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Reaktionen der Nazis auf die NSU im Internet „Distanzierungen von rechtem Terror sind reine Taktik“

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Frau Rafael, die Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger sagte jüngst in der SZ, dass die Politik die Dimension des Rechtsextremismus unterschätzt habe. Dabei hätte doch ein Blick ins Netz genügt, um zu dieser Erkenntnis zu gelangen.
Sehr viele Politiker stellen sich dieser Tage vor die Presse und zeigen sich ganz überrascht davon, dass rechtsextreme Gewalttaten stattfinden. Kenner der Szene verblüfft das natürlich nicht. Es ist beispielsweise keine neue Erkenntnis, dass rechtsextreme Gewalttäter nicht nur zufällige Einzeltäter sind, die sich betrinken und dann ganz spontan losziehen und Gewalt ausüben. Jeder der sich mit der Thematik beschäftigt, weiß, dass Rechtsextremismus viel strukturierter ist. Der Blick ins Netz hätte das auch gezeigt, denn das Internet bildet das wirkliche Leben ab. Im Falle von Rechtsextremismus im Netz reicht die Palette von Mobbing über Gewaltverherrlichung bis hin zu Aufrufen zur Gewalt.

Wie bewertet die rechte Szene die Morde des sogenannten Zwickau-Trios? Wie sind die Reaktionen im Internet?
Die Reaktionen ändern sich von Tag zu Tag. Ganz am Anfang gab es nicht wenige, die die Aktionen begrüßt haben. Die Attentäter wurden als ?Helden für Deutschland? gefeiert. Diese Reaktionen wurden aber schnell wieder gelöscht. Es folgten verschwörungstheoretische Argumentationsmuster. Nach dem Motto: Die Morde hat es nie gegeben, vielmehr handele es sich um eine Kampagne, um der rechten Szene zu schaden. Als sich diese Argumentation nicht mehr aufrechterhalten ließ, begann der Versuch, sich zu distanzieren. Plötzlich waren die Täter gar keine ?wahren Nationalisten? mehr ? sondern bezahlte Verfassungsschützer. Nicht der NSU, sondern der Verfassungsschutz sei das wahre Problem, heißt es nun.

Ist es nicht verwunderlich, dass die rechte Szene im Internet den Tätern so kleinlaut applaudiert? Immerhin müsste das Motto des Zwickau-Trios ?Taten statt Worte? doch vielen aus der braunen Seele sprechen?
Das Kleinlaute stimmt nur teilweise, denn es gibt natürlich auch positive und verherrlichende Postings. Wir entdeckten kürzlich eine Klamottenmarke, die ein T-Shirt mit dem Aufdruck ?Killerdöner nach Thüringer Art? verbreitet. Menschenverachtender geht es wohl kaum. Aber es zeigt sich tatsächlich auch, dass sich viele in der Szene zumindest nach außen von den Taten distanzieren. Es wird offensichtlich, dass es mit der viel beschworenen Solidarität innerhalb der rechtsextremen Szene, innerhalb der sogenannten Kameradschaften, nicht weit her ist. Sobald Leute das Gefühl haben, dass sie selber in Gefahr geraten, ist es sehr viel bequemer zu sagen, die sind gar keine von uns. Das ist allerdings ein taktisches Statement.

Eine Strategie, die auch die NPD verfolgt. Welche Rolle spielt sie in diesem Zusammenhang?
Die NPD hat letztes Wochenende auf ihrem Bundesparteitag Holger Apfel zum neuen Bundesvorsitzenden gewählt. Apfel steht ja für einen Kurs, in dessen Verlauf die NPD noch stärker als politische Kraft etabliert werden soll. Die Strategie dahinter: Wir wollen gewählt werden, um mehr Geld, mehr Einfluss und eine größere Bühne zu bekommen. Das heißt aber nicht, dass die NPD von ihrem eigentlichen Ziel, die parlamentarische Demokratie abzuschaffen, abrückt. Zu dieser Zielsetzung passt auch die Strategie, die die NPD nun im Zusammenhang mit den Morden der NSU fährt. Hier heißt es: Die Attentäter sind Verbrecher und Gewalt lehnen wir grundsätzlich ab. Eine solche Argumentation aus dem Munde der NPD ist natürlich blanker Hohn, da die NPD oft genug gezeigt hat, dass sie Gewalt als probates Mittel ihrer Politik ansieht.

Insofern ist es auch eine Form des Selbstschutzes, um nicht noch mehr ins Visier zu geraten?
? Ganz klar. Darüber hinaus ist es taktisch nicht ungeschickt. Im Zweifelsfall kann die NPD jetzt immer sagen: ?Was wollt ihr denn eigentlich, wir haben uns doch distanziert.?

Welche Rolle spielt das Internet, spielen soziale Netzwerke bei der Verbreitung rechtsextremer Inhalte?
Soziale Netzwerke nehmen eine zunehmend zentralere Rolle ein. Zunächst wurden sie von rechter Seite sehr explizit genutzt. Das heißt, es wurden möglichst eindeutige Profile erstellt, die sich zunächst vor allem an die eigene Szene richteten. Ab 2010 hat sich die Strategie dann geändert. Federführend war hier die NPD, die gesagt hat, meldet euch als die netten freundlichen Leute von nebenan in den sozialen Netzwerken an und versucht, mit ganz gewöhnlichen Leuten in Kontakt zu kommen. Wir beobachten, dass Rechtsextreme in sozialen Netzwerken sehr viel Zeit investieren und gerade Leute ansprechen, mit denen sie in der realen Welt niemals in Kontakt treten könnten. Dazu werden ganz bestimmte Themen benutzt. So wird beispielsweisem das Thema Kindesmissbrauch aufgegriffen, ein Thema, das sich deshalb eignet, weil es sehr emotional geführt wird und es dazu eigentlich nur eine Meinung gibt. Derartige Themen werden dann von rechtsextremer Seite instrumentalisiert, um schließlich die eigenen rassistischen Ideen zu verbreiten.

