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Pham Phi Son Behörden-Ping-Pong und institutioneller Rassismus

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Eine Teilnehmerin einer Kundgebung hält ein Schild mit der Aufschrift „Diese Menschenverachtung macht Sachsen ausländerfeindlich“. Mit einer Demonstration sollte gegen die ursprünglich geplante Abschiebung von Pham Phi Son und seiner Familie protestiert werden.
Eine Teilnehmerin einer Kundgebung hält ein Schild mit der Aufschrift „Diese Menschenverachtung macht Sachsen ausländerfeindlich“. Mit einer Demonstration sollte gegen die ursprünglich geplante Abschiebung von Pham Phi Son und seiner Familie protestiert werden. (Quelle: picture alliance/dpa | Sebastian Willnow)

Nach 36 Jahren in Deutschland droht Pham Phi Son mitsamt Frau und Kind die Abschiebung. Zwar bekam der 65-Jährige 2011 eine unbefristete Niederlassungserlaubnis. Doch 2016 überschritt er mit einem neunmonatigen Aufenthalt in Vietnam die Frist für Auslandsaufenthalte. Erlaubt wären nur sechs Monate gewesen. Die Chemnitzer Ausländerbehörde entzog ihm daraufhin sämtliche Aufenthaltsrechte. „Ab welchem Zeitpunkt zählen Menschen ohne deutschen Pass als Teil unserer Gesellschaft – wenn 36 Jahre nicht genug sind?“, fragt Dave Schmidtke, Pressesprecher des Sächsischen Flüchtlingsrats. Er erkennt in der Beurteilung der sächsischen Ausländerbehörde ganz klar institutionellen Rassismus. 

Keine Würdigung für ausgebeutete DDR-Vertragsarbeiter

1987 zog Pham Phi Son in eine Stadt, die damals noch Karl-Marx-Stadt hieß und heute Chemnitz. Er war einer von etwa 60.000 Menschen, die über die „sozialistische Bruderhilfe“ als Arbeitskräfte aus dem kommunistischen Vietnam angeworben wurden – in der DDR waren sie die größte zugewanderte Gruppe. Integration in die DDR-Gesellschaft war nicht vorgesehen. Laut DDR-Vorschrift hatten sie in Wohnheimen auf lediglich sechs Quadratmetern zu wohnen. Das Recht, Besuche zu empfangen, war eingeschränkt.

16.000 Vietnamesen blieben nach der Wende, auch Pham Phi Son. Seit 2011 hat er eine unbefristete Niederlassungserlaubnis. Diese wurde ihm 2017 entzogen. Pham Phi Son musste damals länger in Vietnam bleiben, weil sich während seines Aufenthalts eine alte Kriegsverletzung verschlimmerte und er stationär im Krankenhaus behandelt werden musste. Statt der erlaubten sechs Monate blieb er neun Monate.

Der deutsche Rechtsstaat kennt jedoch oft keine Gnade: Die Chemnitzer Ausländerbehörde entzog Pham Phi Son daraufhin sämtliche Aufenthaltsrechte. Er klagte dagegen, unterlag aber in einem Prozess. Auch die sächsische Härtefallkommission entschied 2018 und erneut im Februar 2023 gegen ihn. Nun droht nicht nur ihm die Abschiebung nach Vietnam, auch seine Ehefrau und seine sechsjährige Tochter sind betroffen.

„Gerade für die Tochter Emilia, die in Deutschland geboren wurde und hier aufwuchs, wäre die Abschiebung ein Trauma“, erklärt Dave Schmidtke gegenüber Belltower.News. Emilia wolle hier die Schule besuchen. Vietnam kenne sie überhaupt nicht. Ihre Mutter besuche den Deutschkurs, hat eine unbefristete Arbeitsstelle in der Gastronomie und dennoch droht permanent die Abschiebung. „Abschiebungen sind eine brutale Praxis, die Menschen den Boden unter den Füßen wegziehen, für den sie hart gearbeitet haben.“ Beide Elternteile dürfen nicht mehr arbeiten und sind auf finanzielle Unterstützung von Bekannten angewiesen, obwohl es Jobangebote für beide Elternteile gibt. 

