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Methoden Wenn Argumentationstrainings zu Rassismus anleiten

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Symbolbild Workshop und Notizen. (Quelle: pixabay / Bru-NO)

Wer üben will, gegen Rechtsextremismus und Rassismus zu argumentieren, hat dabei mit Beispielen von Rechtsextremismus und Rassismus zu tun. Dass davon Personen getriggert werden, die von Abwertungen betroffen sind, ist ein Szenario, das Teamende nicht vergessen dürfen. Es liegt eine große Verantwortung bei den Personen, die solche Argumentationstrainings pädagogisch gestalten und leiten. Auf einem Methodenfachtag im Juli 2023 in Berlin wurde ein problematisches Argumentationstraining angeboten. Wir dokumentieren die Stellungnahme unserer anwesenden Kollegin, um auf die Problematik hinzuweisen – mit der Hoffnung, dass Anbieter*innen von Argumentationstrainings mehr darüber nachdenken, die Reproduktionen rassistischer Ressentiments zu vermeiden – und erst recht die aktive Produktion.

Liebes Team, liebe Teilnehmende des Methodenfachtags,

ich habe am Methodenfachtag in Berlin teilgenommen. Ich wende mich an Euch mit der Aufarbeitung und Kritik einer Situation, die sich beim Methodenfachtag in den Räumen des Lernorts in einem Workshop
zugetragen hat.

Ich habe im ersten Slot des Tages selbst einen Workshop zu unserem Projekt und der Methode des Digital Streetworks auf TikTok gegeben. Da lag es natürlich nah, den nachfolgenden Workshop zu „Online Streetwork“ zu besuchen. Dieser wurde eingeleitet mit einigen Standards und Ansprüchen von Streetwork im Internet und ich war zunächst sehr interessiert und fand die Präsentation sehr gut und spannend. Dies hielt jedoch nicht lange an, denn nach weniger als 10 Minuten ging es dann direkt in die erste Übung, die nicht noch problematischer hätte sein können und mich sehr erschüttert hat.

Ich komme selbst aus einem aktivistischen Hintergrund und studierte Philosophie und Antisemitismusforschung; Argumentationstrainings und Argumentieren an sich sind also für mich nichts Neues. Doch was sich in diesem Workshop ereignete, hat mich erschüttert.

Die Übung bestand daraus, zunächst ein Video anzuschauen, welches mit trauriger Musik unterlegt war und von mehreren deutschen Großstädten einen „Migrantenanteil“ zwischen 50 und 60% einblendete – ob diese Zahlen stimmen, ist in diesem Kontext irrelevant – und am Ende des Videos war davon die Rede, dass es ja keine „echten Deutschen“ mehr gäbe oder dass es nicht sein könne, dass in Deutschland nur noch so wenig „echte Deutsche“ lebten. Es wurde dann der Link zu einem Pad geteilt, dort sollte das Argumentationstraining beginnen. Die Teilnehmenden wurden aufgeteilt in zwei Gruppen: die Online Streetworker*innen und die „provozierenden“ Kommentator*innen, die hetzerische Kommentare in der
Kommentarspalte verfassen sollte. Nun sollten ebendiese hetzerischen und potenziell rechten Kommentare, die der eigenen Fantasie entspringen mussten, in das Pad eingetragen werden und von den Online Streetworker*innen beantwortet werden.

Noch während diese „Übung“ erklärt wurde, wuchs der Kloß in meinem Hals und ich merkte, wie ich unruhig wurde und die anderen Teilnehmenden beobachtete. Ich fand mich selbst als einzige sichtbar migrantische und Schwarze Person in einem Raum mit ausschließlich weißen Menschen wieder, die nun voller Tatendrang diese vermeintliche Übung starten wollten und sich unberechenbare, potenziell rassistische und rechte Kommentare überlegen könnten, die dann im Rahmen der Übung sowohl im Pad
aufgeschrieben als auch laut gesagt werden würden.

