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Rechtsextreme Szene Baden-Württemberg: Blood and Honour-Strukturen bestimmen den Ton

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Verwobene rechte Musikszene in Schleswig-Holstein, (T-Shirtträger "Braune Musik-Fraktion", gesehen in Arnstadt 2006); Foto: hk

 

Die Fragen beantwortete der Politikwissenschaftler Michael Distel.

MUT: Wie sieht Rechtsextremismus in Baden-Württemberg derzeit aus?

Wichtigste Partei sind die Republikaner, die in Baden-Württemberg gegründet wurden und hier eine starke Verankerung in der Bevölkerung haben. Die NPD holt allerdings auf. Baden-Württemberg hat eine lebendige Nazi-Subkultur. So hat sich beispielsweise Anzahl rechtsextremer Skinheads seit 1990 vervierfacht. Damit einher geht ein massiver Anstieg rechtsextremer Straftaten und Propaganda.

Wie zeigt Rechtsextremismus sich hauptsächlich? Gibt es Schwerpunkt-Regionen?

Neben den Parteien (wie NPD, Republikaner, Deutsche Partei (DP)) hat Baden-Württemberg eine große Nazi-Rock-Szene. Eine der bekanntesten Bands ist „Race War“ aus Schwäbisch Gmünd, die jüngst als kriminelle Vereinigung verurteilt wurden, außerdem „Propaganda“ aus Horb, „Act of Violence“ aus Ulm, „Aufbruch“ aus Mannheim. Die Bands können, selbst wenn es 40, 50 Konzerte im Jahr gibt, pro Konzert um die 180 Fans mobilisieren. Im Jahr 2005 konnte man eine starke Vermischung der Szenen von Rotlichtrockern und Neonazis beobachten. In diesem Jahr gab es besonders viele Konzerte, die in einem Rockerclub in Mannheim stattfanden, bis dieser von der Polizei geschlossen wurde. Seitdem haben rechtsextreme Bands allerdings Probleme, geeignete Räume zu finden. So hat sich laut Verfassungsschutzbericht 2006 die Zahl von Rechtsrockonzerten 2006 halbiert.

Wie überall ist auch in Baden-Württemberg Rechtsextremismus besonders in ländlichen Regionen verbreitet. Schwerpunkte gibt es im Bodensee-Raum, um Ulm, Heilbronn, in der Rhein-Neckar-Region, in der Südpfalz und im Raum Stuttgart. Allerdings sind in diesem Fall Ländergrenzen nicht so aussagefähig: Während es etwa in Mannheim nur wenige aktive Nazigruppierungen gibt (der örtliche NPD Stützpunkt ist fast inaktiv, die Deutsche Liste dagegen wieder vermehrt), sind diese im benachbarten Ludwigshafen zahlreicher und um so aktiver. So wurden etwa am 14. April drei Infostände der NPD in Ludwigshafen, Grünstadt und Landau durchgeführt. Geschützt wurden diese Infostände durch jeweils ca. 20 Aktivisten des Aktionsbüro Rhein-Main-Neckar.

Welche sind die wichtigsten Organisationen?

Parteipolitisch ist Baden-Württemberg das Stammland der Republikaner, die das bürgerliche rechtsextreme Potenzial abschöpfen. Die Partei ist allerdings derzeit in einer tiefen Krise. Sie hatten bereits Sitze im Landtag, sind aber jetzt nicht mehr vertreten. Es fehlt an einer charismatischen Führungsfigur. Deshalb macht derzeit auch die NPD Boden gut. Sie hat zwar auch mit internen Problemen zu kämpfen, nachdem der Landesvorsitzende und Ex-Gesamt-NPD-Vorsitzende Günter Deckert von seinen Parteigenossen abgesägt worden ist, weil er ein Intimfeind des derzeitigen NPD-Vorsitzenden Udo Voigt ist. Deckerts Einfluss und Organisationstalent fehlen der NPD Baden-Württemberg derzeit, trotzdem ist sie erfolgreich dabei, neue Strukturen zu bilden. Sie hat auch schon Mitglieder in Gemeinderäten platzieren können, etwa in Heilbronn über das „Nationale Bündnis“. Im Schwarzwald-Baar-Kreis sitzt Jürgen Schützinger für die NPD im Stadtrat.

In der subkulturellen Szene sind es vor allem die Strukturen und Köpfe des 2000 verbotenen Blood & Honor-Netzwerks, die nach wie vor aktiv sind und in der Szene das sagen haben.

Ebenfalls relevant sind die nicht parteigebunden „freien Nationalisten“. Diese geben sich in Baden Württemberg sehr aktivistisch und führen zahlreiche Demonstrationen und Veranstaltungen durch. Die Organisationsform als fest strukturierte „Kameradschaft“ wird zunehmend zugunsten von wechselnden Gruppenbezeichnungen (etwa als „Bürgerinitiative“ oder „Autonome/ freie/ nationale –Sozialisten) abgelegt. Intern sind diese Gruppen jedoch nach wie vor streng hierarchisch gegliedert. Eine der aktivsten Gruppierungen in diesem Bereich ist das Aktionsbüro Rhein-Neckar-Main, das eine bundesweit relevante Homepage betreibt. Hinter diesem „Aktionsbüro“ stehen zum Teil langjährige Aktivisten aus der Rhein-Neckar Region.

