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Tarnmodus Rechtsaußen AfD im Gewand einer „Bürgerinitiative“

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Im baden-württembergischen Pfedelbach versucht eine "Bürgerinitiative" die Unterbringung von Geflüchteten zu verhindern. (Quelle: Wikimedia / Peter Schmelzle / CC BY-SA 3.0 )

Die AfD im Juli 2015: am Boden. Ihre Mitglieder: zerstritten. Am 3. Juli findet ein Parteitag in Essen (Nordrhein-Westfalen) statt. Frauke Petry vs. Bernd Lucke. Die Chemikerin gewinnt, der Volkswirtschaftler verliert. Enttäuscht verlässt Lucke die Partei. Es ist die „erste Häutung“ der AfD. Im Laufe der 10-jährigen Geschichte der Partei werden weitere folgen.

Nur wenige Monate später, im September 2015, findet die AfD einen Weg aus dem Umfragetief. Als hunderttausende Menschen vor Bürgerkrieg und Verfolgung nach Europa fliehen, rückt die Partei die Asyl- und Migrationspolitik in den Fokus ihres Geschäfts. Die AfD avanciert zum parlamentarischen Arm der rassistischen PEGIDA-Demonstrationen.

Der damalige stellvertretende AfD-Bundessprecher, Alexander Gauland, sagt über die Lage seiner Partei: „Man kann diese Krise ein Geschenk für uns nennen.“ Und weiter: „Sie war sehr hilfreich.“ Gauland sieht im Leid unzähliger Menschen den Profit. Die AfD profitiert. So holt sie in der baden-württembergischen Landtagswahl vom März 2016 mehr als 15 Prozent der Stimmen.

Eine „geregelte Asylpolitik“

Aktuell ist ein Aufflammen rassistischer Demonstrationen in der Bundesrepublik zu beobachten. Die Demonstrationen finden insbesondere in Ostdeutschland statt. „Die Fratze des Hasses ist zurück“, titelte die taz. Nicht nur im Osten, auch im Südwesten versucht die extreme Rechte, die Asyl- und Migrationspolitik in den Fokus zu rücken.

Anton Baron, dem 2016 der Einzug in den baden-württembergischen Landtag gelang, ist Anfang 2023 zum AfD-Fraktionsvorsitzenden gewählt worden. Nach der Wahl erklärte Baron, die AfD stehe für eine „geregelte Asylpolitik“. Wie sie aussieht, macht er in den Sozialen Netzwerken deutlich. So fordert er am 26. Januar 2023: „Straffällige Ausländer müssen konsequent abgeschoben werden.“

Baron sitzt gemeinsam mit AfD-Funktionär Thomas Schmidt im Kreistag des Hohenlohekreises. Schmidt soll am 25. April 2021 ein Foto mit den Gesichtern dreier Politiker und den Worten „Normalerweise gehören die eingesperrt …“ gepostet haben. Später soll er den Kommentar „Eingesperrt? Wegen Hochverrat und Mord hingerichtet“ geliked haben. Das berichtet „DieInsider“.

2016: Unbekannte setzen Asylunterkunft in Brand

Schmidt versucht jüngst, die Gemeinde Pfedelbach im Hohenlohekreis gegen die Unterbringung von Geflüchteten zu mobilisieren. Am 25. Januar 2023 bewirbt er in einem Querdenken-nahen Telegram-Kanal eine Unterschriftenliste. Die Liste hat das Ziel, ein Bürgerbegehren gegen eine Asylunterkunft im ehemaligen Seniorenzentrum Löwengarten in Pfedelbach zu initiieren. Die Unterkunft soll verhindert werden.

Ausgerechnet in Pfedelbach: Am 17. November 2016 – inmitten einer rassistischen Protestwelle im Hohenlohekreis – wurde eine Asylunterkunft in der Gemeinde angezündet. Die Unterkunft war noch nicht bewohnt, etwa 40 Menschen sollten in den nächsten Wochen einziehen. Der Dachstuhl brannte aus, das Gebäude musste abgerissen werden. Bis heute wurden die Brandstifter von Pfedelbach nicht gefasst.

