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Rassismus? CDU-Kommunalpolitiker schießt in Köln auf 20-Jährigen

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Posts wie diesen teilt der mutmaßliche Schütze auf Facebook. (Quelle: Screenshot)

Da der 72-jährige CDU-Politiker aus Köln-Porz sich bis heute nicht zur Tat äußert, kann über die Gründe seiner Attacke nur spekuliert werden. Es gab offenbar eine Gruppe von vier 20- bis 23-jährigen jungen Männern, einige von ihnen alkoholisiert, die am Porzer Rheinufer auf den ebenfalls betrunkenen 72-Jährigen stießen, der hier wohnt. Es kam zu einer Auseinandersetzung, vorgeblich über Lärm, den die Gruppe gemacht hätte, und dann zu einem Schuss aus kurzer Distanz auf einen der jungen Männer, der an der Schulter getroffen wurde. Der 20-Jährige Deutsche wurde schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht. Der Schütze ging nach dem Schuss zurück in sein Haus, ließ sich später von der Polizei widerstandslos festnehmen. Im Haus des Täters fand die Polizei fünf scharfe Waffen, eine davon nicht registriert, dazu größere Mengen Schwarzpulver.

Eine Mordkommission nahm die Ermittlungen auf, ermittelt aber nur auf Körperverletzung. Der mutmaßliche Schütze wird bei der Polizei vernommen und danach wieder auf freien Fuß gesetzt, weil keine Verdunklungs- oder Fluchtgefahr bestehe.

Laut Staatsanwaltschaft spricht für den mutmaßlichen Schützen, dass er von einer Tötungsabsicht zurückgetreten sei, sollte sie bestanden haben. Das heißt, er feuerte nach dem ersten Schuss nicht weiter auf sein Opfer, sondern beließ es bei der schweren Verletzung, obwohl er weitere Patronen in der Waffe hatte. Somit wird wegen Körperverletzung ermittelt.

Für den mutmaßlichen Täter ging der Abend bisher also vergleichsweise glimpflich aus.  Er hat sich unter anderem einen bei Rechtspopulisten beliebten Anwalt genommen. Die Presse hat, wie bei Verdachtsberichterstattung auch korrekt, seinen Namen bisher nicht genannt. Er hat allerdings am Donnerstagmittag (09.01.2020) angegeben, sein Mandat bis auf weiteres ruhen zu lassen. Das trifft nun nur auf einen 72-jährige CDU-Politiker in Köln-Porz zu. Die CDU Köln-Porz, die CDU Köln, die CDU NRW und der Ministerpräsident Armin Laschet schwiegen tagelang zu dem Fall – anders etwa als zum #Omagate des WDR, der wortgewaltig verurteilt wurde und belegt, dass die Social Media-Redakteur*innen nicht alle in Urlaub waren.

Nur die parteilose Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker forderte Konsequenzen – eine solche Tat sei mit den Erwartungen an ein öffentliches Mandat unvereinbar. Nach der Mandatsniederlegung äußerte sich der Kölner CDU-Partei- und Fraktionschef Bernd Petelkau. Er hoffe auf einen schnellen Abschluss der Ermittlungen, „damit rasch Klarheit darüber entsteht, was sich tatsächlich zugetragen hat. Bis dahin gilt für die Beteiligten die Unschuldsvermutung.“ (vgl. Kölner Rundschau)

Rassistische Berichterstattung über das Opfer

Das 20-jährige Opfer der Tat wurde nicht nur schwer verletzt. Der junge deutsche Mann musste später über sich in der Lokalzeitung, dem Kölner Stadtanzeiger, lesen, er habe „osteuropäische Wurzeln“ und sei „polizeibekannt“. Auch wurde erwähnt, es gäbe eine Dealer-Szene am Porzer Rheinufer, und damit ein Zusammenhang suggeriert. Woher die Einordnung des Opfers als Mensch mit Migrationshintergrund stammt, ist nicht bekannt. Die Pressemitteilung der Polizei erwähnt das nicht.

Die Richtigstellung des Opfers zur Polizeibekanntheit wurde einige Tage später ebenfalls im Kölner Stadtanzeiger veröffentlicht und sie ist bitter: Der nun angeschossene 20-Jährige wurde 2018 im Karneval in der Kölner Altstadt angegriffen und zusammengeschlagen, woraufhin er selbst Anzeige erstattete – die Täter reagierten mit einer Gegenanzeige.  Die Ermittlungen wurden später eingestellt. Anders als von den Medien suggeriert, hat er mit der Drogenszene nichts zu tun, ebensowenig seine Begleiter. Er ist Deutscher, auch wenn seine Eltern polnische Wurzeln haben. Die Mutter von einem seiner Freunde sagte ebenfalls dem Kölner Stadtanzeiger: „Hier wird versucht, aus einem Opfer einen Täter zu machen.“ Diesem Eindruck kann man sich kaum erwehren.

