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„Gender Critical“-Bewegung Transfeindliches Framing in den Medien

Eine Trans-Flagge auf dem Pride-March in Genf. Manche Feminist:innen in der sogenannten „Gender Critical“-Bewegung wollen aber trans Menschen ausschließen.
Eine Trans-Flagge auf dem Pride-March in Genf. Manche Feminist:innen in der sogenannten „Gender Critical“-Bewegung wollen aber trans Menschen ausschließen. (Quelle: Delia Giandeini/Unsplash)

CN: sexualisierte Gewalt, transfeindliche Aussagen und Morddrohungen

Ein Text des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Großbritannien hat große Wellen über die Insel hinaus geschlagen: Am 26. Oktober 2021 veröffentlichte die BBC einen Artikel von Caroline Lowbridge, in dem lesbische cis Frauen trans Frauen vorwerfen, sie unter Druck zu Sex zu zwingen. Der Artikel soll vor allem auf anonymisierten Erfahrungen lesbischer cis Frauen basieren, die der sogenannten „Gender Critical“-Bewegung zuzuordnen sind. Einige berichten, von trans Frauen vergewaltigt worden zu sein. Auch prominentere Stimmen zu diesem Thema wurden befragt: In der ersten Fassung enthielt der Artikel Aussagen von Pornodarstellerin Lily Cade, gegen die es im Zuge der #metoo-Bewegung 2017 mehrere Vergewaltigungsvorwürfe gab. Nach dem Öffentlichwerden dieser Vorwürfe veröffentlichte Cade anschließend transfeindliche, misogyne und gewaltvolle Mordfantasien auf ihrem Blog, der mittlerweile nicht mehr online ist. Die BBC hat Cades Zitate im Artikel inzwischen gelöscht. Doch der Text bleibt weiterhin problematisch – und die Kritik aus der Trans-Community wird immer lauter.

Im BBC-Artikel beklagen lesbische cis Frauen einerseits den empfundenen Druck, trans Frauen zu daten und mit ihnen Sex zu haben. Die Ablehnung von trans Frauen als (Sex)Partner:innen verteidigen sie dabei als Datingpräferenz. Einen Ausdruck von Transfeindlichkeit wollen sie darin nicht erkennen, gleichwohl sie im selben Kontext trans Frauen misgendern und grundsätzlich als Männer bezeichnen, die potenziell gewalttätige „Penisträger“ seien. Im Artikel werden ebenfalls Zitate reproduziert, die trans Frauen das Frausein absprechen und biologistische, körper- bis hin zu genitalfixierte Vorstellungen von Geschlecht und Sexualität widerspiegeln. Cade wurde hier unter anderem mit einer Tieranalogie wiedergegeben, die von der BBC inzwischen entfernt wurde: „My sex drive was oriented towards women […] I couldn’t see past the fact that what I was interacting with was male genitalia altered by surgery and not the reproductive organ of a female ape, and I just couldn’t get past that“ (siehe eine archivierte Version des Artikels).

Außerdem kam auch eine lesbische Aktivistin zu Wort, die Mitinitiatorin einer nicht-repräsentativen Online-Umfrage war, die hauptsächlich den Communitykonsens der „Gender Critical“-Bewegung wiedergab: So gaben 56 Prozent der 80 befragten Frauen an, unter Druck gesetzt oder gar gezwungen worden zu sein, trans Frauen als Sexualpartnerinnen zu akzeptieren. Die Aktivistin benutzte dabei Begriffe wie „trans ideology“ oder „transgenderism“.

Gender als Kulturkampf

Die „Gender Critical“-Bewegung hat starke Parallelen zum deutschsprachigen Kampfbegriff „Anti-Genderismus“. Ob mit oder ohne Anti-Logik: Im Kern wird unter diesen Überschriften alles dafür getan, „Gender“ als Ideologie zu verpacken und zurück zur angeblich biologisch vorgeschriebenen, natürlichen „Ordnung“ der beiden Geschlechter zu kommen. Was dabei jeweils mit „Gender“ gemeint ist, ist gar nicht immer so eindeutig. Oft geht es aber um Kritik an der Feststellung, dass Geschlechtsidentität unabhängig von körperlichen Merkmalen und ein wesentlicher Teil sozialer Aushandlungs- und Konstruktionsprozesse ist.

