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Nominiert für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie Schüler für Flüchtlinge, Bischofswerda

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Die "Schüler für Flüchtlinge" machen sich in Bischofswerda für eine demokratische Alltagskultur stark - durch Aufklärung von Uninformierten und praktische Hilfe. (Quelle: Schüler für Flüchtlinge)

Als im Unterricht rassistische Sprüche gegen Flüchtlinge fielen, hatte Ethiklehrerin Anke Rölke und einige ihrer Schüler den Eindruck: Die wissen doch gar nicht genau, wovon sie sprechen. Zwar gab es 2013, als am Gymnasium Bischofwerda die Arbeit gegen Rassismus und für Flüchtlinge begann, bereits ein Flüchtlingsheim in der 12.000-Einwohner-Stadt – doch das lag isoliert, Kontakt zur Stadtgesellschaft gab es kaum. Deshalb, so dachten die Lehrerin und die am Thema interessiert Schülerinnen, könnten Informationen wohl nicht schaden: Sie erarbeiteten Workshop-Unterrichtsstunden zum Thema Flucht und Asyl. „Das Thema war damals noch nicht so präsent wie heute, wir mussten uns erst einmal fit machen“, sagt sie. Die Unterrichtstunden wurden dann in verschiedenen Klassen von den beteiligten Schülerinnen – anfangs waren es 10 Engagierte – gehalten. Am Ende befragten die Schülerinnen ihre Mitschüler, wie es ihnen gefallen habe: Rund 60 Prozent gaben daraufhin an, ihre ursprünglich ablehnende oder punktuell ablehnende Haltung gegen Flüchtlinge geändert zu haben, da sie auf Unwissenheit oder Fehlinformationen beruhte. Mehr noch: Einzelne Schülerinnen gaben an, sich auch aktiv für Flüchtlinge einsetzen zu wollen. „Natürlich erreichen wir nicht die, die eine gefestigte rassistische Meinung oder ein rechtsextremes Weltbild haben“, sagt Rölke, „aber bei den anderen war der Effekt ermutigend“.

Aufklärung gegen Unwissenheit – praktische Solidarität für Geflüchtete

So bleibt die Aufklärungsarbeit in der Schule – mit ständig aktualisierten Workshop-Unterrichtstunden, aber auch mit einer Ausstellung zum Tag der offenen Tür der Schule – ein Standbein der „Schüler für Flüchtlinge“. Ebenso wichtig ist allerdings inzwischen die praktische Arbeit mit und für Flüchtlinge der inzwischen auf 33 engagierte Jugendliche angewachsenen Gruppe. Um Begegnungen zu ermöglichen, organisieren sie Veranstaltungen und Feste, gestalteten etwa das Sommerfest mit, eine Piratenschatzsuche zum Tage des Flüchtlings oder ein „Pro Asyl“-Konzert mit und für Asylsuchende, aus dessen Erlösen ein Trampolin gekauft werden konnte – ein Blick auf die Facebook-Seite der Initiative gibt eine Idee von den vielfältigen Ideen der Jugendlichen. „Wir sind ja auch nicht allein“, sagt Rölke, „es gibt eine tolle Zusammenarbeit mit den lokalen Vereinen, Kirchengemeinden und anderen Ehrenamtlichen. Wenn jetzt etwas Halloween vor der Tür steht, spenden uns Landwirte Kürbisse zum Schnitzen und Mütter bieten sich an, Kostüme für die Kinder im Flüchtlingsheim zu nähen.“  Weniger positive Anlässe bringen die Schülerinnen und Schüler auf der Straße – etwa als im September Rechtsextreme vor dem Heim gegen die Flüchtlinge Stimmung machten, als Bischofswerda eine Erstaufnahmeeinrichtung bekam: Da haben die Jugendlichen einen Gegenpunkt gesetzt.  Auf ihrer Facebook-Seite berichten die „Schüler für Flüchtlinge“: „Wie aus der Presse zu entnehmen ist, haben die Asylgegner vorm Heim gestern versucht, die Busse an der Durchfahrt zu hindern. Es war sicherlich eine schreckliche Situation für die Ankommenden, von diesen zum großen Teil betrunkenen Menschen, welche ihre üblichen Sprüche skandierten, begrüßt zu werden. Aber hinter der pöbelnden Gruppe standen die Menschen, die sich für Flüchtlinge einsetzen. Zusammen mit Asylsuchenden aus dem Heim hatten wir uns aufgereiht und haben den Neuankömmlingen in den Bussen zugewinkt. Die Flüchtlinge aus den Bussen, darunter viele Kinder, winkten uns zurück. Sicherlich konnte diese Geste den Empfang durch die Asylgegner nicht wieder gutmachen, aber wir hoffen, dass dieser dadurch etwas abgemildert wurde, weil die Flüchtlingen sehen konnten, dass ihnen nicht nur Ablehnung entgegenschlug.“ Ja, sagt Rölke, im Ort gebe es natürlich auch ablehnende Haltungen. „Menschen, die bisher keinen Kontakt mit Flüchtlingen hatten, äußern oft Ängste – aber das lässt sich ja bearbeiten. Insgesamt erlebe ich hier aber mehr Offenheit als Ängste.“

