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Süßkartoffelgate Deutsche in der Kartoffelecke

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Süßkartoffeln: Für den freien Journalisten Mohamed Amjahid ein positiver Begriff für weiße deutsche Verbündete im Kampf gegen Rassismus. (Quelle: Pixabay)

Und schon wieder ist die Bild-Zeitung einer heißen Sache auf der Spur – in diesem Fall einer Kartoffel. Genauer gesagt geht es um eine Süßkartoffel. Am 2. Juni veröffentlichte das Antirassismus-Projekt „saymyname“ von der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) den folgenden Beitrag auf Instagram: „Ein:e Ally kann im Deutschen auch als Verbündete:r bezeichnet werden. Oder wie Mohamed Amjahid @m_amjahid sagen würde: als Süßkartoffel. Verlinke jemanden, der für dich eine gute Süßkartoffel ist.“ Darunter wird erklärt, dass der Begriff „Süßkartoffel“ aus dem neuen Buch des freien Journalisten Amjahid „Der weiße Fleck“ stammt.

Ally, Verbündete:r oder Süßkartoffel könnten, so Amjahid, nur jene werden, die sich mit ihren eigenen Privilegien auseinandersetzen und sich auch Kritik von Betroffenen zu Herzen nehmen. Auf einem Sharepic wird Amjahid zitiert: „Die Ally-Werdung ist kein abschließender Status, keine Selbstbelohnung. Es ist vielmehr ein endloser Prozess, an dem Weiße, Männer oder Cis-Menschen arbeiten können“. „Das ist ganz und gar nicht einfach“, räumt „saymyname“ ein. „Diese Arbeit an uns selbst ist jedoch unabdingbar, wenn wir in einer gerechten und inklusiven Gesellschaft leben wollen.“

Ein Shitstorm entbrannte prompt. Die Bild-Redakteurin Judith Sevinç Basad twitterte: „Weiße und ‚Almans‘ sind qua Hautfarbe ‚Kartoffeln‘ – also per se Menschenfeinde – die bestenfalls durch ‚harte Arbeit‘ ihren Status zur ‚Süßkartoffel‘ verbessern können. Brought to you by BPB“ – und bekam dafür mehr als 1.400 Likes. Wie Basad darauf kommt, dass „Kartoffeln“ per se „Menschenfeinde“ sind, bleibt ein Rätsel. Dass alle Weiße qua Hautfarbe „Kartoffeln“ seien, stimmt in der gängigen Sprachpraxis einfach nicht. Und im Instagram-Beitrag kam der Begriff „Kartoffel“ nicht einmal vor, geschweige denn als Beleidigung.

(Quelle: Twitter-Screenshot)

Zwei Tage später titelte die Bild: „Bundeszentrale verhöhnt Deutsche als ‚Kartoffeln‘“. Schnell folgten empörte Schlagzeilen von Rechtsaußen. Bei der rechtsnationalistischen Wochenzeitung Junge Freiheit lautete die Überschrift: „Bundeszentrale für politische Bildung nennt Deutsche ‚Kartoffeln‘“. Der rechtsalternativen Blogger Boris Reitschuster schlagzeilte, in starker Anlehnung an die Bild-Überschrift: „Bundeszentrale verhöhnt Deutsche als ‚Kartoffeln‘ – mit Steuermitteln“. Und auf dem rechtsextremen Blog „PI News“ hieß es: „Jetzt offiziell: Deutsche sind ‚Kartoffeln‘“.

Die Bild wirft der bpb vor, „Deutschen“ pauschal Rassismus zu unterstellen – und meint mit „Deutschen“ offenbar nur weiße Deutsche ohne Migrationshintergrund, die offenbar nach Auffassung der Zeitung als „Kartoffel“ gelesen werden könnten. Nicht jede:r könne „Süßkartoffel“ werden, betont die Bild, sondern, in Amjahids Worten, „nur jene, die sich mit ihren eigenen Privilegien auseinandersetzen und sich Kritik von Betroffenen zu Herzen nehmen“ – offenbar eine hohe Hürde für die Boulevardzeitung. Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) sagte der Bild, eine öffentliche Einrichtung, die „Deutschen“ automatisch Rassismus unterstellt, sei „unverantwortlich“: „Sollte diese Herangehensweise nicht unverzüglich abgestellt werden, muss die Rolle der Bundeszentrale für politische Bildung auf den Prüfstand.“ Auch Christoph Ploß, Chef der Hamburger CDU, wird im Bild-Artikel zitiert: „Eine ganze Bevölkerungsgruppe aufgrund ihrer Herkunft oder Hautfarbe als ‚Kartoffeln‘ abzuwerten, geht gar nicht und leistet der Spaltung unserer Gesellschaft Vorschub.“

Mohamed Amjahid wirkt fast überrascht von der Empörungswelle. „Ich habe mich schon gewundert, dass ausgerechnet die Chose mit der Kartoffel/Süßkartoffel so hochgekocht wurde“, sagt er Belltower.News. Schließlich gebe es genug Geschichten in seinen Büchern und Texten, über die man sich gut aufregen könnte, so Amjahid. „Aber da haben sich einige halt auf simple Erzählungen gestürzt. Ich hätte, nebenbei gesagt, kein Problem damit, nach einem Gemüse benannt zu werden und würde auch mit weißen Menschen tauschen“. Denn für seinen Körper existierten ganz andere sprachliche Mechanismen der Entmenschlichung, so der deutsch-marokkanische Autor. „Außerdem ist es auch eine Leistung, im positiv konnotierten Begriff ‚Süßkartoffel‘ eine Beleidigung zu sehen.“

