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Transfeindlichkeit Wie ein abgesagter Vortrag transfeindliche Feminist*innen und Rechtsaußen zusammenbringt 

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(Quelle: Unsplash)

Am 2. Juli 2022 fand die lange Nacht der Wissenschaft in Berlin und Potsdam statt. Besucher*innen können Vorträge und Veranstaltungen besuchen, die Unis und Hochschulen stellen ihre Arbeit vor. Doch jetzt wird die Absage eines Vortrags durch die Humboldt Universität breit medial diskutiert. „Geschlecht ist nicht gleich Geschlecht. Sex, Gender und warum es in der Biologie nur zwei Geschlechter gibt“ sollte der Vortrag der Biologiedoktorandin Marie-Luise Vollbrecht heißen. Der Arbeitskreis kritischer jurist*innen hatte zu einem Gegenprotest vor dem HU-Gebäude aufgerufen, woraufhin die Universität die Veranstaltung „aus Sicherheitsgründen” absagte. Vollbrecht wird nun als Opfer „linker Cancel Culture” inszeniert und spricht gegenüber Bild von einem „Einknicken vor radikalen, gewaltbereiten Aktivisten”.

Wissenschaftsfreiheit autoritär umgedeutet

Der Fall hat eine Diskussion über Wissenschaftsfreiheit ausgelöst, die es bis ins Bildungsministerium geschafft hat und die Bildungministerin Stark-Watzinger (FDP) zu einem Statement gegenüber Bild veranlasste. Die zweitägige einseitige Berichterstattung gipfelte dann darin, dass ein Beitrag des rbb Parallelen zog zwischen Protesten von queeren Menschen gegen den Vortrag und den Bücherverbrennungen zur NS-Zeit, laut rbb vergleichbare Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit.

Die Diskussionen um angebliche „Cancel Culture” und Wissenschaftsfreiheit zeigen, wie antifeministische Strategien funktionieren. Selbst in Kontexten, die sich als feministisch verstehen, findet der Schulterschluss mit rechtspopulistischen und -extremen Akteur*innen über Queerfeindlichkeit statt. Spezifisch dabei ist immer wieder der Hass und Gewalt gegen trans Frauen und trans feminine Personen.

Antifeministische transfeindliche Narrative

Schon vor Absage des Vortrags hatte sich Marie–Luise Vollbrecht einen Namen gemacht. Sie ist eine der Autor*innen eines Welt-Artikels, der ARD und ZDF (genauer gesagt der Sendung mit der Maus) vorwirft, Kinder zu indoktrinieren, indem sie durch Inhalte zu queeren und trans Identitäten „frühsexualisiert” und „umerzogen” werden. Ein Klassiker unter den antifeministischen und queerfeindlichen Narrativen, immer schon eng verbunden mit Rechtsaußen-Ideologien, die sich in den letzten Jahren verstärkt über explizit transfeindliche Inhalte den Weg in den Mainstream bahnen.

Während die Medien zunächst fast ausschließlich erzählen, dass eine Minderheit oder die ominöse „Gender-Ideologie” mit radikalen Mitteln gegen Vollbrecht und „die Wahrheit der natürlichen Zweigeschlechtlichkeit” vorgehen, berichten auf Twitter mehrere trans und Sex-Worker*innen-Accounts, dass sie in den vergangenen Jahren von Vollbrecht öffentlich und in privaten Nachrichten bedroht und gedoxxt wurden. Einige User*innen teilen Screenshots, die zeigen, wie sie vom Account Vollbrechts transfeindlich angegangen wurden.

Denn die Biologin Vollbrecht fällt seit langem mit explizit transfeindlichen Beiträgen und Verbindungen auf Twitter auf. Einen Großteil der Tweets hat sie inzwischen gelöscht, doch Belltower.News liegen Screenshots einiger Beiträge vor.

Die Diskussionen um die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in den USA nutzt Vollbrecht etwa, um darzustellen, welche Form von körperlicher Selbstbestimmung trans Frauen angeblich für sich einfordern. Ihr eigenes Recht über ihren Körper und ihr Leben bestimmen zu können, unterstreicht sie mit der Wiedergabe einiger dog whistles (“ich bin kein Uterus auf Beinen”), die häufig von sogenannten TERFs (Trans-Exclusionary Radical Feminist) genutzt werden und stellt sie unterschiedlichen Eingriffen gegenüber, die Vollbrechts Verständnis von Weiblichkeit offenbar widersprechen: den „Schädel abschleifen” – eine Anspielung auf „facial feminization surgery”, welche für trans Frauen ein wesentlicher und wichtiger Transitions-Schritt sein kann, „Plastik Titten” und die Namensänderung zu „Tiffany”. Die Gegenüberstellung endet in der Schlussfolgerung „We are not the same” und dürfte zusammen mit der misogyne Wortwahl klar machen, wessen Selbstbestimmung als gerechtfertigt angesehen wird und welche nicht.