Der sächsische Flüchtlingsrat ist empört über das Vorgehen der Behörde: „Wenn für Menschen, die mehr als die Hälfte ihres Lebens in Deutschland leben, kein Aufenthalt gesichert wird, ist dies mit nichts anderem zu erklären als mit institutionellem Rassismus“, urteilt Dave Schmidtke. „Herr Pham ist schon 65 Jahre alt und inzwischen über die Hälfte seines Lebens in Deutschland. Er hat uns mehrfach gesagt, dass er sich kein Leben mehr in Vietnam vorstellen kann. Deutschland und gerade Chemnitz sind seit 36 Jahren sein Zuhause.“ Alle seine sozialen wie beruflichen Kontakte habe er inzwischen in Sachsen. „Für ihn würde die Abschiebung das Ende seines Lebens bedeuten.“

Angst vor Abschiebung: Kein Einzelfall

Der Fall von Familie Pham scheint extrem, er ist jedoch leider kein Einzelfall. Besonders die Angst vor Post im Briefkasten, dass die Aufenthaltsgenehmigung erloschen ist oder gar eine Abschiebung droht, gehört für viele Menschen in Deutschland zum bitteren Alltag.

Aktivist*innen machten vor allem über Instagram auf den Fall aufmerksam. Über 100.000 Menschen unterzeichneten bereits eine online Petition, in der sie fordern, dass die Familie in Deutschland bleiben darf. Darunter ist auch Hami Nguyen. Sie kennt die Angst vor Abschiebung von frühester Kindheit an. Ihr Vater kam genau wie Pham Phi Son als Vertragsarbeiter in die DDR. Die Familie lebte in Wohnheimen, abgeschottet voneinander und dem Rest der Gesellschaft. Integration war nie vorgesehen. Nach der Wiedervereinigung blieb auch ihre Familie in Deutschland – mit einer sogenannten Duldung. Die ständige Angst abgeschoben zu werden ist Nguyen noch sehr vertraut. Alleine im vergangenen Jahr wurden 13.000 Menschen aus Deutschland abgeschoben, so der Mediendienst Integration.

Nguyen kritisiert gegenüber Belltower.News zudem, dass sehr viel Ermessensspielraum bei einzelnen Sachbearbeiter*innen liegt. „Einzelpersonen üben so sehr viel Macht über die Existenzen ganzer Familien aus.“ 

Das Verfahren gegen Familie Pham wurde nun am 13. März eingestellt. Doch eine langfristige Aufenthaltserlaubnis bekommt die Familie nicht, sondern bleibt nurgeduldet, ihr Aufenthaltsrecht ist weiterhin ausgesetzt. Das bedeutet beispielsweise, dass sie den Landkreis, in dem sie leben, nicht verlassen dürfen. Menschen mit einer Duldung dürfen in der Regel keiner Erwerbstätigkeit nachkommen und haben keinen Anspruch auf Sozialleistungen. Die Duldung ist befristet, ihre Dauer wird von der zuständigen Ausländerbehörde je nach Fall und Belastung der Behörde festgelegt.

Wer trifft die Entscheidungen?

Dave Schmidtke vom Sächsischen Flüchtlingsrat kritisiert, „anstatt dass Ausländerbehörden und politisch Verantwortliche konstruktiv daran arbeiten, Menschen ein Bleiberecht zu ermöglichen, wird nach Fehlern gesucht.“ Fehler, die im schlimmsten Fall zur Abschiebung ganzer Familien führen würden. Allzu häufig, so erlebt es Schmidtke, wird der vorhandene Ermessensspielraum der Sachbearbeiter*innen zuungunsten der Betroffenen ausgelegt.

„Die Diskriminierung im aktuellen Fall um Pham Phi Son ist so offensichtlich empörend, dass das jetzige Behörden-Ping-Pong einem absurden Schauspiel gleicht. Als ginge es nicht um das Schicksal einer Familie, sondern im Sinne eiskalter Bürokratie einer erwachsenen Person eine Lektion zu erteilen, bei einer vergleichsweise geringen rechtlichen Verfehlung.“

Es herrsche längst nicht in allen Behörden Sachsens ein Klima, welches Migrant*innen frustrieren oder einschüchtern solle, aber es komme viel zu häufig vor. Davor sind auch Menschen nicht geschützt, die sich seit Jahren oder Jahrzehnten hier aufhalten, so Schmidtke gegenüber Belltower.News. „Es braucht dringend einen Wandel dieser Behörden hin zu Willkommensbehörden! Es braucht dringend mehrsprachige Beratungsangebote und einen respektvollen Umgang mit Ratsuchenden, egal ob sich diese zum Studium oder für den Asylantrag in Sachsen aufhalten.“

 

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