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Rechtsextreme Propaganda Wenn der „Sturmvogel“ singt

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Bereits im August 2022 hatte Wolfhard F. (rechts) aus dem Raum Uelzen (Niedersachsen) die Leitung eines „Sturmvogel“-Lagers übernommen. (Quelle: © isso.media)

Von Timo Büchner

„Odalrune auf blutrotem Tuche | Weh voran uns zum härtesten Streit | Odalrune, Dir Zeichen aller Freien | Sei der Kampf unseres Lebens geweiht“ – so lautete eine Strophe aus dem Liederbuch der „Wiking-Jugend“ (WJ). Die WJ, 1952 gegründet, war eine neonazistische Kinder- und Jugendorganisation. Ihre Fahne war schwarz-weiß-rot und zeigte eine Odal-Rune. Im Nationalsozialismus wurde die Rune von der Hitler-Jugend und vom Rasse- und Siedlungshauptamt der SS verwendet.

Mehr als 40 Jahre konnte die WJ Neonazi-Ideologie unter Kindern und Jugendlichen verbreiten. Die Organisation konnte paramilitärische Lager durchführen und „Rassenkunde“ lehren. 1994 war Schluss: Das Bundesinnenministerium verbot die WJ. Nach einer Klage bestätigt vom Bundesverwaltungsgericht. Das Gericht urteilte, die WJ sei antisemitisch und rassistisch. Und: „Ferner verunglimpft sie die Bundesrepublik Deutschland und will die parlamentarische Demokratie durch einen Führerstaat nationalsozialistischer Prägung ersetzen.“

Der „Sturmvogel“

1987, einige Jahre vor dem Verbot der WJ, wurde der „Sturmvogel – Deutscher Jugendbund“ als Abspaltung gegründet. Seine Fahne ist, wie einst die Fahne der WJ, schwarz-weiß-rot und zeigt einen Vogel. Im Gegensatz zur WJ ist der „Sturmvogel“ bis heute aktiv. Im Sommer 2022 führte die rechtsextreme Kinder- und Jugendorganisation ein Zeltlager auf dem Immenhof durch. Der Immenhof, von Hecken und Wald verdeckt, liegt in Bispingen-Hützel (Niedersachsen).

Ein großes Schild zeigte das Lagermotto in Frakturschrift: „Der Fröhlichkeit die Türen auf“. Damals leitete Wolfhard F. aus dem Raum Uelzen das Lager. F., Mitte 20, stammt aus einer völkischen „Sippe“ und hat Kontakt zum rechtsextremen Ludendorff-Netzwerk. Das Netzwerk pflegt die antisemitische und rassistische Ideologie Mathilde Ludendorffs (1877-1966). Der einflussreichste und wichtigste Verein des Netzwerks ist der „Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff)“.

Der „Bund für Gotterkenntnis“ besitzt seit Anfang der 1970er-Jahre ein altes, mehrstöckiges Bauernhaus im Südwesten Deutschlands. Das Haus trägt den Namen „Jugendheim Hohenlohe“ und liegt in Kirchberg/Jagst-Herboldshausen (Baden-Württemberg). Vom 27. Dezember 2022 bis 1. Januar 2023, knapp fünf Monate nach dem Zeltlager in der Lüneburger Heide, führte der „Sturmvogel“ ein Lager im „Jugendheim“ durch. Erneut leitete Wolfhard F. das Lager. Knapp 50 Personen, darunter zahlreiche Kinder und Jugendliche, nahmen teil. Jungs mit Scheitel, Mädchen mit geflochtenen Zöpfen. Erwachsene und Kinder trugen Uniformen. Die Teilnehmer in dunkelgrünen Hemden und schwarzen Zimmermannshosen. Die Teilnehmerinnen in dunkelgrünen Blusen und schwarzen Röcken. Am Ärmel ein rot-weißes Abzeichen mit schwarzem Vogel. Einzelne Teilnehmer*innen trugen Braunhemden ohne Abzeichen.

Fackeln, Fahnen, Uniform

Die Autos vor dem „Jugendheim“ kamen hauptsächlich aus Norddeutschland, Kennzeichen aus Ludwigslust und Güstrow (Mecklenburg-Vorpommern) sowie aus Lüneburg und Uelzen (Niedersachsen) waren zu sehen. In Mecklenburg-Vorpommern und Niedersachsen verfügt die völkische Szene seit Jahrzehnten über gefestigte Strukturen. Hin und wieder wurden Kennzeichen mehrerer Autos abmontiert. Offensichtlich sollte die Anwesenheit einiger Teilnehmer*innen verheimlicht werden.

