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Landtagwahl Sachsen AfD wird zweitstärkste Kraft wegen ihrer völkisch-nationalistischen Politik

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Wenn die AfD sich freut, weint die Demokratie: Beatrix von Storch, Jörg Urban und Jörg Meuthen nach Bekanntgabe der ersten Hochrechnungen in Sachsen.

Die AFD gewinnt mit ihrem völkisch-nationalistischen Wahlkampf 27,5 % der Zweitstimmen, dass sind 17,7 % der Stimmen Zugewinn seit der Landtagswahl 2014, wo sie 9,4 % der Stimmen erhielt. Insgesamt wählten sie 595.530 Menschen. Sie erhält damit 38 Mandate im Sächsischen Landtag.

38 Sitze, das ist nur ein Sitz weniger, als der AfD rechnerisch nach ihrem Wahlergebnis zusteht. Sie durfte nach formalen Fehlern nur mit einer Landesliste mit 30 Kandidat*innen antreten. Theoretisch hätte sie also nur 30 statt 39 Sitzen besetzen können. Durch 15 Direktmandate kommt sie nun doch auf 38 Sitze. 7 der direkt gewählten Politiker*innen stehen auch auf der Landesliste und fanden deshalb keine Extra-Berücksichtigung. Am Wahlabend hatte AfD-Chef Jörg Urban noch angekündigt, dass er „über das Verfassungsgericht am Ende eine Neuwahl erstreiten“ wolle. Ob dies nun noch akut ist, wird sich zeigen.


Entwicklung

Eine Überraschung ist das gute Abschneiden der AfD in Sachsen leider trotzdem nicht: Bei der Bundestagswahl 2017 erreichte die AfD in Sachsen einen Zweitstimmenanteil von 27 % und lag damit knapp vor der CDU (26,9 %). Bei der Europawahl im Mai 2019 hatte die AfD 25,3 %, die CDU 23 %. CDU-Landesparteichef Michael Kretschmar freut sich zwar am Wahlabend fortlaufen, dass „das freundliche Sachsen“ gewonnen habe, kann aber doch maximal verbuchen, dass sich einige Prozent Gedanken gemacht haben, ob ihre Stimmen wirklich an eine rechtsradikale Partei gehen sollen.

Vgl.: Tagesschau


Wahlkreise

Gingen bei der Landtagswahl 2014 noch fast alle Direktmandate an die CDU (bis auf zwei an die Linke in Leipzig), hat sich 2019 das Bild gewandelt: Ein Direktmandat an die Linke, drei an die Grünen, und 15 Direktmandate an die AfD – die restlichen 41 gehen an die CDU

Grafik: https://www.tagesschau.de/inland/sachsen-wahlkarte-101.html

Bei der Landtagswahl 2014 war die CDU in Sachsen flächendeckend die stärkste Partei über die Zweitstimmen, zweitstärkste Partei war flächendeckend die Linke.

2019 ist in 11 Wahlkreisen von insgesamt 60 die AfD die stärkste Partei, in zwei Leipziger Wahlkreisen Die Grünen. Blickt man auf die zweitstärkste Partei, dominiert die AfD noch mehr: 43 Wahlkreise für die AfD, vier für die Grünen, 13 für die CDU.

Galt vor der Landtagswahl eher der Osten Sachsens als AfD-Hochburg, lässt sich nach der Landtagswahl 2019 eher konstatieren, dass nur noch ein schmaler Streifen an der westlichen Grenze Sachsens und Dresden und Umgebung der AfD Ergebnisse unter 30 % beschwert.

Höchstwerte erreichte die AfD in

  • Neißeaue 48,4 %
  • Lampertswalde, 48,3 %
  • Dürrhennersdorf, 46 %
  • Großdubrau, 45,7 %
  • Beiersdorf 45 %
  • Dorfchemnitz 45,4 %
  • Schönbach 44,9 %,
  • Thiendorf 44,7 %
  • Königshain 44,6 %
  • Neschwitz 44,6 %
  • Puschwitz 43,8%
  • Neusalza-Spremberg 43,7%
  • Bahretal 43,6 %
  • Lawalde 43,1 %
  • Großschirma 42,6 %
  • Doberschau-Gaußig 42,6 %
  • Elstra (42,3%)

Vgl. Zeit


Direktmandate

Die AfD hat 15 von 60 Direktmandaten geholt.

