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Nach rechtem Shitstorm bpb ändert Satz zu Linksextremismus auf Druck des Innenministeriums

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Politischer Hufeisenwurf: Die neue bpb-Definition von Linksextremismus wird vom Verfassungsschutz geschrieben.
Politischer Hufeisenwurf: Die neue bpb-Definition von Linksextremismus wird vom Verfassungsschutz geschrieben. (Quelle: Benigno Hoyuela/Unsplash)

Es fängt mit einem Tweet an, endet aber mit einer parlamentarischen Anfrage und einem Streit über die Zukunft der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb). Am 10. Januar 2021 schreibt der Twitter-User „Jan“ mit Deutschlandfahne in seinem Namen: „KEIN WITZ, eher ein Skandal: Die bpb schreibt allen Ernstes über Linksextremismus: ‚Im Unterschied zum Rechtsextremismus teilen sozialistische und kommunistische Bewegungen die liberalen Ideen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit.“ Jan hat rund 5.400 Follower. Er twittert gerne über „Cancel Culture“, bezeichnet die Linkspartei als „faschistisch“, verachtet „die Antifa“, retweetet den früheren, inzwischen offen rechtsoffenen Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen, ebenso den umstrittenen Welt-Kolumnisten Rainer Meyer („Don Alphonso“) oder den rechtsalternativen Blog Tichys Einblick. „Jan“ beschreibt sich selbst als konservativ, gibt in seiner Twitter-Bio an, die CDU und Junge Union zu unterstützen. Der Tweet hat schnell über 1.700 Likes.

Aus dem Tweet wird ein rechter Shitstorm: Kurz darauf teilt Hubertus Knabe, kontroverser ehemaliger Leiter der Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen, dem eine Nähe zur AfD vorgeworfen wird, Jans Tweet. Er ergänzt: „Irre, was die @bpb_de da verbreitet. Wer nach Diktatur und Terror und 100 Millionen Toten immer noch von der Idee der Freiheit spricht, macht sich mit den Verbrechern eins. Wo bleibt die Aufsicht der Geldgeber?“ Auch Anna Schneider, Redakteurin im Berliner Büro der konservativen Zeitung NZZ, twittert einen Screenshot des bpb-Zitats über Linksextremismus mit dem Kommentar: „Das ist eine ernstgemeinte Veröffentlichung der Bundeszentrale für politische Bildung, also einer staatlichen (Bildungsförderungs)Institution.“ Sie bekommt dafür mehr als 3.000 Likes.

Ein Tag später, am 11. Januar 2021, meldet sich die rechte Zeitung Junge Freiheit zu Wort und fordert eine Korrektur der Definition von Linksextremismus. Am nächsten Tag folgen Artikel im rechten Magazin Tichys Einblick und in der Bild: „Liberale Linksextremisten? Empörung über die Bundeszentrale für politische Bildung“ und „‚Verharmlosung des Kommunismus‘: Sind Linke die besseren Extremisten? Kritik an Linksextremismus-Darstellung der Bundeszentrale für politische Bildung“ lauten die Schlagzeilen. Auch Anna Schneider schreibt einen Artikel für die NZZ mit der Überschrift: „Die Bundeszentrale für politische Bildung soll die Deutschen ausgewogen und unideologisch informieren – schön wär’s“. Darin beklagt der Würzburger Geschichtsprofessor Peter Hoeres, der Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der bpb ist, dass man kaum noch „konservative oder liberal-konservative Geister“ unter den Beschäftigten der Bundeszentrale treffe. Die rechte Entrüstungskampagne ist in vollem Gange, eine Chronik dazu veröffentlicht die taz Anfang März. Nur: Was ist hier eigentlich der Skandal?

Lechts und rinks

Der Skandal-Satz der bpb zu Linksextremismus ist eigentlich gar nicht so skandalös. Er stammt von dem renommierten Politikwissenschaftler Hans-Gerd Jaschke, emeritierter Professor an der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Er leitete 2016 bis 2017 die wissenschaftliche Begleitung des Berliner Landesprogramms zur Radikalisierungsprävention, forschte jahrzehntelang bis zu seiner Pensionierung zum Thema Rechtsextremismus, aber auch zu Linksextremismus und Islamismus.