Normalität ermöglichen

Im Alltag gibt es auch ganz regelmäßige Arbeit vor Ort, die die „Schüler für Flüchtlinge“ übernehmen: Sie geben an zwei Tagen in der Woche Deutschunterricht und bieten einen Spielenachmittag  für die Kinder an mehreren Tagen in der Woche an. Unterstützt werden die Jugendlichen von ehemaligen Schülern und Referendaren der Schule, auch das lokale Kinder- und Jugend-Netzwerk unterstützt die Aktivitäten mit Rat und Tat, egal, ob es um einen Beamer für den Filmabend oder eine Begleitung für Flüchtlinge zum Bahnhof geht. Über die Schülerinnen sind auch viele Eltern zum Engagement gekommen: „Viele übernehmen Patenschaften für Familien im Heim, damit die sich leichter hier zurechtfinden können. Sie helfen im Alltag, gehen mit zum Arzt oder einfach einmal gemeinsam Kuchen essen, die Stimmung ist herzlich und dankbar und toll für beide Seiten“, sagt Rölke. Durch den Kontakt entsteht auch eine neue Normalität: Ein Mädchen und ein Junge aus dem Heim sind inzwischen Schüler des Gymnasiums, andere spielen im Sportverein mit oder können am Gitarrenunterricht teilnehmen.

Zur Arbeit der „Schüler für Flüchtlinge“ gehört auch, die Flüchtlinge stets in die Arbeit mit einzubeziehen und ihre Wünsche und Bedürfnisse zu erfragen. Deshalb wissen sie, dass die Monotonie des Heimlebens für die Geflüchteten im Alltag besonders belastend ist. Da bisher alle Ausflüge und Aktivitäten privat finanziert werden, könnte hier der Sächsische Förderpreis für Demokratie eine gelungene Unterstützung sein, um auch größere Aktivitäten gerade für die Familien zu ermöglichen.

 

| Schüler für Flüchtlinge auf Facebook

 

Info: Der Sächsische Förderpreis für Demokratie 2015 

64 Bewerbungen für den Sächsischen Förderpreis für Demokratie – Preisverleihung am 9.11. in Dresden mit Laudatio von Anja ReschkeIn diesem Jahr wird der Sächsische Förderpreis für Demokratie zum neunten Mal verliehen. Der Preis würdigt herausragendes Engagement von Initiativen und Kommunen gegen Rechtsextremismus und für Menschenrechte und eine demokratische Kultur in Sachsen. 64 Initiativen, Projekte, Kommunen und Landkreise bewarben sich für die Auszeichnung. Ende September tagte die Jury, um aus der Fülle spannender Einreichungen diejenigen auszuwählen, die am 9. November in Dresden ausgezeichnet werden.

Die Nominierten des Sächsischen Förderpreises 2015 sind:

Banda Comunale: Mit der Initiative Neujahrsputz und der Angsthasen Prozession setzten sie Pegida eine Protestform entgegen, die mit Satire und positiven Bildern viele Dresdner ermutigte, sich mit zu positionieren.Bündnis „Willkommen in Roßwein“: Die Bürgerinitiative organisierte sich, um mit Politik, Ver-waltung, Kirchen und Vereinen Asylsuchenden die ersten Schritte im Ort zu erleichtern und der lokalen Pegida-Bewegung die Stirn zu bieten.Bürgerinitiative „Gesicht zeigen“ – Netzwerk für demokratisches Handeln: Engagierte Eltern starteten trotz ständiger Bedrohung ein vielfältiges Programm zur Entwicklung einer demokratischen Soziokultur im ländlichen Raum um Penig und Lunzenau.Initiativkreis Antirassismus: Das Projekt „Die verschwiegenen Toten“ informiert über statistisch nicht erfasste Opfer rechter Gewalt in Leipzig und kämpft um ihre Anerkennung und ein an-gemessenes Gedenken.Legida? Läuft nicht. Leipziger Studierende gegen Rassismus: Die hochschulübergreifende Initia-tive ist eine der treibenden Kräfte der No-Legida-Bewegung und aktiv bei der Unterbringung von Asylsuchenden in Gebäuden der Hochschulen.Schüler für Flüchtlinge: Die Schüler des Goethe-Gymnasiums Bischofswerda setzen sich für Aufklärung und praktische Hilfe im benachbarten Asylbewerberheims ein und wurden zum Zentrum der ehrenamtlichen Unterstützungsstrukturen der Stadt.Jürgen Opitz, Bürgermeister der Stadt Heidenau: Der Bürgermeister positionierte sich klar ge-gen fremdenfeindliche Ausschreitungen und gewalttätige Flüchtlingsgegner und schaffte es so, auch andere Bürger für Willkommensaktivitäten zu mobilisieren.

Die Verleihung des Preises findet am 9. November im Max-Planck-Institut für Chemische Physik fester Stoffe in Dresden statt. Dort wird auch das Projekt bekannt gegeben, das mit dem Hauptpreis von 5.000 Euro ausgezeichnet wird. Die Laudatio hält die Journalistin und Panorama-Moderatorin Anja Reschke, die jüngst in einem Tagesschau-Kommentar klar Stellung gegen rechte Hetze in den Sozialen Medien bezog.

Der Preis wird ausgelobt von der Amadeu Antonio Stiftung, der Freudenberg Stiftung, der Sebastian Cobler Stiftung und der Stiftung Elemente der Begeisterung.

Mehr auf www.demokratiepreis-sachsen.de

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„Drei Steine“ Ein autobiografischer Comic über Neonazi-Gewalt in Dortmund

Ein Junge, der in den 1980er Jahren an einer Schule in Dortmund rechte Hetze erlebt und den Rechtsextremen Paroli bietet, wird geschlagen, drangsaliert und sogar fast getötet – ohne das es Hilfe gibt. Heute ist Nils Oskamp erwachsen und hat seine Erfahrungen in dem Comic „Drei Steine“ verarbeitet. Seine Peiniger sind mittlerweile rechtsextreme Szene-Größen.

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