  • Gudrun Petzold (33,3 %, Nordsachsen 1)
  • Lars Kuppi (31,7%, Mittelsachsen 4)
  • Dr. Rolf Weigand (33,7 %, Mittelsachsen 2)
  • Carsten Hütter (36,2 %, Meißen 1)
  • Mario Berger (40,1 %, Meißen 2)
  • Thomas Kirste (34,2 %, Meißen 3)
  • Frank Peschel (38,2 %, Bautzen 1)
  • Timo Schreyer (31,9 %, Bautzen 3)
  • Doreen Schwietzer (34,7 %, Bautzen 4)
  • Roberto Kuhnert (36,6 %, Görlitz 1)
  • Mario Kumpf (38,4 %, Görlitz 3)
  • Jan-Oliver Aldo Zwerg, (35 %, Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 3)
  • Ivo Teichmann (36,7 %, Sächsische Schweiz-Osterzgebirge 4)
  • Thomas Thumm (34,4 %, Erzgebirge 3)
  • Dietmar Frank Schaufel (30 %, Vogtland 1)


Wahlbeteiligung

Die Wahlbeteiligung lag in Sachsen bei 66,6 Prozent und ist fast flächendeckend angestiegen. Bei der Landtagswahl 2014 lag sie bei 49,1 Prozent. Allerdings hat dies nicht zu prozentualen Gewinnen für demokratische Parteien geführt. Die AfD hat so stark wie keine andere Partei von der gestiegenen Wahlbeteiligung profitiert. Rund 40 Prozent der AfD-Wähler waren vor fünf Jahren noch zu Hause geblieben. 246.000 vorherige Nichtwähler*innen wählten diesmal die AfD – allein das sind mehr Menschen, als bei der Landtagswahl 2014 insgesamt die AfD wählten. Insgesamt hat die AfD die Zahl ihrer Wähler damit mehr als verdreifacht.

Vgl.: Spiegel

Demokratische Parteien konnten 358.000 Nichtwähler*innen mobilisieren – allerdings zusammen. Die CDU konnte 162.000 ehemalige Nichtwähler*innen überzeugen, Die Linke 37.000, 41.000 die SPD, 32.000 die Grünen, 28.000 die FDP, 58.000 „andere Parteien“. 52 % der Nichtwähler*innen (907.000) wählten auch diesmal nicht.


Wählerstimmenwanderung

Die CDU verlor 84.000 Stimmen an die AfD, die Linke 27.000 Stimmen, die SPD 10.000 Stimmen, die Grünen 2.000, die FDP 8.000 und „andere Parteien“ 38.000 Stimmen.

17.000 Erstwähler*innen – das sind 10 % der erstmals stimmberechtigten – wählten die AfD. Davor lagen als Partei mit 20.000 Stimmen oder 11,8 % nur die Grünen. Allerdings 24.000 Erstwähler*innen, 14,1 % gaben ihr„andere Parteien“, und 74.000 (43,5 %) gingen gar nicht zur Wahl.


Altersgruppen 

Der AfD gelang es, in allen Altersgruppen zu mobilisieren. Bei den 18- bis 24-Jährigen wurde sie gemeinsam mit den Grünen stärkste Partei (20 %), bei den 25- bis 34-Jährigen war die AfD stärkste Partei (26 %), bei den 35- bis 44-Jährigen ebenfalls (29%), die 45- bis 59-Jährigen wählen zu 32 % AfD (gemeinsam mit 32 % für die CDU), die 60- bis 69-Jährigen zu 29 % hinter der CDU (37 %) und die über 70-Jährigen zu 21 % (hinter der CDU mit 45 %).

https://wahl.tagesschau.de/wahlen/2019-09-01-LT-DE-SN/umfrage-alter.shtml


Männer und Frauen

Wenn nur Männer in Sachsen zur Wahl gegangen wären, wäre die AfD laut Berechnungen der „Forschungsgruppe Wahlen“ auf 33 % der Stimmen gekommen und damit stärkste Partei geworden. Bei den Frauen stimmten 22 % für die AfD hinter 37 % für die CDU.

https://www.sueddeutsche.de/politik/landtagswahl-sachsen-ergebnisse-demografie-1.4583876

 

Themen

Am wichtigsten waren AfD-Wähler*innen die Themen Zuwanderung (34 %), Kriminalität und innere Sicherheit (18 %) und soziale Sicherheit (11 %).