In den letzten zehn Jahren war der Satz auch kein Skandal – so lange steht er schon auf der bpb-Webseite als Einleitung zum „Dossier Linksextremismus“:

„Linksextremismus: Dahinter verbirgt sich eine Fülle von teilweise widersprüchlichen Positionen und Einstellungen. Im Unterschied zum Rechtsextremismus teilen sozialistische und kommunistische Bewegungen die liberalen Ideen von Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit – interpretieren sie aber auf ihre Weise um. So will die extreme Linke durch revolutionäre Aktionen den Sturz des Kapitalismus herbeiführen, um dann die sozialistische Gesellschaftsordnung zu errichten.“

Oder zumindest stand er da. Denn nun hat sich das Bundesinnenministerium (BMI), dem die bpb unterstellt ist, von der Stimmungsmache der rechten Onlineblase beeindrucken lassen. Das BMI hat der Bild zufolge daraufhin die bpb „gebeten“, den Satz zu ändern. Mitte Januar wird der Teaser des Dossiers ersetzt. Den neuen Teaser schreibt kein Wissenschaftler mehr, sondern der Verfassungsschutz. Von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit gibt es danach keine Spur mehr, vielmehr definieren also die Sicherheitsbehörden, was die bpb auch als solches kenntlich macht. Nun liest sich der Teaser so:

„Linksextremismus wird von den Sicherheitsbehörden wie folgt definiert: ‚Linksextremismus ist ein Sammelbegriff für alle gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichteten Bestrebungen, die sich insbesondere in den Ideen von Anarchismus und Kommunismus ausdrücken. Allen gemeinsam ist, dass die von ihnen als ‚Kapitalismus‘ und ‚Obrigkeitsstaat‘ bezeichnete bestehende demokratische Staats- und Gesellschaftsordnung als Ursache aller vorhandenen Missstände gilt und deshalb im Wege einer gewaltsamen Revolution abzuschaffen ist. Zentrales Ziel ist, zunächst eine sozialistische Ordnung zu schaffen, um von dieser ausgehend letztlich ein klassenloses kommunistisches System zu errichten. Die Anwendung von Gewalt wird in einer selbst zu definierenden revolutionären Phase für legitim und unverzichtbar angesehen. Es handelt sich demnach um Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung gerichtet sind und die von ihr vertretenen Werte wie Freiheit und Gleichheit abschaffen wollen.“

Die Sicherheitsbehörden liefern, wenig überraschend, einen politischen Hufeisenwurf. Die nun veröffentlichte Definition bedient sich einer wissenschaftlich mehrfach widerlegten „Extremismustheorie“, nach der der Linksextremismus genauso gefährlich wie Rechtsextremismus sein müsse und nur die „gefährlichen Ränder“ der Politik eine vermeintlich unproblematische „Mitte“ bedrohen würden (vgl. Jungle World, taz).

Das Ultimatum

Doch wie kam es genau zu dieser Änderung und warum? Der Email-Verkehr zwischen dem BMI und der bpb ist nun durch eine Anfrage der Webseite „Frag den Staat“ nach dem Informationsfreiheitsgesetz veröffentlicht worden. Die Emails zeigen, dass das BMI die bpb nicht lediglich um eine Änderung bittet, sondern politischen Druck auf die wissenschaftliche Institution ausübt. Die Begründung des zuständigen Referats beim BMI: „Auch wenn diese Formulierung Bewertungen aus der Extremismusforschung wiedergibt, hat sie doch in der Öffentlichkeit zu zahlreichen Fehlinterpretationen und Missverständnissen geführt.“ So wird eine rechte Empörungskampagne, gestartet zehn Jahre nach Veröffentlichung des Textes, als „öffentliches Missverständnis“ interpretiert und als Handlungsgrundlage genutzt.

Die bpb zeigt sich weniger beeindruckt, aber gesprächsbereit. Sie überarbeitet den Teaser, schreibt, dass sozialistische und kommunistische Bewegungen jetzt auf die liberalen Ideen von Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit „berufen“, statt sie zu „teilen“, fügt sogar ein Zitat des Soziologen und Politikwissenschaftlers Armin Pfahl-Traughber, ehemaliger Referatsleiter der Abteilung Rechtsextremismus im Bundesamt für Verfassungsschutz, hinzu. Vergeblich.

Es folgt ein weiterer Mailwechsel, das BMI ist mit den Änderungsvorschlägen der bpb nicht zufrieden. Es geht nicht mehr nur um einen Satz, der komplette Absatz müsse ersetzt werden. Am 14. Januar schickt das BMI die neue, vom Verfassungsschutz abgesegnete Einleitung. Vier Tage später, am 18. Januar, kommt das Ultimatum: Die neue Einleitung müsse bis 13 Uhr veröffentlicht oder sich positioniert werden. Die bpb stimmt zu, die neue Version erscheint auf ihrer Webseite.

Und so kam es, dass das BMI auf Druck eines rechten Shitstorms die wissenschaftliche Unabhängigkeit der bpb verletzte und politischen Einfluss auf ihre Arbeit ausübte. Die Einleitung zum Dossier über Linksextremismus ist die einzige, die vom Verfassungsschutz geschrieben wurde, die Einleitungen der Dossiers zu Rechtsextremismus, Rechtspopulismus, Islamismus, Antisemitismus, Rassismus und Antiziganismus bleiben ungeändert.

