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„Tauben im Gras“ „Zum Schutz meiner Schüler“

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Tauben im Gras
Die Lehrerin Jasmin Blunt weigert sich, das Buch "Tauben im Gras" im Unterricht zu behandeln. (Quelle: Pixabay)

Wolfgang Koeppens Roman „Tauben im Gras“ soll ab 2024 Pflichtlektüre für Schüler*innen an berufsbildenden Gymnasien in Baden-Württemberg werden. Der Roman erschien 1951 und schildert das Leben im Nachkriegsdeutschland. Die Geschichte spielt in einer deutschen Großstadt, hier treffen viele verschiedene Protagonist*innen aufeinander – darunter auch Schwarze amerikanische Soldaten, die von anderen Figuren immer wieder rassistisch beleidigt werden.

Das Werk selbst gilt zwar bei einigen als antirassistische Literatur, doch im Text selber kommt an die hundertmal das N-Wort vor – ohne Einordnung, Erklärungen oder Fußnoten. Die Ulmer Deutsch- und Englisch-Lehrerin, Jasmin Blunt, wehrt sich dagegen, dass dieses Buch Pflichtlektüre ihrer Schüler*innen werden soll. Sie weigert sich, „Tauben im Gras“ im Unterricht zu behandeln und ließ sich für kommendes Jahr beurlauben. Blunt und eine Mitstreiterin starteten eine Petition, in der Hoffnung, dass das Buch vom Lehrplan gestrichen wird. Mittlerweile hat die Petition mehr als 8.500 Befürworter*innen gefunden, darunter auch Lehrkräfte von Universitäten und Kulturschaffende.

Belltower.News hat mit Jasmin Blunt gesprochen:

Belltower.News: Wie haben Sie davon erfahren, dass „Tauben im Gras“ bald Pflichtlektüre Ihrer Schüler*innen werden soll?

Jasmin Blunt: Ein Kollege hat mich vorgewarnt. Er hatte mir gesagt, dass in dem Buch einige Male das N-Wort stehe. Er meinte, man müsse schauen, wie man mit der Sprache umgehe. Ich habe mich dann auf dem Heimweg gefragt, was er damit meint und dachte mir noch, dass es schon so schlimm nicht sein würde. Das Ding ist ja auch, dass kaum jemand das Buch kannte.

Und wie war es, als Sie das Buch dann gelesen haben?

Ich hatte das Buch damals schon bestellt. Als ich dann nach Hause kam, nahm ich es aus dem Bücherregal und schlug es auf. Ich war noch dabei, lose durch das Buch zu blättern und schon da sprang mir immer und immer wieder das N-Wort ins Auge.

Wie ging es Ihnen dabei?

Mir blieb das Herz stehen, weil ich das N-Wort auf so vielen Seiten gesehen habe. Ich fand es wirklich abstoßend und widerlich. Mir war sofort bewusst, dass dies der schlimmste Tag meines Lebens ist.

So schlimm?

Blunt: Ja, mir wurde an dem Tag klar, dass ich unter diesen Umständen nicht mehr für diese Institution arbeiten kann. Ich wusste ab diesem Moment: Unter diesen Umständen ist für mich jetzt hier in der Schule Schluss. Mir war sofort klar, dass ich dieses Buch nicht im Unterricht vertreten kann. Ich muss meine Schüler*innen, vor allem Schwarzen Schüler*innen, vor solchen Inhalten schützen. Und deshalb war das der schlimmste Tag meines Lebens. Aber es war auch ein Tag der Entscheidung.

Die Lehrerin Jasmin Blunt weigert sich, das Buch „Tauben im Gras“ im Unterricht zu behandeln.

Wieso das?

Immerhin war ich in der Lage, überhaupt eine Entscheidung zu treffen. Es war zwar schon schwer genug zu begreifen, für eine Institution zu arbeiten, die mich nicht mitdenkt, die meine Meinung gar nicht hören möchte, die anscheinend meine Verletzung nicht ernst nimmt und nicht wahrnimmt. Ich konnte meine Entscheidung, ab nächstem Jahr nicht mehr Lehrerin zu sein, aktiv treffen. Schüler*innen haben diese Möglichkeit nicht. Sie müssen für das Abitur 2024 womöglich dieses diskriminierende Buch lesen und besprechen.

Was mag dieses Buch und seine Sprache wohl bei Jugendlichen auslösen?