Alle Wähler*innen wurden nach ihren Ansichten über die AfD befragt. 58 % meinen, die AfD spräche aus, was in anderen Parteien nicht gesagt werden dürfe (AfD-Wähler*innen: 99 %). 51 % finden es gut, „dass sie den Zuzug von Ausländern und Flüchtlingen stärker begrenzen will.“ (AfD-Wähler*innen: 98 %). 45 % meinen, die AfD habe „ein gutes Gespür für die Probleme der Menschen in Sachsen.

Die AfD-Wähler*innen meinen außerdem, die AfD sei die einzige Partei, um Protest auszudrücken (83 %). 88 % finden gut, „dass sie in der Klimadebatte den anderen Parteien etwas entgegensetzt“. Und 48 % finden, die AfD distanziere sich nicht genug von rechtsextremen Positionen, was im Umkehrschluss heißt, dass 52 % die offene Propagierung von rechtsextremen Positionen und Kontakte zu Rechtsextremen für akzeptabel oder zumindest vernachlässigbar halten.

Vgl.: Tagesschau Umfrage

Als neue Arbeiterpartei darf sich die AfD auch begreifen: 41 % der Arbeiter wählten sie (vor 25 % CDU, 10 % Linke, 5 % SPD, 5 % Grüne und 4 % FDP).

Außerdem gaben 26 % der Angestellten ihre Stimme der AfD, 29 % der Selbstständigen und 22 % der Rentner*innen.

Vgl.: Tagesschau Umfrage Job

 

Weitere rechte Stimmen

  • Auch die rechtsextreme NPD trat in Sachsen zur Wahl an und bekam 0,61 % der Stimmen (13.239).
  • Die rechtsextreme AdP („Aufbruch deutscher Patrioten“, zweite Ex-Partei von André Poggenburg) erhielt 0,18 % der Stimmen (3.953).
  • Frauke Petrys neue Partei „Die Blauen“ erhielt 0,36 % der Stimmen (7.786).
  • Die „Freien Wähler“, die in Sachsen auch rechte Positionen vertreten, erhielten 3,36 % der Stimmen (97.425).
  • Die verschwörungsideologisch-antisemitische Partei „BüSo“ erhielt 0,08 % der Stimmen (1.665).

Einstellungsumfragen

Laut Umfragen von infratest dimap für die ARD hat in Sachsen die Erzählung „Ostdeutsche sind Bürger zweiter Klasse“ stark verfangen. 66 % aller Wähler*innen stimmen der Aussage zu, 78 % der AfD-Wähler*innen, aber auch 72 % der Linke-Wähler*innen und 65 % der SPD-Wähler*innen, 63 % der FDP-Wähler*innen und immer noch 56 % der CDU-Wähler*innen. Bei den Grünen sind es „nur“ 34 %. Bei der Frage, welche Partei „die Interessen der Ostdeutschen“ am ehesten vertrete, liegt die Linkspartei mit 25% knapp vor der AfD mit 23 % Zustimmung.

Das Thema „Zuwanderung“ ist mit 12 % auf Platz 4 der Themen gerückt, die für die Wahlentscheidung eine Rolle spielten (hinter Soziale Sicherheit (17%), Bildung (14 %), Wirtschaft und Arbeit (13 %). Wenig überraschend spielt „Zuwanderung“ für AfD-Wähler*innen eine größere Rolle (34 %).