Als eine Person, die ihr Leben lang Erfahrungen mit Rassismus gemacht hat und „Hass auf Migranten“ zu hören und spüren bekommen hat, versetzte mich diese hemmungslose Bereitschaft sich nun Kommentare „als rechte Person“ auszudenken, in ein Pad zu schreiben und im Raum der anderen Gruppe mitzuteilen, in einen Schockzustand und ich musste meinen ganzen Mut zusammen nehmen, um anzukündigen, dass ich an so einer Übung unter keinen Umständen teilnehmen werde und sehr schockiert bin.

Ich merkte, wie ich körperlich nicht mehr in der Lage war, zu sprechen. Ich stand unter Schock, dass ich mich mal wieder in einer Situation wiederfand, wo unsensible weiße Menschen (sogar in einem professionellen Setting) überhaupt keine Ahnung haben, was ihre „Methoden“ für Unbehagen, Schmerz und Trauma auslösen. Ich fing an zu weinen, hyperventilierte und verließ den Raum komplett aufgelöst. Dieser Abgang war mir mehr als unangenehm.

Warum man bei einer Gegenrede Übung nicht einfach mit Fallbeispielen und Screenshots von Kommentarspalten arbeitet, ist mir nicht klar und es wurde mir erneut vorgeführt, dass weiße Räume keine sicheren Räume sind für mich, da ich jederzeit damit rechnen muss, dass Menschen es scheinbar für
total normal erachten, sich nun in Nazis und Rechte „hineinzuversetzen“ und zu überlegen, was die wohl sagen könnten.

Vor dem Hintergrund, dass alle Teilnehmenden in der Rechtsextremismusprävention arbeiten, sollte uns eigentlich sehr wohl klar sein, wie rechte Kommentare aussehen-ich denke nicht, dass es nötig ist, sich
in rassistische Menschen einzufühlen und hineinzuversetzen, um draufzukommen, was die wohl zu Migrant*innen in Deutschland sagen würden. Ich zumindestens weiss auch aus eigener Erfahrung, was zu
migrantischen Menschen in Deutschland gesagt wird.

Dass hochgebildete und studierte Menschen aus dem Fach der Rechtsextremismusprävention es für unproblematisch halten, in einem Workshop Teilnehmenden zu sagen, sie sollen sich nun „Kommentare gegen Migrant*innen“ ausdenken als Übung, finde ich nicht nur geschmacklos, sondern auch wahnsinnig unreflektiert und verletzend.

Das zeigt mir nur erneut wieder, dass Rassismus zu studieren und darüber zu lesen, nicht dazu befähigt, darüber auf eine angemessene und sensible Art und Weise sprechen, geschweige denn aufklären zu können. Ich werde mir von nun an doppelt und dreifach die Frage stellen, ob solche Vernetzungsevents, die ausschliesslich von weissen Menschen besucht werden, für mich überhaupt noch infrage kommen, denn so eine Situation möchte ich wirklich nicht in einem vermeintlich professionellen Umfeld erleben. Dass es so gut wie keine Hemmungen bei den anderen Teilnehmenden gab, hat mich ehrlich gesagt genauso schockiert wie diese „Übung“ an sich.

Vor drei Monaten erlebte ich bereits eine ähnliche Situation: Ich sollte in einer ähnlichen Übung in einer Gruppe dafür argumentieren, dass rassistische Fremdbezeichnungen ja nicht so schlimm seien und warum es okay ist, sie zu sagen. Ich denke nicht, dass ich erklären muss, warum es absolut verstörend ist, von einer Schwarzen Person zu verlangen, dass sie sich überlegt, wie weiße Leute rechtfertigen z.B. das N-Wort sagen zu dürfen.

Diese „Übungen“ beinhalten einen echten Schmerz und sehr echte Kommentare und Argumentationen, die ich mir als Schwarze Person schon mein ganzes Leben lang anhören muss und sie von vermeintlichen Kolleg*innen und Verbündeten fantasiert und reproduziert zu sehen ist absolut inakzeptabel. Ich kann nur hoffen, dass einige aus meiner Kritik etwas mitnehmen und dass zukünftig keine BiPoC mehr in professionellen Kontexten mit solchen „Übungen“ traumatisiert werden.

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