Süßkartoffelgate kam nicht von ungefähr: In der rechtsextremen Blase wird schon seit Jahren von einer sogenannten „Deutschenfeindlichkeit“ schwadroniert. Der Rechtsaußen-Kampfbegriff wurde kurioserweise 2020 in der Statistik für Politisch motivierte Kriminalität des BKA als Kategorie für Hasskriminalität aufgenommen – was auch für berechtigte Kritik sorgte (siehe Belltower.News). Denn wer zum Beispiel mit dem Begriff „Kartoffel“ Rassismus gegen weiße Deutsche ohne Migrationshintergrund oder gar „Deutschenfeindlichkeit“ sieht, verkennt erstens die Machtdynamiken hinter Rassismus in einer weißen Dominanzkultur und zweitens die tatsächliche Bedeutung des ironischen Kartoffel-Begriffs, der sich weder auf Aussehen noch auf Herkunft bezieht – ganz zu schweigen davon, dass in dieser Schein-Debatte offenbar nur eine äußerst homogene und völkisch gedachte Gruppe als „Deutsche“ zählt. Dass der rechte Rand nun lautstark Stimmung gegen einen Kartoffel-Begriff macht, der im Instagram-Post so überhaupt nicht vorkommt, hat System: Damit wird ein tradierter Opfermythos bedient, nach dem weiße Deutsche angeblich marginalisiert, diskriminiert oder gar „überfremdet“ würden.

Es ist nicht das erste Mal, dass von Rechtsaußen versucht wird, die unabhängige wissenschaftliche Arbeit der bpb zu diskreditieren. In der Berichterstattung zum jüngsten Vorfall wird die staatliche Finanzierung der Institution immer wieder betont. So schreibt der rechtsalternative Blogger Boris Reitschuster: „Der Steuerzahler bezahlt damit quasi selbst dafür, verspottet zu werden.“ Er schreibt von einer „Ideologisierung“ der bpb, die „immer abstrusere Ausmaße“ annehme. In Wirklichkeit kommt diese Ideologisierung immer wieder von Rechtsaußen selber: Im Januar 2021 knickte das Bundesinnenministerium (BMI) ein nach einem rechten Shitstorm unter anderem von der NZZ, Jungen Freiheit, Tichys Einblick und der Bild gegen einen zehn Jahre alten Webseitentext der bpb über Linksextremismus. Das BMI wies die bpb an, ihn durch einen neuen zu ersetzen – der ausgerechnet vom Verfassungsschutz geschrieben wurde (siehe Belltower.News). Oppositionspolitiker:innen der Grünen und Linken, die im Kuratorium der bpb sitzen, zeigten sich empört und sprachen von einem „unverhältnismäßiger Eingriff“ und „ideologischem Eifer“.

(Quelle: Instagram-Screenshot)

Süßkartoffelgate hatte bereits Folgen – für die bpb und Mohamed Amjahid. Das Projekt „saymyname“ veröffentlichte eine Stellungnahme auf Instagram und räumte ein, einen Fehler gemacht zu haben, der diskriminierend gewesen sei: „Die wichtige Auseinandersetzung mit Rassismus darf nicht so geführt werden, dass Andere herabgewürdigt werden“, hieß es dazu. Der Kommentarbereich des Süßkartoffel-Posts wurde zudem deaktiviert. Was das alles für die Zukunft des 2019 gegründeten Projekts bedeutet, das einen Austausch mit Menschen mit Diskriminierungserfahrung auf Social Media anstrebt und bislang ausschließlich positiv rezipiert wurde, bleibt noch unklar.

Amjahid war zu einem Podcast für Erstwähler:innen in Sachsen eingeladen, um über Partizipation zu sprechen – ein Projekt, das von der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung (SLpB) gefördert wird. Für den Auftritt sollte er kein Honorar bekommen. Doch Amjahid wurde wenige Tage nach dem Shitstorm offenbar auf Druck der SLpB von der Veranstaltung wieder ausgeladen. Auf Twitter schrieb die Institution: „Die Art und Weise der Ausladung war nicht in Ordnung. Das bedauern wir ausdrücklich. Wir werden uns dazu direkt bei Ihnen melden.“ Amjahid bestätigte gegenüber Belltower.News, dass er nun von der SLpB zu einer neuen Veranstaltung eingeladen wurde. Er möchte den Anlass nutzen, um auch über Ressourcenverteilung und Förderstrukturen allgemein zu sprechen. „Denn lokale Initiativen – egal ob gegen Antisemitismus und Rassismus oder im queer-feministischen Sinne – können nicht von politischen Konjunkturen abhängig sein, ob sie ihre wichtige Arbeit machen oder nicht“, so Amjahid.

Das gilt auch für die Zivilgesellschaft: Statt auf orchestrierte Empörungsaktionen reinzufallen, ist es bitter nötig, über Rassismus und die tatsächliche Diskriminierung marginalisierter Gruppen zu reden. Hier dürfen wir nicht um den heißen Kartoffelbrei herumreden.  

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