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Reichsbürgerprozess Bobstadt „Wir haben Waffen, um gegen die Tyrannei zu kämpfen“

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(Quelle: Timo Büchner)

Donnerstag, 25. Mai 2023: Frühmorgens um 8:05 Uhr führen zwei Polizisten den Angeklagten Ingo K. mit Fesseln in den Sitzungssaal 2 des Prozessgebäudes. Mit einem der beiden Polizisten redet und lacht er. Über was er mit dem Polizisten spricht, ist nicht zu verstehen, denn sie sind durch Plexiglas vom Publikum abgetrennt. Der Angeklagte wartet in seinen Fesseln, er schaut ins Publikum und nickt grüßend. Im Publikum sitzen nur zwei Personen. Zwei Journalist*innen.

Um 8:12 Uhr trifft der Staatsschutzsenat ein. Der Vorsitzende Richter eröffnet den Prozesstag. Er beginnt mit einer kurzen Zusammenfassung des fünften Prozesstages. Als er berichtet, ein Zeuge habe ausgesagt, der Angeklagte habe über Aliens gesprochen, grinst Ingo K. und greift mit den Händen an seinen Bart. Um 8:20 Uhr wird ein Zeuge in den Saal gerufen, ein Kriminalbeamter, der in der Abteilung Staatsschutz des LKA Baden-Württemberg arbeitet. Er trägt Brille und Bart sowie einen Anzug mit Krawatte. Der Vorsitzende Richter erklärt, der Zeuge habe einen „Personenbericht“ zum Angeklagten erstellt mit sämtlichen Informationen über Arbeitsstellen und Wohnorten.

Die Telefonate mit dem SEK

Der Kriminalbeamte schildert, er sei zwei Tage nach der Tat mit dem „Personenbericht“ beauftragt worden. Er spricht über die Anrufe, die Ingo K. im Verlauf des SEK-Einsatzes getätigt hat: Um 7:20 Uhr, nach dem Schusswechsel mit den SEK-Beamt*innen, habe er mit dem Handy seines Sohnes den Notruf gewählt und im Polizeipräsidium Heilbronn „einen Verhandler verlangt“. Weitere Anrufe seien um 7:36 und 7:41 Uhr eingegangen. Am Ende habe Ingo K. gesagt, er ergebe sich. Um 8:12 Uhr sei er mit Max A., dem Sohn des Vermieters, im „Bereich Innenhof“ festgenommen worden. Gegenüber den SEK-Beamt*innen, die Ingo K. und Max A. abführten, soll der Angeklagte geäußert haben, sie kämpften „auf der falschen Seite“.

Der Zeuge spricht über die Biografie des Angeklagten. Er habe die Bundesbehörde für die Stasi-Unterlagen kontaktiert. Schließlich ist Ingo K. mit seiner Mutter Adelheid L. im sächsischen Plauen in der ehemaligen DDR aufgewachsen. Nachdem sein Vater Gottfried H. früh verstorben war, heiratete seine Mutter im Jahr 1976. Ingo K. nahm den Familiennamen des Ehemannes an. 1987 habe die Mutter eine „Besuchsreise“ in die Bundesrepublik gemacht und sei im Westen geblieben. In demselben Jahr habe die Stasi eine Akte über Ingo K. angelegt. 1989 sei der Angeklagte zur Mutter nach Bottrop in Nordrhein-Westfalen gezogen, nur zwei Jahre später, 1991, dann in den „Bereich Künzelsau“ (Baden-Württemberg). Von 1991 bis 1995 habe er eine Lebensgefährtin namens Annett van H. gehabt. Sie wird im Laufe des Prozesstages eine zentrale Rolle spielen.

