übersandte: „Dieser Tage sind lange Züge fast verhungerter armenischer Frauen und Kinder von Osten zu Fuß hier eingetroffen und weitertransportiert, soweit sie nicht alsbald hier starben. Alles läuft, trotz gegenseitiger Versicherung der Pforte, auf die Vernichtung der Armenier hinaus.“  Ralph Giordano pflegte Freundschaften zu zahlreichen Armeniern, fühlte sich ihnen nahe (vgl. Hagalil). Wenn Ralph Giordano heute noch leben würde: Er wäre der Erste, der die Stadt Köln und die Kölner Parteien für ihren geschichtsverleugnenden, opportunistischen Abtransport des Denkmals kritisiert hätte.

 

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