Transfeindlicher Schulterschluss mit Rechtsaußen

Der ganze Vorfall um die Absage des Vortrags an der HU hat also durchaus eine transfeindliche Vorgeschichte und erlangt nicht ohne Grund so viel Aufmerksamkeit und Verbreitung. Queer- und vor allem Transfeindlichkeit zeigt sich weltweit als wesentliches Mobilisierungselement rechtsextremer und religiös fundamentalistischer Bestrebungen und nimmt bereits seit einiger Zeit eine Scharnierfunktion zwischen antifeministischen Bewegungen und Akteur*innen ein. Auch im Zusammenhang mit antisemitischen Verschwörungserzählungen taucht Transfeindlichkeit immer wieder und immer häufiger auf.

Aktivist*innen, Journalist*innen und die Forschung zu Antifeminismus weisen bereits seit einiger Zeit daraufhin, dass sich transfeindliche Feminist*innen thematisch und personell immer weiter an rechtsalternative und faschistische Diskurse annähern. Gleichzeitig haben sich transfeindliche Diskurslinien aus feministischen Kreisen, etwa um die Bedrohung von Frauenschutzräumen, schon längst bei Akteur*innen wie der AfD oder der queerfeindlichen „Demo für Alle” etabliert.

Auch vergangene Äußerungen von Vollbrecht zeigen, wie nonchalant transfeindliche Feminist*innen mit der AfD liebäugeln. Am 17.Februar hielt Beatrix von Storchs eine transfeindliche Rede im Bundestag, in der sie die Grünen-Abgeordnete Tessa Ganserer verbal angriff. Vollbrecht postet daraufhin folgenden Kommentar: „Das Unding ist nicht das Beatrix im Bundestag lauter wahre Dinge sagt, das Unding ist, dass sie die EINZIGE ist die den pinken Elefant im Raum adressiert und man der AfD dadurch einfach diesen Vernunftsbonus gibt”.

Screenshot von Twitter

Auch das Dossier „Ideologie statt Biologie im ÖRR”, welches im Zusammenhang mit dem Welt-Artikel zur „Frühsexualisierung” veröffentlicht wurde – u.a. von Vollbrecht – wurde von zahlreichen Mitgliedern des umstrittenen „Netzwerk Wissenschaftsfreiheit” unterzeichnet, dessen Twitter–Account ihr auch in den Diskussionen zur Veranstaltung an der HU zur Seite springt und u.a. zu Protesten auffordert. Das Netzwerk setzt sich ein gegen „ideologische Einschränkungen in Forschung und Lehre”, etwa durch „Cancel Culture” oder „Political Correctness” und steht in der Kritik, da zahlreiche Mitglieder durch neurechte und rassistische Positionen auffallen.

Aktuell werden von diversen Akteur*innen des Rechtsaußen-Spektrums Narrative rund um die Gefährdung von cis Frauen und Frauenräume durch trans Menschen zur Stimmungsmache gegen das geplante Selbstbestimmungsgesetz genutzt und bereitwillig von den Medien aufgegriffen.

Medien spielen mit – trans Menschen und Verbände kommen nicht zu Wort

Eine kürzlich von Trans- und Queer-Verbänden gestartete Petition kritisiert das Problem der transfeindlichen Schlagseite in den Medien. Es wurden bisher knapp 4.000 Unterschriften gesammelt. Obwohl mittlerweile über 130 Organisationen und Fachverbände die Forderungen nach ausgewogener und menschenwürdiger Berichterstattung unterstützen, gibt es dazu kaum Berichterstattung, obwohl in diesem Zusammenhang die Perspektiven von trans Personen selbst im Mittelpunkt stehen würden. Transfeindliches Medienframing und die Verbreitung von Desinformationen sind auch in der deutschen Medienlandschaft kein neues Thema.So verbreitet das Magazin von Alice Schwarzer, die Emma, regelmäßig transfeindliche Aussagen und Falschinformationen. Und erst letzte Woche begegneten zahlreich Medien der Veröffentlichung der Eckpunkte zum Selbstbestimmungsgesetz durch die Bundesregierung mit Fragen die erfolgreicher transfeindlicher Mobilisierung und Mythenbildung entspringen.

