Weiter zum Inhalt Skip to table of contents

Reichsbürgerprozess Bobstadt „Mein Wunsch war, Verfassungsschützer zu werden“

Von|
(Quelle: TB)

Um 15:32 Uhr wird Ingo K. am 24. April 2023 mit Hand- und Fußfesseln in den Sitzungssaal 2 des Prozessgebäudes geführt. Er trägt ein blau-kariertes Hemd und die grauen Haare im Zopf. Auf der Brust, am Hals, auf den beiden Händen sind seine Tätowierungen zu sehen. Dabei hat er ein Bündel mit Zetteln, die er im Laufe des Tages nutzt, um über seinen Werdegang zu sprechen.

Der Vorsitzende Richter eröffnet die Sitzung. Die Bundesanwaltschaft, der Staatsschutzsenat, die Staatsanwält*innen und Rechtsanwält*innen sind anwesend. Im Publikum sitzen rund 15 Menschen, größtenteils Journalist*innen. „Belehrt sind Sie ja bereits“, beginnt der Vorsitzende Richter. Nun habe der Angeklagte die Möglichkeit, Angaben zur Person und zum Lebenslauf zu machen. Der Angeklagte schmunzelt: „Grüß Gott erstmal!“ Er wirkt, wie am Prozessauftakt, recht geduldig und locker. Sehr konzentriert und überlegt.

Nun beginnt Ingo K. mit seinen Ausführungen: Der Angeklagte ist 1967 in Plauen (Sachsen) in der ehemaligen DDR geboren. Seine Mutter war Diplomingenieurin in der Landwirtschaft, sein Vater Landrat im sächsischen Vogtlandkreis. Drei Wochen nach der Geburt starb der Vater. Als K. 11 Jahre war, heiratete seine Mutter ein zweites Mal. Der Ehemann adoptierte das Kind. „Ich habe mich richtig gefreut, dass ich einen Vater hatte“, sagt der Angeklagte über seinen Stiefvater. Schließlich sei er das einzige Kind ohne Vater in der Schulklasse gewesen. Jedoch war sein Stiefvater ein Alkoholiker und soll seine Ehefrau geschlagen haben.

Der Angeklagte besuchte eine Oberschule in Plauen, später eine Forstwirtschaftsschule in Eibenstock. Er schloss seine Ausbildung zum Forstwirt mit einer guten Note ab. Dann kam das Jahr 1987: Seine Mutter machte eine Reise in den Westen. Sie fuhr zur Verwandtschaft nach Bottrop (Nordrhein-Westfalen) – und blieb. Zwar sei die Ausreise mit ihm abgesprochen gewesen. Dennoch habe er sie nur schwer verkraftet. Er sagt, mit ihrer Ausreise sei er „zum Staatsfeind der DDR erklärt“ worden. Ingo K. stellte einen Ausreiseantrag. Im Juni 1989 wurde der Antrag gewährt. Nun zog er zur Mutter nach Bottrop.

Kurz darauf zog Ingo K. zu seiner Partnerin nach Süddeutschland. Sie wohnte in Braunsbach (Landkreis Schwäbisch Hall). Das ist eine Gemeinde im Nordosten Baden-Württembergs. Anfang der 1990er-Jahre folgten seine Mutter und Großmutter in den Süden. In Öhringen (Hohenlohekreis) eröffnete er sein erstes Kampfsportstudio. In einer Diskothek in Schwäbisch Hall machte er einen Security-Dienst. Der Angeklagte verfügt über jahrzehntelange Kampferfahrung: Mit acht Jahren habe er mit Judo angefangen. Bereits mit 18 Jahren habe er Unterricht gegeben. Damals habe er, schmunzelt er, das Plauener Spezialeinsatzkommando (SEK) trainiert. In Süddeutschland habe er gemeinsam mit einem Polizisten trainiert. Das Training mit dem Polizisten habe gepasst. Denn: „Mein Wunsch war immer, Verfassungsschützer zu werden“. Später wurde er Personenschützer im Griechischen Konsulat in Stuttgart. Mit der Tätigkeit hat er einen Waffenschein erhalten. Das war im Jahr 1998. Eine Waffenbesitzkarte soll er bereits 1995 erhalten haben.