Gibt es „lokale Spezialitäten“ der Szene?

Eine ist ohne Zweifel, dass es noch keine Kooperation oder Absprachen zwischen den rechtsextremen Parteien gibt. Stattdessen fahren die Republikaner in Baden-Württemberg im Moment eher noch einen Anti-NPD-Kurs. Es gibt in der Partei zwar durchaus Sympathien für ein nationales Bündnis, fragt sich nur welcher Flügel sich durchsetzt.

Eine weitere Besonderheit, allerdings von ganz Süddeutschland, ist es, dass hier Blood & Honor weiterhin sehr aktiv ist. Das rechtsextreme Netzwerk ist zwar 2000 verboten worden, aber die Köpfe dahinter sind nach wie vor äußerst aktiv. Sie haben einfach weiter gemacht. Konzerte, Bands oder Publikationen firmieren seitdem bloß unter unterschiedlichen Namen, die Leute sind aber immer gleich. Ziel der Aktivisten um Christian Hehl und Hartwin Kalmus ist es, Nazi-Ideologie zu verbreiten und umzusetzen. Blood & Honor schreckt auch nicht davor zurück, Gewalt gegen die eigenen Leute anzuwenden, wenn diese nicht parieren. So stürmten etwa 55 Blood & Honor-Aktivisten ein eigenständig organisiertes Konzert der lokal agierenden Kameradschaft Nibelungensturm Odenwald, zerstörten den Raum und stahlen die Kasse. Da haben auch zum ersten Mal die Neonazis nicht dicht gehalten und die Täter verraten. Dieser Vorfall beleuchtet das interne Gewaltpotenzial der Neonazis.

Welche aktuellen Trends, Strategien beobachten Sie?

Die Entwicklungen in Baden-Württemberg sind analog zu den bundesweiten. Auch hier geht ein Trend zum autonomen Nationalismus – also das Aneignen alternativer Stylecodes durch die Neonazis, um Verwirrung zu stiften. Kameradschaften vertreten zwar nach wie vor nationalsozialistische Ideologie, treten aber bürgerlich-dezent im Anzug auf und vertreten ihre Inhalte im Sinne der „Wortergreifungsstrategie“ auf nicht-rechten Veranstaltungen. Zum Teil leider recht erfolgreich. Die Zivilgesellschaft setzt derzeit rechtsextremen Biedermännern leider wenig entgegen. Sobald die Nazis sich an demokratischen Spielregeln halten, sich brav melden und niemand ins Wort fallen, dürfen sie die plattesten nationalsozialistischen Thesen vertreten, ohne dass jemand einschreitet. Stattdessen werden diejenigen des Saales verwiesen, die darauf hinweisen, dass sie nicht mit Nazis diskutieren wollen. Insgesamt reagiert die Zivilgesellschaft auf Rechtsextreme, die nicht-rechte Veranstaltungen stören, ziemlich hilflos. Es wurden in letzter Zeit einige Veranstaltungen abgebrochen, wenn dort Neonazis gepöbelt haben – statt dass die Veranstalter von ihrem Hausrecht Gebrauch machen und die Rechtsextremen des Saales verweisen.

Als wie bedrohlich schätzen Sie Rechtsextremismus in Baden-Württemberg derzeit ein und warum?

Ich erwarte kein neues Drittes Reich, aber natürlich finde ich es bedrohlich, wie verbreitet rechtsextreme Ideologiefragmente in der Gesamtbevölkerung sind, wenn Studien ergeben, dass 40 Prozent der Deutschen Deutschland „überfremdet“ finden und 15 Prozent der Bevölkerung rechtsextreme Einstellungsmuster vertreten.

Für die Opfergruppen der Rechtsextremen, wie Migranten, Linke, Behinderte, ist Rechtsextremismus natürlich auch eine konkrete Bedrohung. Immer wieder ziehen etwa Punker aus der Vorderpfalz nach Mannheim, weil sie in ihren Heimatorten ständig angegriffen werden. Zwei Aktivisten eines Bündnisses gegen Rechtsradikalismus in Grünstadt wurden, nachdem sie einen neuen Laden mit rechtsextremen Marken in Augenschein genommen und fotografiert hatten, von einer Gruppe Neonazis umzingelt, geschlagen und zur Herausgabe der Fotos genötigt. Nachts wurden bei beiden die Scheiben eingeworfen und die Reifen ihrer Autos aufgeschlitzt. Der Vorfall ging durch die Presse. Leider wollen die Betroffenen aber nicht, dass der Übergriff weiter öffentlich thematisiert wird – das spricht leider für das Klima der Angst, dass bei Menschen vorherrscht, die sich gegen Rechts in der Vorderpfalz engagieren. Die Betroffenen erfahren auch kaum Solidarisierung aus ihrem Umfeld und ihren Parteien.

Die Fragen stellte Simone Rafael

Dieser Beitrag ist ursprünglich auf dem Portal „Mut gegen rechte Gewalt“ erschienen (2002-2022).

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