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Sandys Weg in die rechtsextreme Szene der Sozialen Netzwerke

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Wie einfach ist es, mit der harten rechtsextremen Szene in Kontakt zu kommen, die auf Facebook ihrer Ideologie frönt? Im Juli 2011 lege ich ein Profil namens „Sandy Schneider“ an. Ich forme Sandys Profil in Anlehnung an die Profile rechtsextremer Frauen, die wir im Monitoring beobachtet haben. Sandys Emailadresse ist „terrormaus14“. Ihr Profilbild ist die (nicht-rechte) Comicfigur „Hello Kitty“. Sandy soll so wirken als stehe sie an der Grenze zur rechtsextremen Szene. Sie ist „Vollblutmami“, gibt bei „Religiösen Ansichten“ an: „Ich glaub nur an mich“, politische Einstellung „nicht links“, Lieblingszitat „Klagt nicht, kämpft!“, ist inspiriert von „Hildegard von Bingen“, Lieblingsmannschaft „Mein Herz schlägt deutsch“, sie mag die Band „Frei.Wild“, „Nicht ohne meine Tochter“ als Film, Aktivitäten: „Lesen, meine Kinder und Schlafen“. Weder Wohn- noch Geburtsort sind angegeben, kein Arbeitgeber und weitere Kontaktmöglichkeiten auch nicht. Bisher so andeutungsvoll wie harmlos. Um Sandys „Rechtsoffenheit“ zu symbolisieren, füge ich noch die rechtspopulistische Rapperin „Dee Ex“ dazu und lasse Sandy an Gruppen wie „Keine Gnade für Kinderschänder“ und „Keine Macht den Linken“ teilnehmen. Sandys erster „Freund“ ist „Kevin Müller“, der mehr aus der „patriotischen“ Richtung kommt und das Fakeprofil eines Kollegen ist.

Ich warte. Erst einmal passiert nichts. Ich lasse Sandy 30 Freundschaftsanfragen hinausschicken. Wenige gehen an unauffällige Seiten zum Thema Kinderschutz, viele an größere und aktive Nazi-Profile wie „Rock für Deutschland“ oder „Holger Apfel“. Sandy sendet aber auch Anfragen an völlig unbekannte Frauen, die in diesen Gruppen aktiv sind? am liebsten an solche, die sich mit einem Baby zeigen oder als Interesse „Meine Kinder“ angeben. Eine Stunde später hat Sandy schon 3 „Freund/innen“: „Kinder brauchen Schutz“ (nicht-rechts), NPD-Kader Holger Apfel (heute NPD-Bundesvorsitzender) und „Renee“, eine ihr völlig unbekannte junge Frau. Lustigerweise heißt „Renees“ Facebook-Profil „glaubtnichtalles“. Sandy hat sie offenbar geglaubt. Dabei verrät „Renees“ Profil sehr viel über sie, inklusive ihrer deutlichen rechtsextremen Gesinnung – und ihrem Arbeitgeber.

Einen Tag später hat Sandy schon 13 „Freund/innen“, unter anderem Jasmin Apfel, die Frau von Holger und „Rock für Deutschland“. Und sie bekommt ihre ersten drei virtuellen Freundschaftsanfragen. Eine ist von Frank Franz, Funktionär der NPD im Saarland (und seit November 2011 NPD-Bundespressesprecher), der uns schon zuvor im Monitoring als sehr internet-aktiv aufgefallen war. Er betreibt also auch Akquise. Und dann sind da noch zwei rechtsextreme Frauen – offenbar Mutter und Tochter – denen Jasmin Apfel vorgeschlagen hat, meine Freundinnen zu werden. Die Vernetzung funktioniert. Danach ist Sandys Kontakt in die rechtsextreme Szene ein Selbstläufer  – obwohl sie nur selten etwas postet (und niemals etwas Rechtsextremes). Es ist offenbar in der Nazi-Szene weit verbreitet, sich mit Menschen zu befreunden, die man nicht kennt und die selbst auf ihren Facebook-Profilen kaum wirklich Persönliches preisgeben – solange sie nur die Affinität zur Szene zu zeigen scheinen.

Sandy bekommt viele Freundschaftsanfragen und fast jede, die sie selbst aussendet, wird angenommen. Nach einer Woche „Nazi-Sein“ bei Facebook hat Sandy stolze 73 „Freund/innen“ – darunter „Freya Wikingernet“, „Princessa Autonoma“ und „Anti-Antifanten-Anton“. Sie kann die Bilder sehen, die NPD-Funktionäre von ihren Kindern bei Facebook einstellen und Nazi-Frauen beim Diskutieren zusehen – darüber, was tolle (natürlich deutsche) Ausflugsziele für die Sommerferien wären. Manchmal liest sie Erschütterndes – wie die Beiträge eines jungen Skingirls, die offenbar ein Kind mit einem Schläger-Nazi hat. Erst ist sie traurig, dass der sie gerade verlassen hat. Wenige Tage später postet sie das Foto eines positiven Schwangerschaftstestes mit dem Kommentar „Mist“. „Dan Spieß“ beschreibt sich als „100 % Asatru Warrior“ und postet Fotos seines Baby-Sohns in einem „White Boy“-T-Shirt. Als Anders B. Breivik in Norwegen 77 Menschen erschießt, diskutieren die Neonazis vor allem darüber, dass der Attentäter Zionist und Freimaurer sei und keiner von ihnen – erstaunlich. Als der Hund von Sandys Nazi-„Freund/innen“ stirbt, gibt es als virtuellen Abschiedsgruß ein unscharfes Foto, auf dem der Hund ein „Odin statt Jesus“-Shirt trägt.