Bereits in der DDR hat er den Umgang mit Waffen gelernt: Während seiner Ausbildung zum Forstwirt musste er eine „vormilitärische“ Ausbildung machen. Er lernte, mit Kleinkalibern zu schießen. „Einige Male“ habe er einen Schießstand besucht, erzählt er. Der Angeklagte berichtet, er wäre zur Nationalen Volksarmee (NVA) gekommen, wäre seine Mutter nicht ausgereist. Im Laufe der Jahrzehnte war er in drei Schützenvereinen aktiv. Allerdings, so betont er, habe er nur „sporadisch“, ein Mal pro Monat geschossen. Zuletzt war er Mitglied in der „Deutschmeister-Schützengilde“ in Bad Mergentheim (Main-Tauber-Kreis).

Der Angeklagte räumt ein, er war „kein guter Geschäftsmann“. Sein Kampfsportstudio sei bloß zwei Jahre gelaufen. Er und sein Studio gingen insolvent. An verschiedenen Ort hat er im Laufe der Zeit versucht, ein Unternehmen zu führen. So meldete er 2005 ein Gewerbe in Bad Mergentheim an. Das Gewerbe, ein Sicherheitsdienst, war durchaus erfolgreich und war für die Stadt und diverse Unternehmen tätig. Zwischenzeitlich hat er etwa 40 Menschen beschäftigt. 2013 hat er seinen Sicherheitsdienst um ein Fitnessstudio und eine Gaststätte erweitert. Doch 2014 hat er das Gewerbe abgemeldet.

Nach Ende seines Unternehmens war er einige Jahre in einem Sicherheitsdienst angestellt, zuletzt in Lauda-Königshofen (Main-Tauber-Kreis). Die Arbeit endete Anfang März 2022. Knapp zweieinhalb Monate vor der Bluttat. Der Angeklagte hat massive Schulden. Er sagt vor Gericht, seine finanzielle Lage sei „bescheiden“. Sein Insolvenzverfahren sei offen, er habe mehr als 200.000 Euro Schulden. Das seien vor allem Mietschulden. Plötzlich grinst er: „Es können auch nur 20.000 Euro sein“. Es sei am Ende egal, ob er 20.000 oder 200.000 Euro nicht zahlen könne.

Ingo K. lebte lange Zeit in einem Teilort von Niederstetten (Main-Tauber-Kreis). Im Teilort ist er mehrfach umgezogen. „Überraschend“ sei ihm die Wohnung wegen Eigenbedarf gekündigt worden. Sechs Monate habe er Zeit bekommen, um auszuziehen. „Zufällig“ fand er eine Bleibe im Boxberger Teilort Bobstadt (Main-Tauber-Kreis). Die Miete war günstig: Hin und wieder half er auf dem Hof und bezahlte einzelne Rechnungen des Eigentümers Heiko A. In der neuen Wohnung seien Renovierungsarbeiten nötig gewesen. Die Renovierung dauerte rund drei Monate, während denen Heiko A. geholfen habe. Eine Woche vor der Bluttat waren die Arbeiten abgeschlossen. Bis zur Tat hat er ein halbes Jahr in Bobstadt gewohnt.

In Bobstadt wohnte er gemeinsam mit seinem Sohn aus erster Ehe. Nach zwei Jahren wurde die Ehe geschieden. Später scheiterte eine zweite Ehe mit Kind und eine dritte – kinderlose. 2021 habe er den Sohn aus einer psychiatrischen Einrichtung in Schwäbisch Hall geholt. Als die Frage gestellt wird, warum er den Sohn geholt habe, überlegt er. Schließlich sagt er, dass er nach dem Tod seiner Mutter 2019, alleine gewesen sei. Die Staatsanwältin entgegnet, ein Zeuge habe gesagt, der Sohn hätte einzig mit einer Corona-Impfung in der Einrichtung bleiben können. Sie deutete an, er wollte seinen Sohn vor der Impfung bewahren. Der Angeklagte räumt ein, er sei von der Corona-Impfung „nicht begeistert“. Denn die Impfung sei „nie getestet“ worden. Er sei „kein Impfgegner“, sondern „für Freiwilligkeit“.