Ganz konkret wird im Zuge dessen die Existenz(berechtigung) von trans und nicht-binären Menschen und die Gesundheitsversorgung von trans und/oder nicht-binären Kindern zur Debatte erklärt. Die Möglichkeit einer selbstbestimmten Änderung des Geschlechtseintrages für trans Personen wird als Gefährdung von Frauenrechten angesehen. Auch innerhalb schwul-lesbisch-bisexueller oder feministischer Communitys vertreten einige diese Meinung. Die Diskussion von Gender als „Ideologie“ zeigt sich meist als ein explosives Gemisch. „Brainwashed by queer theory“, so heißt es von einer weiteren Stimme im BBC-Artikel.

In der misogynen Pillenschachtel können sich damit auch sogenannte TERFs („trans exclusionary radical feminists“, zu Deutsch: Feminist:innen, die trans Menschen ausschließen) befinden, die selektiv Trans-Misogynie anwenden, sich selbst aber als feministisch verstehen. Die vereinfachte Annahme, dass Menschen, die von LGBTIQA-Diskriminierung betroffen sind, selbst nicht innerhalb queerer Communitys diskriminieren, greift an dieser Stelle zu kurz. Die im Artikel zitierte „LGB Alliance“ (explizit nur ein drei-Buchstaben-Akronym, das unter anderem trans Menschen ausschließt) bedient sich zudem an „klassischen“ rhetorischen Methoden, einen Sündenbock zu identifizieren. Mithilfe von Tokenism (eine Art „Alibi“-Minderheitenvertretung) und Whataboutism (Ablenkungstaktik durch Themen-Hopping) wird versucht, die eigene Transfeindlichkeit zu verschleiern.

Eine Vertreterin von der neuseeländischen Gruppe „Speak Up For Women“, die TERF-Positionen vertritt, argumentiert außerdem im BBC-Artikel mit der Sorge um die jüngere lesbische Generation, die sie regelmäßig um Rat bittet: „They tried to do the right thing and they gave them a chance, and realised that they are a lesbian and they didn’t want to be with someone with a male body, and the concept of transphobia and bigotry is used as an emotional weapon, that you can’t leave because otherwise you’re a transphobe“. In antifeministischer Manier wird hier ähnlich dem Konstrukt der „Frühsexualisierung“ oder „Umerziehung“ Sorge bereitet, dass eine sexuelle bzw. geschlechtliche Vielfalt Jugendliche bedrohen könnte. Auch die hegemoniale Deutungshoheit des Lesbisch- und Frauseins wird gekapert, indem andere lesbische Lebensrealitäten wie die von lesbischen trans oder nicht-binären Frauen nicht als lesbisch interpretiert werden.

Die Soldatin Lily Cade

Galionsfigur dieser transfeindlichen Bewegung ist unter anderem die eingangs erwähnte Pornodarstellerin Lily Cade. Um Cade wurden 2017 im Zuge der #metoo-Bewegung mehrere Vergewaltigungsvorwürfe laut, die nun erneut Aufmerksamkeit erlangten. Auf ihren daraufhin veröffentlichen Blogbeiträgen stritt sie diese Vorwürfe nie wirklich ab, verharmloste sie aber als Übergriffe. So sah sie sich in ihren Umständen gefangen und begründete in einer Art Täter:innen-Opfer-Umkehr ihr Verhalten mit den realen Auswirkungen ihrer Rolle als aggressive Pornodarstellerin.

Dabei bedient sich Cade soldatisch hypermaskuliner Ausdrucksweisen, die selbst eine Art internalisierte Misogynie zum Vorschein bringen: „Who else has the balls, the brains, the voice, and the pitiless eyes to fight these mothers? I’m a f*cking soldier“, schrieb sie etwa in einem Beitrag (siehe Newsweek). Gepaart mit der Betonung ihres eigenen angeblichen Zölibats, erinnern die Ausführungen an die von Incels oder andere Männlichkeitskonstrukte der extremen Rechten. Diesen Gedanken unterfüttert sie mit dem Bild des soldatischen Mannes, der Frauen vor den „Pädophilen“, in ihrer Sicht also trans Menschen, schützen solle, während Frauen und Lesben der Mutterrolle zugeordnet werden, die vor allem Töchter beschützen sollen. Auch bezeichnet sie Frauen als schwächeres Geschlecht und kritisiert gleichzeitig „schwache“ Männer, die dann oft auch trans Frauen seien. Nach Cades Logik muss sie also selbst „Mann“ werden, weil alle anderen es nicht mehr schaffen, Frauen und Kinder vor trans Frauen zu schützen.