Und die Verbreitung findet auch sehr direkt über vermeintlich harmlose Kanäle wie Youtube statt. Dort kann man sich beispielsweise das Paul-Panther-Propagandavideo des Nazi-Trios anschauen.
Die einfache Zugänglichkeit ist in der Tat ein großes Problem. Alles was zur rechtsextremen Subkultur gehört, ist im Grunde nur einen Klick entfernt. So lassen sich über das Internet ganz einfach rechtsextreme Buttons bestellen oder entsprechende Flyer herunterladen. Das Internet hat den Zugang zu rechtsextremen Gedankengut sehr vereinfacht.

Fehlt hier auch eine Art Sensibilisierung im Netz? Ist der Raum Internet besonders anfällig für Rassismus und Antisemitismus? Ist diese Anfälligkeit systembedingt, weil man dort eben anonym auftreten kann?
Die Meinungsäußerungen sind durch die Anonymisierungen natürlich sehr viel offener und extremer. Ein weiterer Punkt ist der, dass gerade die Themenfelder Internet, soziale Netzwerke und Web 2.0 immer auch vor dem Hintergrund der Meinungsfreiheit diskutiert werden. Gerade die Netz-Community muss sich aber bewusst werden, dass Meinungsfreiheit ihre Grenzen hat. Immer dort, wo es nicht um Meinungen geht, sondern um Volksverhetzung und die Leugnung des Holocaust. Es geht letztlich darum, die demokratischen Werte auch im Netz zu verteidigen.

Es gilt demnach, Meinung und Propaganda auseinanderzuhalten?
Absolut. Das ist sehr wichtig. Dabei geht es aber nicht um Verbote. Auch wenn ich einen Nazi lösche, bleibt er Nazi und meldet sich unter anderem Namen wieder an. Wir müssen das Bewusstsein für die Problematik schärfen, sensibilisieren.

Was ist mit Facebook und Co? Werden sie ihrer sozialen Verantwortung gerecht? Fühlen Sie sich von den sozialen Netzwerken in ihrer Arbeit ausreichend unterstützt?
Es gilt, zwischen den einzelnen Netzwerken zu unterscheiden. Die deutschen Netzwerke ? VZ-Netzwerke , Jappy oder Wer-kennt-wen.de ? haben inzwischen die Problematik des Rechtsextremismus erkannt und auch geschulte Kräfte in ihren Reihen. Facebook allerdings hat bis vor einem Jahr so gut wie nichts gegen Rechtsextremismus unternommen. Man hat alle gewähren lassen und sich nur dann gekümmert, wenn es sich um massive strafrechtlich relevante Verstöße handelte. Mittlerweile macht aber auch Facebook Fortschritte. Es gibt inzwischen bei Facebook Deutschland jemanden, der sich mit solchen Fragen auseinandersetzt. Dort scheint angekommen zu sein, dass gerade in Deutschland die Auseinandersetzung mit Rechtsextremismus auch einen besonderen Stellenwert hat. Dass derartige Entwicklungen aber auch auf amerikanischer Facebook-Seite stattfinden, bleibt doch sehr unwahrscheinlich.

Frau Rafael, vielen Dank für das Gespräch.

Dieser Text erschien zuerst auf Cicero.de am 21.11.2011.

Mehr im Internet:

Netz-gegen-nazis.de und no-nazi.net sind aktuell als ExpertInnen gefragt. Auch hier kamen wir zu Wort:

| Täglich sieht sie nach den Rechten (nwz-online.de, 29.11.2011)

| Neonazis entdecken Social Media (Kölner Stadtanzeiger, 28.11.2011)

| Rechte Szene verherrlicht Mordserie im Netz (Welt, 24.11.2011)

| Neonazis entdecken Social Media (Kölner Stadtanzeiger, 24.11.2011)

| Neonazis im Netz (Audio-Beitrag SR DRS, 24.11.2011)

| Kampagnen: Gestatten, rechts und nett (Tagesspiegel, 23.11.2011)

| „no-nazi.net“ – Abwehrzentrum gegen Rechts (Tagesthemen, 21.11.2011, Video)

| Auch Rechtsextreme wissen soziale Netzwerke für ihre Zwecke zu nutzen – Den Nazis nicht ins Netz gehen (Neue Westfälische Zeitung, 21.11.2011)

| „Für die NPD ist Gewalt ein probates Mittel“ (Deutschlandradio, 17.11.2011, Audiobeitrag)

| Netz-gegen-Nazis: „NPD-Verbot würde Grundproblem nicht ändern“ (Mainpost, 16.11.2011)

| Subtile Botschaften auf Facebook: Wie erkenne ich Nazis im Netz? (BILD.de, 16.11.2011)

| Alles zum Thema NSU auf netz-gegen-nazis.de

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