Was Vollbrecht von der Petition und von trans Menschen und Organisationen hält, die transspezifische Interessen sichtbar machen, zeigt sie auf Twitter, wo sie Screenshots der Kampagnen-Forderungen unter dem Titel „Die Imperiums Sekte schlägt zurück” teilt.

Screenshot eines mittlerweile gelöschten Tweets von Vollbrecht.

Die Erzählungen von einer angeblichen Lobby, von der Infiltrierung von Organisationen durch trans Menschen und von weiteren verschwörungshaft anmutenden Ideen sind mittlerweile weit verbreitet in der transfeindlichen feministischen Szene, in der sich Vollbrecht bewegt.

Altbekannte Strategien

Die Lange Nacht der Wissenschaft (LNDW) – 2022 ausgerechnet unter dem Motto „Wissenschaft als Antwort auf Fake News, Verschwörungstheorien und fatale Irrtümer” – soll Forschung für die breite Öffentlichkeit leichter zugänglich machen. Und ja, Wissenschaft lebt von – kontroversen – Debatten. Doch Vollbrecht forscht nicht zu menschlichen Geschlechtern, sondern über das Verhalten von Fischen. Ihr Vortrag wäre somit nicht etwa die Vorstellung ihrer bisherigen Forschungserkenntnisse gewesen, sondern eine Plattform und quasi „wissenschaftliche Anerkennung” ihres transfeindlichen Aktivismus vonseiten der Universität.

Die Absage kam trotzdem gelegen. Über die medial aufgebauschte Inszenierung der Gefahr der Einschränkung von Wissenschaftsfreiheit durch „linke Chancel Culture” bekam Vollbrecht weitaus mehr Aufmerksamkeit als während der LNDW möglich gewesen wäre. Eine altbekannte Strategie: Man nehme ein menschenfeindliches Thema (Rassismus, Sexismus oder sexualisierte Gewalt, Transfeindlichkeit), das gesellschaftlich polarisiert und positioniere sich im öffentlichen Raum. Gegenstimmen und -proteste melden sich zu Wort. Sobald Gegenrede von offizieller Seite erfolgt, sei es durch eine Institution oder eine einflussreiche Person, wird die Einschränkung der Meinungsfreiheit behauptet. Medien werden auf das Thema aufmerksam und machen es viral. Die Person und ihr Thema bekommen weitaus mehr Aufmerksamkeit als zuvor geplant und Menschen, die zuvor keinen Kontakt zum Thema hatten, werden politisiert. Antifeministisches Agenda-Setting vom Feinsten.

Im vorliegenden Fall ist der Aspekt der „Wissenschaftlichkeit” besonders beachtenswert. Wissenschaft und Forschung, vor allem den Naturwissenschaften, wird ein hohes Maß an Objektivität zugerechnet. Und so gipfelte die Polarisierung zwischen der Inszenierung Vollbrechts als Opfer der „linken Cancel Culture” gegen den fast „dämonisierten meinungsfreiheiteinschränkenden trans Aktivismus” im Statement der Bundesministerin für Bildung und Forschung. „Es darf nicht in der Hand von Aktivisten liegen, welche Positionen gehört werden dürfen und welche nicht […] Wissenschaft lebt von Freiheit und Debatte.“

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Wissenschaft darf vieles. Menschenfeindliche und hasserfüllte Verschwörungserzählungen zu verbreiten, sollte nicht dazu gehören.

Mediale Vormacht, als Fachlichkeit getarnt, schlägt Menschenrechte

Die Rede von Wissenschaftsfreiheit und der diskursive Aufbau eines schlicht nicht existenten Bedrohungszenarios durch „Wokeness”, „Abschaffung von Geschlecht” und „Transideologie” sind längst Instrumente menschenfeindlicher demokratiegefährdender Rhetorik und Politik geworden, die transfeindlichen Feminist*innen wie Vollbrecht gern gemeinsam mit Rechtsaußen-Kämpfer*innen für Wissenschaftsfreiheit und den Schutz traditioneller Werte bedienen und unkritisch in den Medien aufgegriffen werden.

Die direkten Folgen für die Attackierten sind schon längst als tatsächliche Bedrohungen und Gewalterfahrungen spürbar.

 

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