„Wir werden gerade von den Bullen gestürmt“

Der Kriminalbeamte spricht über die erste (1996-1999) und zweite (2006-2011) Ehe und das erste (1997) und zweite (2010) Kind des Angeklagten. 2014 sei Ingo K. mit seiner Mutter nach Niederstetten-Rüsselhausen (Baden-Württemberg) gezogen. Einige Jahre später, im Juli 2021, habe er seinen ersten Sohn, der wegen einer psychischen Erkrankung im Betreuten Wohnen untergebracht war, nach Rüsselhausen geholt. Der Grund sei, so erklärt der Zeuge, die – in der Einrichtung verpflichtende – Corona-Schutzimpfung gewesen. Ab 1. Januar 2022 waren Ingo K. und sein Sohn nicht mehr in Rüsselhausen, sondern im Boxberger Teilort Bobstadt gemeldet. Dann berichtet der Zeuge über mögliche Unterhaltszahlungen. Im Falle des zweiten Sohnes habe Ingo K. keine Zahlungen geleistet und seine Haltung in einem Schreiben an die Stadt Oberhausen beschrieben. Der Zeuge erklärt: „Die Wortwahl ist ‚Reichsbürger‘-typisch.“

Der Vorsitzende Richter thematisiert Annett van H., die ehemalige Lebensgefährtin aus den 1990er-Jahren. Der Kriminalbeamte berichtet, seit 2020 hätten Ingo K. und Annett van H. engen Kontakt gepflegt. Im Rahmen der Hausdurchsuchung sei ein Kalender mit Fotos von Ingo K. und Annett van H. gefunden worden. Die Fotos zeigen, wie die beiden mit einer Kurzwaffe schießen. Später zeigt der Vorsitzende Richter die Fotos auf den Leinwänden. Die Frau habe in der Vernehmung erklärt, sie hätten zwei, drei Mal einen Schießstand besucht. Die Kurzwaffe ist eine Glock Pistole 19. Eine Waffe, die Ingo K. aufgrund seiner Tätigkeit im Sicherheitsgewerbe legal besaß. Die Waffe, die eingezogen werden sollte, war der Auslöser des SEK-Einsatzes vom 20. April 2022. Während des Einsatzes schrieb Ingo K. um 6:59 Uhr, also: nach dem Schusswechsel, an Annett van H.: „Wir werden gerade von den Bullen gestürmt.“ Die Nachricht endete mit den Worten „Ich liebe Dich“. Um 7:20 Uhr schrieb er eine weitere Nachricht: „Mach es öffentlich!“ An Annett van H. hatte der Angeklagte bereits am 3. November 2021 geschrieben: „Wir haben halbautomatische Waffen, um gegen die Tyrannei zu kämpfen.“

Die Schießübungen des „Tyrsringers“

Als der Kriminalbeamte über die beruflichen Tätigkeiten von Ingo K. spricht, die am zweiten Prozesstag ausführlich thematisiert wurden, fragt eine Richterin nach den Zeiträumen der einzelnen Beschäftigungen. Zum Beispiel habe er von Mitte 2020 bis Mitte 2021 in einer Firma in Wachbach (Baden-Württemberg) gearbeitet. Der Geschäftsführer der Firma sei zugleich Vorsitzender eines Schützenvereins gewesen. Er soll ihm Munition für seine legale Glock Pistole 19 verkauft haben. Der Vorsitzende Richter will Näheres über die Waffenerlaubnis erfahren: Ingo K. habe 2006 einen Waffenschein für seine Pistole erhalten. Am 24. Juni 2021 habe das Landratsamt Main-Tauber ein Schreiben zum Widerruf des Scheins erstellt. Ein Monat später habe Ingo K. in einem Telefonat mit dem Landratsamt angekündigt, seine Waffe freiwillig abgeben zu wollen. Allerdings habe er ein Schreiben mit dem Vermerk, die Waffe abzugeben, ignoriert. Am 26. August 2021 sei der Bescheid zum Widerruf zugestellt worden. Der Zeuge merkt an, Ingo K. habe Mitte September 2021 – als er längst gewusst hat, dass er die Waffe abgeben muss – 250 Schuss Munition für seine Pistole gekauft. Die Munitionsschachtel sei in der Wohnung sichergestellt worden.