Ich frage mich, wie hätte ich mich als 17-jährige Schülerin, als einziges Schwarzes Mädchen in der Klasse bei solch einer Lektüre im Unterricht gefühlt. Ich hätte mich sicherlich weggeduckt und gehofft, dass ich nicht auffalle. Ich hätte gehofft, dass der Lehrer mich nicht drannimmt. Hoffentlich spricht mich in der Pause niemand an, hoffentlich benutzt niemand das N-Wort. Ich will das keinem meiner Schüler*innen zumuten.

Und dann haben Sie die Petition gestartet?

Noch nicht. Vorher habe ich noch versucht, intern das Kultusministerium zu sensibilisieren. Ich habe dem Ministerium gesagt, dass durch dieses Werk Betroffene verletzt werden, daher sollen sie sich ganz genau überlegen, ob sie es dennoch zur Pflichtlektüre machen wollen. Ich habe dem Kultusministerium gesagt, dass sie hier absichtlich eine ganze Gruppe von Menschen verletzen und traumatisieren. Und dabei ist es doch so einfach, dem zu entgehen. 

Wie war die Reaktion des Kultusministeriums?

Die haben die Debatte verschoben. Sie meinten nun, das Buch könne im Unterricht dazu dienen, Rassismus zu thematisieren.  

Und Ihre Meinung dazu?

Nein, das Buch reproduziert Rassismus.

Steht das Kultusministerium aktuell immer noch hinter dem Roman?

Ich fürchte ja. Ich habe es echt probiert, in dem Ministerium etwas zu bewegen. Leider erfolglos. Momentan scheint es so, als wäre es der Kultusministerin wichtiger, nicht verklagt zu werden, als dass sie Ministerin für alle Lehrerinnen und Lehrer und für alle Schülerinnen und Schüler ist.

Im Deutschlandradio verteidigte die Tage ein Literaturkritiker den Roman und nutzte dabei auch das N-Wort. Was geht Ihnen dabei durch den Kopf?

Ja, von denen gibt es viele, die meinen, es sei normal im Alltag das N-Wort zu verwenden und die behaupten, es hätte keinen historischen Kontext. Ich frage mich: Wieso hängen die so sehr daran? Ich kann es überhaupt nicht nachvollziehen. Zumal wir doch schon zigmal gesagt haben, dass dieses Wort Dehumanisierung und Marginalisierung transportiert. Das N-Wort diente immer schon auch als Rechtfertigung, um uns auszubeuten, zu versklaven und uns schlecht zu behandeln. Wenn Menschen dieses Wort trotz all dem weiterverwenden, ist das die absichtliche Anwendung verbaler Gewalt.

Unter welchen Kriterien könnte das Buch, Ihrer Meinung nach, trotzdem im Unterricht verhandelt werden? Mit einer kritischen Ausgabe, mit Fußnoten oder durch Streichung des N-Worts zum Beispiel?

Ich frage mich viel mehr: Brauchen wir das Buch tatsächlich im Unterricht? Was ist sein Mehrwert? Jetzt, nach Beginn der Debatte, wird ja gesagt, das Buch solle für ein kritisches Verständnis von Rassismus herangezogen werden. Da gibt es doch aber viel aktuellere Romane. Stattdessen legt man uns einen Roman aus den 1950ern auf den Tisch, in dem die eine Gruppe die andere benennt und die andere Gruppe dann gut zu sein hat und alles ertragen muss. Hier wird ein rassistisches Bild Schwarzer Soldaten vermittelt, die nach dem Zweiten Weltkrieg in Deutschland gedient haben. Was soll ich denn da lernen? Und was soll ich meinen Schüler*innen da zum Thema Rassismus vermitteln?

Ich glaube, wir finden andere Bücher, die sensibel sind und die alle mit einbeziehen, die Mehrwert haben für beide Seiten. Für eine schwarze Seite und die weiße Seite beispielsweise.

Wie geht es nun weiter?

Die positive Resonanz zur Petition gegen das Buch habe ich so nicht erwartet. Ich bin echt verblüfft, aber auch froh. Es zeigt mir, dass wir an einem Punkt sind, an dem viele Menschen gesellschaftliche Veränderung wollen. Immer mehr Menschen wollen sich einbringen und die Community will auch nicht mehr ruhig sein. Und das finde ich unfassbar schön.

Und wie geht es bei Ihnen nun weiter?

Ich habe einen Job zu erledigen, auch als Pädagogin, die einen Diensteid geschworen hat auf das Grundgesetz. Und dieser Verpflichtung gegenüber meinen Schüler*innen gehe ich jetzt nach.

 

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