Wenn allerdings von allen Wähler*innen rund 25 % zustimmen, sie trauten der AfD „am ehesten zu, eine gute Asyl- und Flüchtlingspolitik zu betreiben“, wird der rassistische und menschenrechtsfeindliche Grundkonsens bei einem Viertel aller sächsischen Wähler*innen sichtbar (zumal die zusätzlichen 22 %, die der CDU die beste Asylpolitk zutrauen, auch nicht für großzügig schützende Asylpolitik stehen).

84 % der AfD-Wähler*innen sorgen sich, „dass sich unser Leben zu stark verändert“, und wählten unter anderem deshalb die AfD.

Keine Veränderung, dazu gehört wohl auch der Wunsch nach einem Bestehen der CDU-Landesregierung. So wünschten sich 45 % aller befragten Wähler*innen, dass die CDU die Landesregierung führen sollte. An Platz zwei wird von 16 % allerdings bereits die AfD genannt.

Bei der Frage, welche Partei die besten Antworten auf die Fragen der Zukunft habe, zeigt sich eine generelle Politikverdrossenheit: 39% finden, diese Antworten hat „keine Partei“. Immerhin werden zukunftsfähige Antworten eher der CDU (17%) oder den Grünen (12%) zugetraut als der AfD (11%).

vgl.: Tagesschau

 

Besorgte Bürger*innen

Die sächsischen Wähler*innen wurden auch zu ihren Sorgen befragt.

63 % sorgen sich vor einem Klimawandel, der unsere Lebensgrundlagen zerstört – das hatte aber offenbar nicht so viel Einfluss auf die Wahlentscheidung, vielleicht auch aus taktischen Gründen.

60 % sorgen sich, dass der Einfluss des Islam in Deutschland zu stark wird. Diese Angst muss aus (Des-)Informationen aus Medien und dem Internet stammen, denn in Sachsen leben nur 2,2 % Muslim*innen – im Alltag wird diese Sorge offenkundig nicht genährt.

57 % sorgen sich um steigende Kriminalität. Dies kann ein Ausdruck eines Wunsches innerer Sicherheit sein – oder verkappter Rassismus, wenn die Ursache für steigende Kriminalität in nicht-deutschen Menschen gesehen wird (wurde aber nicht abgefragt).

53 % sorgen sich, dass sie „einen Verlust der deutschen Kultur und Sprache erleben“.
Auch dies ist offenkundig von der Angst geprägt, diese durch Einflüsse eine globalisierten Welt oder durch Migration zu verlieren.

vgl. Tagessschau Umfrage Lebensverhältnisse

Die Sorge, dass „der Einfluss des Islam zu stark wird“, zieht sich in Sachsen übrigens erschreckend durch alle Parteien: So sorgen sich um dieses Thema 98 % der AfD-Wähler*innen, aber auch 56 % der CDU-Wähler*innen, 44 % der Linke-Wähler*innen, 43 % der SPD-Wähler*innen, 40 % der FDP-Wähler*innen – nur die Grünen-Wähler*innen sind mit rund 11 % verhältnismäßig unbesorgt über den Islam.

Immerhin beklagen Menschen auch reale Probleme wie schlechtere ärztliche Versorgung (32 %), zu wenig Polizeipräsenz (30 %) und verschlechterter öffentlicher Nahverkehr (26 %). Im ländlichen Raum wird vor allem verschlechterter Nahverkehr (43 %), ärztliche Versorgung (41 %), Polizeipräsenz (41 %) beklagt, gefolgt von fehlenden Einkaufsmöglichkeiten (28 %) und Schulen und Kitas (22 %).

Erschreckende 55 % der Menschen in Sachsen sind unzufrieden damit, wie Demokratie in Deutschland funktioniert. Unter AfD-Wähler*innen sind es 86 %.

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397021954

Broschüre „Eine Waffe im Informationskrieg“ Putin-Freund*innen in der Politik

Kremlnahe Narrative verbreiten in Deutschland nicht nur Akteur*innen auf Social Media oder Webseiten aus der verschwörungsideologischen Medienlandschaft. Auch Politiker*innen von Parteien, die im Deutschen Bundestag vertreten sind, reproduzieren derartige Erzählungen. Ein Auszug aus der Broschüre „Eine Waffe im Informationskrieg“ der AAmadeu Antonio Stiftung.

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