Mehrfach wird die Asthma-Erkrankung des Angeklagten thematisiert. Der Angeklagte erklärt, er könne keine FFP2-Maske tragen. „Das hält man nicht aus“, ächzt er. Er habe in der Vergangenheit ein Attest gehabt. Aber seine Weigerung, eine Maske zu tragen, kostete ihm den Arbeitsplatz in einer Firma. Zwar soll ihm ein Arbeitsplatz angeboten worden sein, wo er ohne Maske hätte arbeiten können. Aber: Der Angeklagte sagte, er hatte „keine Lust mehr“.

Der Vorsitzende Richter nennt die Phase, nachdem Tod der Mutter und der Wohnungskündigung, eine „Erschöpfungsphase“. Später wird der Angeklagte gefragt, ob der Begriff treffend sei. Er überlegt: „Warum soll man’s nicht so bezeichnen?“ Dann betont er, dass er in Niederstetten absolut „glücklich und zufrieden“ gewesen sei. Die Kündigung der Wohnung sei „ein Schlag“ gewesen. Insgesamt finde er, die vergangenen Jahre mit seinem Sohn seien die schönsten Jahre seines Lebens gewesen: „Ich hatte das erste Mal im Leben das Gefühl, das Richtige zu machen.“

Der Vorsitzende Richter fragt nach dem Drogenkonsum. Der Angeklagte sagt, er trinke kaum Alkohol. Mal eine Flasche Bier, mal eine halbe Flasche Met oder Wein. Er vertrage keinen Alkohol. Nicht zuletzt wegen des Kampfsports. Cannabis habe er genommen, um einschlafen zu können. Andere Drogen habe er durchaus probiert. Aber: Der Konsum sei – in Anbetracht der Geschichten, die er im Gefängnis gehört habe – zu vernachlässigen. Die Aussagen mehrerer Zeug*innen, mit den er konfrontiert wird, er habe über Jahre hinweg täglich „drei bis vier Gramm Kokain“ und „ein, zwei Flaschen Wodka“ konsumiert, dementiert er.

Staatsschutzsenat und Staatsanwält*innen fragen nach seiner Haltung zum Preppen. Eine Richterin will wissen, ob er Angst ums Überleben hatte. Der Angeklagte ist irritiert. Die Richterin erklärt, eine Zeugin habe ausgesagt, er habe Vorräte zum Überleben angeschafft. Er beschwichtigt, er habe „lieber ein paar Dosen mehr zu Hause“. Auf die Aussage eines Zeugen, der Angeklagte habe Bunker in Ostdeutschland anschauen wollen, sagt er, das sei „Sarkasmus“ gewesen. „Mein sächsischer Humor wird nicht immer verstanden“, ergänzt er. Wie er zum Selbstversorgen stehe? Es sei sein Wunsch gewesen – „aber auf meinem eigenen Grundstück“.

Anschließend geht es um seine Haltung zu Verschwörungsmythen. Der Vorsitzende Richter sagt, der Angeklagte habe behauptet, Außerirdische würden die USA regieren. Ingo K. lacht und fragt: „Was soll man da noch sagen?“ Er „provoziere“ und „verarsche“ gerne. Mehr noch: Der Angeklagte habe behauptet, „Chemtrails“ würden Unfruchtbarkeit verursachen und Juden würden Kinder schlachten und deren Fleisch verkaufen. Die Reaktion: Die Anschuldigungen seien eine „glatte Lüge“ und eine „üble Unterstellung“. Aber: Er könne nicht ausschließen, dass es „Chemtrails“ gibt.

Die Rechtsanwält*innen von Ingo K. sind ruhig. Nur gegen Ende des Prozesstages schreitet Rechtsanwältin Combé zum ersten und einzigen Mal ein. Die Staatsanwältin fragt den Angeklagten: „Sagen Sie auch was zu Ihrer politischen Einstellung?“ Sie ergänzt: „Zum Beispiel zur Demo-Teilnahme“. Damit meint sie seine Teilnahme an einer „Querdenken“-Kundgebung in Bad Mergentheim. Plötzlich wirft Combé ein: „Heute nicht“. Kurze Zeit später, um 17.47 Uhr, ist der Prozesstag beendet. Die Hand- und Fußfesseln werden angelegt, der Angeklagte wird abgeführt.

Bisher erschienene Prozessberichte zum Reichsbürger-Prozess zu Bobstadt:

Weiterlesen

Eine Plattform der