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NSU Immer noch keine Aufklärung in Hamburg

Fast 22 Jahre später und immer noch keine lückenlose Aufklärung: Am 27. Juni 2001 wurde in Hamburg Süleyman Taşköprü vom NSU auf heimtückische Art ermordet.

 
Das Denkmal für Süleyman Taşköprü in Hamburg-Bahrenfeld (Quelle: Wikimedia / NordNordWest / CC BY-SA 3.0 de)

Süleyman Taşköprü wurde in seinem Gemüseladen in der Schützenstraße in Hamburg-Bahrenfeld erschossen. Er betrieb diesen Laden gemeinsam mit seinem Vater. Dieser entdeckte seinen 31-jährigen Sohn, er hatte eine tödliche Kopfverletzung. Drei Schüsse hatte der Mörder auf Süleyman abgegeben. Dass der Mord vom NSU begangen wurde, stellte sich erst zehn Jahre später heraus. So lange wurde die Familie Taşköprüs in Unsicherheit gelassen und zusätzlich noch zum Gegenstand polizeilicher Verdächtigungen gemacht.

Sie waren die Verdächtigen – nicht die rassistischen deutschen Mörder und ihr rechtsradikales Umfeld. Dies teilt sie mit den meisten migrantischen Familien von NSU-Opfern: „Die Opfer wurden zu Tätern gemacht, während die wirklichen Täter und ihre Strukturen von den Behörden unbehelligt blieben. Die stigmatisierende These der Ermittlungsbehörden, wonach die Täter zuerst im Umfeld der Keupstraße zu suchen seien, blieb in der Öffentlichkeit weitestgehend unwidersprochen“, heißt es dementsprechend in einer Broschüre der Amadeu Antonio Stiftung zum NSU-Anschlag auf die Kölner Keupstraße.

Die bohrenden Fragen blieben – vielleicht nicht bei der deutschen Mehrheitsgesellschaft, auf jeden Fall aber bei Süleymans Familie und seinen Freunden. Sie alle hätten genauso ermordet werden können. Das Tatmotiv was Rassismus. „War die Tat von langer Hand geplant, möglicherweise mithilfe ortskundiger Unterstützer? Oder wurde Taşköprü, dessen Laden nicht allzu weit von der nächsten Autobahnauffahrt entfernt war, ohne große Vorbereitung und ohne Hintermänner umgebracht?“, fragte der NDR im Jahr 2001.

Grüne gegen NSU-Untersuchungsausschuss

Klarheit kann, das zeigt sich in der langen Geschichte der, politisch eher gescheiterten, juristischen und parlamentarischen Aufklärung der NSU-Morde, nur über Untersuchungsausschüsse hergestellt werden. In anderen Bundesländern wurde damit zumindest begonnen. In Hamburg hingegen verweigerten die seit Jahrzehnten regierenden Sozialdemokraten ein solches Aufklärungsbemühen – das bereits Angela Merkel mit ihrem Diktum der „schonungslosen Aufklärung“ zugesagt hatte. Die mitregierenden Hamburger Grünen schlossen sich nun dieser parlamentarischen Verweigerung an, oder beugten sich. Der Demokratie sollten insbesondere Migrant*innen nicht vertrauen, dies ist die erschütternde politische Botschaft aus der Hansestadt.

Die Grüne Landtagsabgeordnete und ausgebildete Psychologin Miriam Block, Sprecherin für Wissenschaft und Hochschule der Hamburger Grünen Landtagsfraktion, die sich seit Jahren für Antifaschismus, Queer-Feminismus und Klimagerechtigkeit einsetzt, war nicht bereit, einen solchen Verrat an demokratischen und Grünen Grundhaltungen mitzutragen. Das ist ihr gutes Recht als Parlamentarierin. Am 13. April stimmte sie dem Antrag der Hamburger Linken auf Errichtung eines parlamentarischen Untersuchungsausschusses (PUA) zu. Die Psychologin verweigerte den erneuten Verrat an den Gefühlen der Opfer und deren Familien.

Parlamentarische Vorbilder

Vorbilder für solchen demokratischen Mut einer Parlamentarierin hat es gerade in der liberalen universitären Millionenstadt Hamburg – die immerhin, im Gegensatz zu Köln, ihren jüdischen Bürger Ralph Giordano bereits kurz nach seinem Tode in angemessener Weise durch gleich zwei Straßenbenennungen geehrt hat – durchaus gegeben. An ihnen sollten sich die Hamburger Grünen und die Hamburger Zivilgesellschaft erinnern – und orientieren.

Das bedeutendste Vorbild ist die Hamburger Urliberale und einstige FDP-Bundestagsabgeordnete Helga Schuchardt. Sie hatte bereits während der sozial-liberalen Regierung unter Helmut Schmidt mehrfach, sogar in Einzelvoten, für demokratische Grundrechte und gegen den Betrieb des „Schnellen Brüters“ gestimmt – als Teil der Regierungsmehrheit. Einschüchtern durch innerparteiischen Druck ließ sie sich hierbei nie, wie sie in einem WDR-Interview eindrücklich beschrieben hat. Nach dem Bruch der Koalition mit der SPD unter Schmidt im Jahr 1982 trat Helga Schuchardt, wie ca. 20.000 Linksliberale, aus der FDP aus – und blieb parteilos. Und doch wurde sie als Parteilose in gleich zwei Landesregierungen in Ministerämter gewählt. „Mir wäre die Hand abgefault“, rang sie noch 30 Jahre später mit den Worten, „wenn ich Kohl im Bundestag hätte wählen müssen.“ Einen solchen Verrat an demokratischen Grundhaltungen vermochte sie als Parlamentarierin nicht mit ihrem Gewissen, ihrer demokratischen Grundhaltung zu vereinbaren, wie ich es vor sieben Jahren sowie noch einmal in dem Buch über Peter Finkelgruens Lebensthemen erinnert habe.

Der Grünen Landtagsabgeordneten Miriam Block kann nur für ihren Mut gedankt werden. Wegen ihres demokratischen Beharrungsvermögens, ihres aufrechten Antifaschismus, möchten die Hamburger Grünen sie sanktionieren: Block soll all ihre Ämter verlieren und dürfe nicht mehr für die Fraktion sprechen. Selbst ihr Rauswurf wird drohend ins Gespräch gebracht. Block sei „nun die einzige Grüne im Stadtparlament, die den Wunsch der Familie Taşköprü nach einem Untersuchungsausschuss erfüllen wollte“, konstatiert die taz.

Weiterhin gilt: Die NSU-Mordserie muss lückenlos aufgeklärt werden.

Foto: Wikimedia / NordNordWest / CC BY-SA 3.0 de

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