So wurden die Kennzeichen eines weißen Mercedes aus Halle/Saale (Sachsen-Anhalt) und eines silbernen Mercedes aus Meißen (Sachsen) abgehängt. Letzteres fuhr David S. aus den Reihen der rechtsextremen „Identitären Bewegung“. Die Kennzeichen täuschen über die Tatsache hinweg, dass die Teilnehmer*innen aus dem gesamten Bundesgebiet angereist waren. Kurzzeitig stattete Dr. Hartmut Klink aus Ingelfingen-Lipfersberg (Baden-Württemberg) dem völkischen Lager einen Besuch ab. Der Augenarzt ist mit Gudrun Klink verheiratet. Sie ist die Bundesvorsitzende des „Bund für Gotterkenntnis (Ludendorff)“.

Am 30. Dezember 2022, am Morgen eines Lagertages, ging um 7 Uhr das Licht im „Jugendheim Hohenlohe“ an. Um 7:15 Uhr strömten zahlreiche Kinder und Jugendliche aus dem Haus, darunter 8- und 9-Jährige. Viele trugen Shirts und kurze Hosen. Die Temperatur lag knapp oberhalb des Gefrierpunkts. Plötzlich joggten drei Personen in Richtung Kirchberg, drei weitere Personen in Richtung Wald. Sie bildeten offenbar die Vorhut und sollten schauen, ob Beobachtung oder eine Gefahr droht. Erschöpft kamen die Kinder und Jugendlichen nach einer Runde in der Dunkelheit zurück und machten den Eindruck: weniger lockerer Frühsport, sondern eher Drill.

Pünktlich um 8 Uhr begann auf einer Wiese der Morgenappell mit Fackeln, einem Dutzend Fahnen und Liedern statt. Neben Kindern und Jugendlichen nahmen einige Erwachsene teil, alle in Uniform. Die Szene auf der Wiese hat viele Parallelen zur verbotenen WJ, aber auch zum Bund Deutscher Mädel und der Hitler-Jugend aus dem Nationalsozialismus.

„Von der Maas bis an die Memel“

Derartige Lager haben das Ziel, das „deutsche Volkstum“ zu bewahren und das „arische“ Erbe weiterzutragen. Eine wichtige Rolle spielt Sport und insbesondere: der harte Wettkampf im Sport. Einmal fuhren die Teilnehmer*innen ins Schwimmbad, an einem anderen Tag zum Fußballspielen. Einmal soll im Wald ein Survivaltraining stattgefunden haben. Das Motto lautet: „survival of the fittest“ (deutsch: das Überleben des Stärkeren).

Ein Jugendlicher trug ein Shirt der Rechtsrock-Band „Kategorie C“, darauf zu sehen: ein Schwert mit der Parole „Widerstand“. Ein anderer trug eine rote Trainingsjacke mit der Aufschrift „Offizieranwärter-Bataillon 2 Hammelburg“. Der Bundeswehr-Verband, stationiert im unterfränkischen Landkreis Bad Kissingen (Bayern), wurde im Frühjahr 2021 aufgelöst. Womöglich genoss der junge Mann eine Ausbildung im Militär.

Das Lager gipfelte in der Neujahrsnacht. Der „Sturmvogel“ stellte in dieser Nacht seine Nähe zum Deutschen Reich zur Schau. Die Teilnehmer*innen entzündeten ein großes Feuer, bildeten einen Kreis und sangen das Deutschlandlied. Nicht nur die dritte, sondern auch die erste und zweite Strophe. In der ersten heißt es: „Deutschland, Deutschland über alles / Über alles in der Welt / Wenn es stets zu Schutz und Trutze / Brüderlich zusammenhält / Von der Maas bis an die Memel / Von der Etsch bis an den Belt“. Die vier Flüsse liegen außerhalb des Territoriums der Bundesrepublik Deutschland. So fließt die Memel durch Belarus und Litauen, die Etsch durch Südtirol (Italien). Im Nationalsozialismus wurde lediglich die erste Strophe gesungen und unterstrich damit die Großmachtpläne des Deutschen Reiches. Mit Blick auf die Shoah und den Zweiten Weltkrieg entschied die Bundesrepublik, bloß die dritte Strophe zur Nationalhymne zu machen. Am nächsten Morgen war das Feuer erloschen. Es blieben Asche und letzte Spuren der Glut. Das Lager war beendet.

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