Im Juli postet Sandys „Freund“ Frank Franz: „Also ich nehme jetzt keine Anfragen mehr an, bei denen nicht ein vernünftiges Profilbild und eine authentische Person erkennbar sind. Außerdem werde ich ab morgen Leute löschen, die ich nicht (er)kenne und nicht zuordnen kann.“ Das erschreckt Sandy natürlich! Also schreibt sie als Kommentar: „Ich bin noch nicht so weit, auch im wirklichen Leben zu meiner Einstellung zu stehen. Wenn mich das jetzt disqualifiziert, tut es mir leid, dann informiere ich mich anderweitig weiter.“ Sandy wird nicht gelöscht.

Oft erschrecke ich einen Moment lang, wenn ich als Sandy bei Facebook unterwegs bin und mir das Netzwerk vorschlägt: „Du hast 87 gemeinsame Freunde mit Maik Scheffler“ (NPD- Funktionär aus Sachsen, gerade wegen Kontakten zur rechtsextremen Zwickauer Terrorzelle in den Medien) oder „Du hast 112 gemeinsame Freunde mit ‚Arische Rasse'“. Mit den „Freund/innen“ kommen die Einladungen zu rechtsextremen Gruppen (online) und Offline-Veranstaltungen wie Demonstrationen. Ich werde eingeladen zum „Protest gegen die Einebnung des Grabs von Rudolf Hess“, zum Sommerfest des NPD-Bezirksverbandes Niederbayern und zur NPD-Kundgebung in Berlin-Neukölln. Ich will da natürlich nirgendwo hin – höchstens auf die Gegendemonstrationen – aber wäre Sandy echt, wäre der Übergang in die Offline-Welt leicht und fließend.

Sandy wird auch direkt angesprochen. So schreibt ihr Manuela Tönhardt, NPD-Funktionärin aus Berlin-Lichtenberg: „Liebe Sandy, wenn Du mich und meine Arbeit näher kennenlernen möchtest schau mal unter www.npd-lichtenberg.“. Stella Hähnel lädt Sandy ein: „ich bin ja im RNF und in der GDF, falls Dir das was sagt.  (…) Jedenfalls kannst mich was Frauen-Gruppen betrifft gern jederzeit ansprechen. Wir suchen immer nette Frauen und in der GDF sind sowieso fast alles Mütter.“ Manchmal muss ich mich orientieren, in welcher Identität ich gerade stecke. „Leni Sonnenrad“ gefällt Onlineaktivisten.de.Das ist eine Facebook-Seite, auf der ich auch im wahren Leben Mitglied bin. Das nennt man dann wohl Unterwanderung. Inzwischen ist Sandy (Beziehungsstand: „Es ist kompliziert“) von zwei Nazis per Nachricht angeflirtet worden. Weil ihr Profilbild (immer noch die „Hello Kitty“) so „süß“ sei.

Später nutze ich Sandys Profil vor allem für Recherche-Zwecke. Lese Demo-Berichte auf der Nazi-Seite von Demonstrationen, auf denen ich als Journalistin war. Verfolge die Kommentare, als die rassistischen Morde der rechtsextremen Terrorgruppe „Nationalsozialistischer Untergrund“ bekannt werden – die Distanzierenden („sind doch eh vom Verfassungsschutz bezahlt“) und die Begeisterten („NSU – Helden für Deutschland“). Am 25.11.2011 hat Sandy 450 Freunde. Sie ist inzwischen mit den übelsten Akteur/innen befreundet, die die NPD und die Nazi-Szene zu bieten hat – auch international. Doch dann startet Facebook eine große Löschaktion. Zwei Tage später hat Sandy nur noch 250 Freund/innen. Am 29.11.2011 erwischt es Sandy selbst. Ihr Profil wird gelöscht. Sehr gut.

Dieser Text ist ein Auszug aus der neuen Broschüre von netz-gegen-nazis.de und no-nazi.net: „Zwischen Propaganda und Mimikry – Neonazi-Strategien in Sozialen Netzwerken„. Sie steht hier zum Download bereit und kann – solange der Vorrat reicht – per Mail bestellt werden unter: netz@amadeu-antonio-stiftung.de. Versand gegen Portokosten. Über das Projekt no-nazi.net bieten wir auch Workshops zum Thema „Nazis in Sozialen Netzwerken“ an.

Mehr aus der Broschüre auf netz-gegen-nazis.de:
| Broschüre 2012

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