Der Vorsitzende Richter thematisiert die Schießübungen des Angeklagten. Der Zeuge sagt, im Möbeltresor sei ein Schießbuch sowie eine Waffenbesitzkarte und ein Waffenschein gefunden worden. Das Schießbuch habe fünf Einträge enthalten. Später hat der Staatsanwalt eine Nachfrage zu den Einträgen. Hierfür zeigt der Vorsitzende Richter die Einträge. Sämtliche Einträge stammen aus 2018. Die Richterin fragt, wie viele Handys und Laptops der Angeklagte besessen habe. Der Zeuge stellt fest, es wurden drei Handys und ein Laptop gefunden. Für ein Handy, das Ingo K. nutzte, habe Annett van H. ihre Daten zur Verfügung gestellt. Die Richterin thematisiert die Mail-Adressen des Angeklagten und stellt fest, man habe die Cloud eines Mail-Kontos ausgewertet. Der Vorsitzende Richter zeigt Cloud-Fotos. Mehrere davon zeigen Waffen, ein Foto zeigt Ingo K. mit zwei Männern. Im Hintergrund ist eine Versammlung mit Deutschlandflaggen zu sehen. Die Richterin erwähnt die Social-Media-Kanäle des Angeklagten. Auf Telegram habe er den Namen „Tyrsringer“ genutzt. Die Tyr-Rune symbolisiert Kampf und Krieg. Zuletzt fragt die Richterin, wie lange Ingo K. seinen Vermieter Heiko A. gekannt habe. Der Zeuge berichtet, er habe ihn rund anderthalb Jahre vor der Tat über einen Bekannten kennengelernt.

Ein Telefonat mit einem Rechtsextremen

Nach einer 20-minütigen Pause fragt der Vorsitzende Richter nach dem Rechtsextremen Robert Emil Vogelmann aus Schwäbisch Hall (Baden-Württemberg). Vogelmann betreibt seit Jahren ein rassistisches „Mahnmal gegen das Vergessen“. Der Zeuge berichtet, Ingo K. habe Vogelmann am Morgen der Tat angerufen. Das Telefonat habe über eine Minute gedauert. Ingo K. habe Vogelmann gebeten, nach Bobstadt zu fahren und das Geschehen zu dokumentieren. Vogelmann habe geantwortet, er habe nicht gewusst, was er machen solle. Das habe der Rechtsextreme in seiner Vernehmung erzählt. Der Vorsitzende Richter spricht die Tätowierungen des Angeklagten an. Auf den Leinwänden sind die Tätowierungen zu sehen. Der Zeuge erläutert, Ingo K. trage zahlreiche Runen („älteres Futhark“). Auf seinem Bauch gleich vier. Sie ergeben das Wort „Odin“, der Göttervater in der nordischen Mythologie. Auf der rechten Hand steht „Odins Waffe“, auf der linken „Justitia“. Jeweils in Runen. Auf der Brust sind die Gesichter zweier Gött*innen mit einem Bezug zur nordischen Mythologie zu sehen. Am Hals trägt er eine „Berserk“-Rune. Die Rune symbolisiert einen nordischen Krieger. Der Zeuge merkt an, auch Max A. – der Sohn des Vermieters – trage die Rune am Hals.

Nun hat die Staatsanwaltschaft die Möglichkeit, Fragen an den Zeugen zu stellen. Die Staatsanwältin fragt den Beamten beispielsweise, ob er das Urteil des Amtsgerichts Kandel ausgewertet habe. Im März 2018 hat Ingo K. an einer rassistischen Demonstration von „Kandel ist überall“ in der rheinland-pfälzischen Kleinstadt teilgenommen. Er war vermummt und trug Handschuhe mit Schutzprotektoren. Das Tragen solcher Handschuhe ist im Rahmen einer Demonstration verboten. Der Zeuge berichtet, einen Beschluss des Amtsgerichts habe Ingo K. mit einem Schreiben beantwortet. Darin habe er beklagt, der Beschluss habe keine Unterschrift und somit keine Legitimation. Anschließend bekommen die Rechtsanwält*innen von Ingo K. die Möglichkeit, Fragen zu stellen. Als Rechtsanwalt Seifert eine Nachfrage zur Korrespondenz zwischen den Behörden und Ingo K. stellt und mit der kurzen Antwort des Zeugen unzufrieden ist, wirkt er recht schnell unfreundlich. Rechtsanwältin Combé hingegen scheint gelassen. Sie stellt eine Nachfrage zum Chat zwischen Ingo K. und Annett van H. und will wissen, ob Ingo K. die Nachricht selbst geschrieben oder bloß weitergeleitet habe. Nach kurzzeitiger Verwirrung um die Weiterleitung wird der Zeuge um 11.27 Uhr entlassen. Die Sitzung ist um 11:29 Uhr beendet.

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