Opposition empört

Die Bundestagsabgeordnete Martina Renner, Sprecherin der Linksfraktion für antifaschistische Politik, äußert scharfe Kritik an der Entscheidung. „Das Innenministerium macht sich mit ideologischem Eifer zum verlängerten Arm der rechten Empörer“, sagt sie Belltower.News. Renner vertritt die Linke im Kuratorium der bpb, die aus 22 Mitgliedern des Bundestages besteht und die Arbeit der Bundeszentrale auf Wirksamkeit und politische Ausgewogenheit kontrollieren soll. Weder der wissenschaftliche Beirat noch das Kuratorium wurden in der Entscheidung einbezogen, bestätigt die bpb auf Anfrage der taz. „Hier geht es nicht um Linksextremismus, sondern um Deutungs- und Handlungsmacht der Rechten. Linksextremismus dient lediglich als Feindbild, um Bündnisse von Konservativen und extremen Rechten zu ermöglichen“, so Renner weiter.

Auch der Grünen-Bundestagsabgeordnete Kai Gehring, der ebenfalls im Kuratorium der bpb sitzt, ist empört. „Das BMI ist eingeknickt vor einer orchestrierten Empörungsaktion von Personen aus dem konservativen bis neurechten Spektrum – mit Junger Freiheit, Bild und NZZ als Medienpartner“, sagt er Belltower.News. „Im Ergebnis wurde ‚Cancel Culture‘ konkret: Das BMI hat eilfertig die Erkenntnisse eines renommierten Politikwissenschaftlers löschen lassen – ein unverhältnismäßiger Eingriff“, führt er fort. Gehring kritisiert, dass die wertvolle wissenschaftsbasierte Arbeit der bpb unnötigerweise korrigiert und diskreditiert wird – und den Beschäftigten sogar Parteilichkeit unterstellt wird.

Die Aktion sieht Gehring als Teil einer Entwicklung, dass rechte Netzwerke gegen die Wissenschaft und Medien vorgehen. „Ob Rechtsextremismus-Prävention oder Klimaschutzberichterstattung: Überall wird eine vermeintliche Grünen- oder Linkslastigkeit fabuliert, die vor allem eine verquere Wahrnehmung der Realität ist.“ „Omagate“ ist eines der bekanntesten Beispiele dafür (vgl. Belltower.News). Das Ziel der sogenannten „neuen“ Rechten, so Gehring: „Misstrauen gegen demokratische Institutionen und wissenschaftliche Erkenntnisse zu schüren.“

Es ist nicht das erste Mal, dass politischer Einfluss auf die bpb genommen wird. 2015 verbot das BMI den Vertrieb des bpb-Hefts „Ökonomie und Gesellschaft“, nachdem die Deutschen Arbeitgeberverbände der Zentrale Einseitigkeit und „fehlende Wirtschaftsfreundlichkeit“ vorwarfen. Der Wirtschaftsverband kritisierte, dass Lobbyismus im Heft als zu negativ dargestellt wird – und betrieb also Lobbyismus, um die Verbreitung des Heftes zu verhindern. 2019 verbot das BMI einen Auftritt des Aktivisten Philipp Ruch, Kopf des Künstlerkollektivs „Zentrum für politische Schönheit“ (vgl. Stern).

Nach der jüngsten Intervention des BMI ist nun ein politischer Streit entbrannt: um die Zukunft der bpb und ihre Unabhängigkeit. Die Grünen Kai Gehring und Monika Lazar haben eine Kleine Anfrage an die Bundesregierung gestellt, die Belltower.News vorliegt. In dem umfassenden Fragenkatalog zur Arbeit und Ausrichtung der Bundeszentrale, vor allem zum Umgang mit Beschwerden und Kritik, wird auch detailliert zum genauen Ablauf der Änderung des Einleitungstexts zu Linksextremismus gefragt. Auch zur Zusammensetzung des wissenschaftlichen Beirats, in dem der eingangs erwähnte Professor Peter Hoeres sitzt, wollen die Grünen Antworten. „Wir erleben aktuell, dass einzelne Mitglieder tatkräftig mitwirken, die Bundeszentrale in Misskredit zu bringen und somit als ungeeignet für das Beiratsamt erscheinen“, kritisiert Kai Gehring. Er fordert mehr Transparenz. Bis Ende März sollen die Antworten der Bundesregierung vorliegen.

In der Zwischenzeit feiert „Jan“ auf Twitter seinen kleinen Sieg: Er bedankt Hubertus Knabe und Anna Schneider für ihre Arbeit. Jan hetzt nun weiter gegen „Gendersprache“, „kriminelle“ Flüchtlingshelfer, „PoC-Journalisten“ und Pandemiemaßnahmen. Der nächste Shitstorm kommt bestimmt.

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