Dies ist umso erstaunlicher, als dass der Täter es offenbar zuvor nicht nur mit der Waffenanmeldung, sondern auch mit der Wahrheit nicht so genau nahm. Er gab offenbar bei der Verhaftung an, die vier jungen Männer hätten ihm die Waffe entwendet und selbst damit geschossen. Offenbar wollte er damit eine Notwehrsituation simulieren. Im Fall von Notwehr könnte der mutmaßliche Täter straffrei ausgehen, bei Körperverletzung drohen bis zu 10 Jahre Haft. Allerdings fiel die Geschichte sofort in sich zusammen. An den Händen der vier Männer wurden keinerlei Schmauchspuren gefunden. Seither schweigt der mutmaßliche Täter.

Aber was brachte den mutmaßlichen Täter dazu, wegen einer Ruhestörung nicht die Polizei zu rufen, sondern mit geladener Waffe auf die jungen Männer loszugehen? Der Kommunalpolitiker, das ist etwa seinem Facebook-Profil deutlich anzusehen, vertritt rechtspopulistische, bisweilen AfD-nahe Ansichten, spricht bei Demonstrationen von „Linksfaschismus“ oder schreibt über die „Einbahnstraßen Toleranz der Europäer“ (angesichts von Burka tragenden Frauen). Kein Wunder, dass ihm auch ein demokratiefeindlicher Texte Thilo Sarrazins auf dem Blog „Achse des Guten“ gefällt. Er verurteilt demokratische Proteste gegen die AfD und teilt besonders gern Berichte über angebliche migrantische Kriminalität und Unruhen in Europa mit schwankendem Wahrheitsgehalt, die die staatliche russische Nachrichtenagentur „Sputnik News“ verbreitet. Auch ein klassischer „War on Christmas“-Post („Ich gehe mit meinen Kindern zum St. Martins-Umzug (nicht zum „Sonne-Mond-und-Sterne-Fest“)… Ich halte viel von Toleranz und Rücksichtnahme. Nichts allerdings halte ich von den Vollidioten, die meinen, dass wir in unserem Land unsere eigenen Traditionen und unsere eigene Identität aufgeben sollten. Nicht mit mir.“) nicht fehlen.

Ob der Täter die vier jungen Männer trotz deutscher Herkunft als Migranten wahrnahm und dies zu seiner Tatmotivation beitrug, werden die Ermittlungen hoffentlich ergeben.

 

Update 15:30 Uhr:

Lehrstück Twitter-Kommunikation:

Paul Ziemiak, CDU-Generalsekretär, veröffentlicht einen Kommentar zum Fall auf Twitter und schreibt: „Gewalt darf  keinen Platz in unserer Gesellschaft haben. Ich wünsche dem Opfer von Herzen baldige Genesung. Auf dem Boden unserer christlich-demokratischen Werte steht so ein Verhalten nicht.“ Dazu verwendet er den derzeit auf Twitter trendenden Hashtag zum Fall, der der Nachname des mutmaßlichen Täters ist – was im Sinne einer Vorverurteilung keine gute Idee ist.

Daraufhin twittert ihn ein Anwalt  des mutmaßlichen Schützen an, ebenfalls öffentlich.

Paul Ziemiak löscht seinen Tweet. Dann schreibt er einen neuen, wortgleichen Tweet ohne den Hashtag (Screenshots von allem liegen vor).

Hierbei ist aber auch unklar, warum der Anwalt ebenfalls nicht abwartet, was die Ermittlungen ergeben, bevor er den mutmaßlichen Täter als „zu unrecht beschuldigt“ darstellt – oder auch, warum er einen solchen Diskurs nicht per Direktnachricht führt, sondern öffentlich, und somit einen Parteikollegen vorführt.

Update 10.02.2020

Im Interview mit dem WDR sagt das Opfer: Der mutmaßliche Schütze kam aus dem Haus, beschimpfte die Gruppe: „Haut ab, Ihr dreckigen Kanacken! Verzieht Euch, Dreckspack!“ Dies empfand das Opfer als rassistisch, weshalb er widersprach.

Das Opfer erlitt einen Durchschuss von hinten durch die Schulter. Ausgetreten ist die Kugel im Oberarm. Wäre das Opfer wenige Zentimeter weiter links getroffen worden, hätte es die Halsschlagader erwischt und der 20-Jährige wäre tot.

(vgl. Radio Eins)

 

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