Bei Cade nimmt dieses Schutzbedürfnis häufig eine gewaltvolle Form an: Wenn es an ihr läge, würde sie „jede einzelne persönlich“ hinrichten, schrieb sie zum Beispiel in Bezug auf trans Menschen. Auch bekannte trans Personen wie die „Matrix“-Filmemacherinnen Lana und Lilly Wachowski sowie die Ex-Kampfsportlerin Fallon Fox wolle Cade „lynchen“.

Die Rolle der Medien

Was Lily Cade auf ihrem Blog verbreitet, ist das eine Problem. Das andere: Dass große reichweitenstarke Medien wie die BBC solchen transfeindlichen Aktivist:innen und Kampagnen eine Plattform geben, ohne trans Personen in der Regel selbst zu Wort kommen zu lassen, und die eigenen journalistischen Inhalte auf menschenfeindliche Inhalte und False Balance hin zu prüfen. Die Autorin Lowbridge behauptet, mehrere bekannte trans Frauen für den Artikel angefragt zu haben, allerdings ohne Erfolg. Chelsea Poe, Pornodarstellerin und Mitarbeitende des feministischen Pornolabels „Trouble Films“, gab in einer Unterhaltung via Twitter jedoch an, dass sie mit der Autorin gesprochen und auf Vergewaltigungsvorwürfe gegen Cade hingewiesen habe, ohne dass dies berücksichtigt oder sie im Artikel zitiert wurde.

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Unabhängig davon, ob Lowbridge den Duktus des BBC-Artikels mit Vorsatz lenkte oder nicht, geht es hier um ein häufig zu beobachtendes transfeindliches mediales Framing, welches durch Urheber:innen in der Regel bewusst eingesetzt wird. Breit rezipiert liefert dieses letztendlich ohnehin transfeindlich eingestellten Menschen und transfeindlich agierenden Akteur:innen Bestätigung und Inhalte zum Weiterverbreiten. Die Darstellung solcher Auseinandersetzungen mit transspezifischen Themen als Debatte mit zwei Seiten ignoriert zudem vollständig, wer in dieser „Debatte“ zu Wort kommen darf (nämlich fast ausschließlich cis Personen) und fechtet auf der „anderen Seite“ grundlegende Rechte oder gar die schlichte Existenzberechtigung von trans Personen an. Auch deutsche Medien übernehmen gern und immer öfter transfeindliche Positionen und diese Art der Darstellung, wie unter anderem zuletzt der Fall der britischen Professorin Kathleen Stock zeigt.

An dieser Stelle soll zudem angemerkt werden, dass es hier nicht darum geht, tatsächlich gewaltvolle und sexualisierte Übergriffe durch trans Menschen zu minimieren und die Erfahrungen von Betroffenen abzusprechen. Sexualisierte Gewalt ist ein massives gesellschaftlich übergreifendes Problem. Gleichzeitig ist zu beobachten, dass das Thema geschlechtsspezifische Gewalt instrumentalisiert und für transfeindliche Argumente und Fake News genutzt wird. Eine inhaltliche Debatte zum gesellschaftlichen Umgang mit sexualisierter Gewalt ist unter diesen Umständen nicht möglich.

Was in Bezug auf die Situation von trans und anderen queeren Menschen einer kritischen Debatte bedarf, sollten sich deutsche Medien und Feminist:innen, die trans Menschen als Bedrohung imaginieren, ohnehin noch einmal fragen. Angesichts des aktuellen „Diskussionsklimas“ und der tatsächlichen Lebensrealität wären das wohl eher das praktisch nicht vorhandene Recht auf geschlechtliche und körperliche Selbstbestimmung, der Schutz vor Gewalt und Diskriminierung und der Umgang mit von Rassismus betroffenen und/oder geflüchteten trans Menschen in Deutschland.

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