Zur Unterschriftenliste schreibt Schmidt im Jahr 2023: „es sollen 150 Flüchtlinge von mindestens drei Nationen in dieses Haus, mitten im Wohnhebiet! Und keiner von unserer regt sich, ich hätte wenigstens auf die von Hohenlohe gezählt!“ [alle Fehler im Original] Daher forderte er: „Am Samstag treffen wir uns am 9Uhr bei der Bäckerei Trunk hinten am Parkplatz um Unterschriften zu sammeln.“

2023: AfDler sammeln Unterschriften gegen Asylunterkunft

Die Bäckerei ist ein paar hundert Meter vom ehemaligen Seniorenzentrum entfernt. Tatsächlich hat das Treffen vor Ort stattgefunden. Neben Thomas Schmidt war sein Kollege Jens Moll eine treibende Kraft. Wie Baron und Schmidt sitzt Moll für die AfD-Fraktion im Kreistag des Hohenlohekreises. Zuletzt kandidierte Moll im Rahmen der Bundestagswahlen 2021. Auf dem Parkplatz wurden Schmidt und Moll von einer Handvoll Mitstreiter begleitet.

Als der Pfedelbacher Bürgermeister Torsten Kunkel mit der Initiative zum Bürgerbegehren konfrontiert wird, reagiert er gelassen: „Ein Bürgerbegehren zur Durchführung eines Bürgerentscheids ist ein legitimes Recht in unserem Rechtsstaat.“ Sollte ein Bürgerbegehren eingereicht werden, werde er dieses – wie jedes Bürgerbegehren – „sorgfältig prüfen“. Kunkel berichtet, bereits mehrere Personen seien in seiner Sprechstunde gewesen, um ihre Sorgen zum Ausdruck zu bringen. Bislang sei der Austausch konstruktiv gewesen.

Zwar habe er bereits von der Initiative zum Bürgerbegehren gehört. Die Initiative soll bereits im Rahmen einer Bürgerinformationsveranstaltung zur Unterbringung der Geflüchteten von einem Teilnehmer aus dem Publikum angekündigt worden sein. Aber von einer „Bürgerinitiative“ wisse er nichts. Dass hinter der „Bürgerinitiative“ die AfD stecke, wolle er nicht kommentieren. Denn das sei, so behauptet er, Spekulation. Bei einem solch „brisanten Thema“ wolle er nicht anfangen, „Öl ins Feuer zu gießen“.

Eine „größere Erfolgschance“

Auf der Unterschriftenliste wird das angestrebte Bürgerbegehren mit rassistischen Erzählungen begründet. Durch die Unterbringung der Geflüchteten sei „die Sicherheit der umliegenden Bürger nicht mehr gewährleistet“. Schließlich habe man in der Zeitung lesen können, „was seit dem Jahr 2015 schon alles durch einige Flüchtlinge passiert ist“. Außerdem sei mit Lärm zu rechnen. Der Lärm sei, da er den Erholungsschlaf störe, „eine enorme Gefahr für die Gesundheit“.

Pikant: Weder die AfD noch Schmidt werden auf der Unterschriftenliste genannt. Stattdessen steht dort die Adresse einer Privatperson – Marc S.. Über S., der in einem Teilort von Pfedelbach wohnt, ist wenig bekannt. Eine Presseanfrage lässt er unbeantwortet. Die Unterschriftensammlung verfügte zwischenzeitlich über eine Website, die im Laufe der Recherche aus dem Netz verschwunden ist. Auch auf der Website, die unter dem Namen „Bürgerinitiative Pfedelbach“ firmiert hat, ist lediglich S.s Adresse zu lesen.

Das wirft die Frage auf: Warum wird lediglich eine Privatperson – und nicht die AfD – genannt, obwohl AfD-Funktionäre hinter der Initiative stecken? Diese Frage ließ sowohl S. als auch Schmidt unbeantwortet. Eine Antwort hat Gebhard Schultz. Er ist Mitarbeiter der Dokumentationsstelle Rechtsextremismus im Generallandesarchiv Karlsruhe. Eine seiner Aufgaben ist die Auswertung der AfD-Aktivitäten in Baden-Württemberg: „In weiten Teilen der Bevölkerung hat die AfD keinen guten Stand. ‚Bürgerinitiative‘ klingt harmlos, nach einer guten Sache. Offenbar sieht die AfD im Gewand einer ‚Bürgerinitiative‘ eine größere Erfolgschance.“

In der extremen Rechten ist die Tarnung hinter harmlos klingenden Initiative seit Jahren eine beliebte Methode. Insbesondere die NPD hat die Methode im Zuge der „Nein zum Heim“-Proteste ab 2013/14 genutzt. So demonstrierte Ende 2013, als die rassistischen Proteste gegen die Unterbringung von Geflüchteten einsetzten, eine „Bürgerinitiative“ namens „Schneeberg wehrt sich“ im sächsischen Erzgebirge. Angeführt wurde die Demonstration von der NPD.

Foto: Wikimedia / Peter Schmelzle / CC BY-SA 3.0

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