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Ukraine-Krieg Mit dem Flixbus zur Front

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Im Gespräch mit einem rechtsextremen Freiwilligenkämpfer aus Deutschland: Das Interview wurde auf der Webseite des „III. Weg“ veröffentlicht, samt Fotos von der Front
Im Gespräch mit einem rechtsextremen Freiwilligenkämpfer aus Deutschland: Das Interview wurde auf der Webseite des „III. Weg“ veröffentlicht, samt Fotos von der Front (Quelle: Screenshot/Der III. Weg)

„Ich bin kein Kriegstourist“, will Stephan im Interview mit der Neonazi-Partei „Der III. Weg“ betonen. Der 36-Jährige aus Solingen sei mit dem Flixbus nach Kyjiw (Kiew) gefahren, jetzt kämpfe er im Donezk gegen Putin. In der Ukraine lege man großen Wert auf die eigene kulturelle Identität, nennt er als Beweggrund im Gespräch, das am 14. Januar auf der Webseite der rechtsextremen Kleinstpartei veröffentlicht wurde. Und als Nationalist stehe er für ein „Europa der Vaterländer“ ein: „Deshalb war es auch für mich klar, dass ich mehr tun möchte als Pakete schicken oder Geld spenden.“ Er sieht es als seine Pflicht, „Putin und seinen Neo-Bolschewismus zu bekämpfen“. Auch will er klarmachen: Er schütze an der Front nicht nur die Ukraine, sondern auch Deutschland.

Nach Russlands Überfall auf die Ukraine im Februar 2022 ist die extreme Rechte gespalten. Ob AfD oder NPD, „Freie Sachsen“ oder „Identitäre Bewegung“, Compact oder Sezession: der prorussische Tenor ist vielerorts Rechtsaußen nicht zu überhören. Andere, wie „Der III. Weg“ und die „Neue Stärke Partei“, liebäugeln mit ukrainischen Neonazis, wie die im berüchtigten Regiment „Asow“. „Der III. Weg“ liest auf Demonstrationen die Namen „gefallener Nationalisten“ aus der Ukraine, will Schutzausrüstung und Kommunikationsmittel an die Front geliefert haben und startete die Kampagne „Nationalisten für Nationalisten“, um Unterkünfte vor allem für geflohene Frauen und Kinder rechtsextremer Kämpfer zu vermitteln.

Seit Kriegsbeginn kokettieren in Telegramgruppen auch einige deutsche Rechtsextreme mit dem Gedanken, selbst in den Krieg zu ziehen. Sie teilen Adressen von vermeintlichen Anlaufstellen oder Telefonnummern von Kontaktpersonen vor Ort. Manche erkundigen sich nach Mitfahrgelegenheiten. In der Ukraine wollen sie sich rechtsextremen Kampfeinheiten wie „Asow“ anschließen. Aber vor allem: Sie wollen Kriegserfahrung sammeln und an der Waffe ausgebildet werden.

In den meisten Fällen bleibt es beim Maulheldentum. Selbst die wenigen Rechtsextremen, die tatsächlich in die Ukraine gereist sind, waren eher mit Insta-Storys oder Blog-Beiträgen beschäftigt als mit Feuergefechten und Frontleben. Auf Anfrage von Belltower.News sagt eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums, dass den Sicherheitsbehörden bislang 38 Ausreisen im Kontext des Krieges in der Ukraine von Personen aus Deutschland mit Bezügen zur politisch motivierten Kriminalität (PMK) bekannt seien, davon 28 aus dem rechten Spektrum. Bei 16 Personen gebe es tatsächliche Anhaltspunkte, dass sie sich an Kampfhandlungen beteiligen wollen, fünf von ihnen haben das offenbar auch getan. „Der überwiegende Teil dieser Personen sympathisiert für die ukrainische Seite“, so die Sprecherin weiter. Aktuell hielten sich aber wahrscheinlich nur noch sechs der ausgereisten Personen in der Ukraine auf.

Einer von ihnen ist offenbar Stephan aus Solingen: Fotos zeigen den Freiwilligen bewaffnet und uniformiert an der Front. Und das Interview mit dem „III. Weg“ verrät einiges über seine Motivation – und über seine Rekrutierung. So erzählt er, dass er zuvor weder in der Bundeswehr gedient, noch Wehrdienst geleistet habe. „Durch Kontakte“ habe er aber bereits in Deutschland die Möglichkeit gehabt, mit verschiedenen Schusswaffen zu schießen. Auch „taktische Trainings“ habe er mehrfach absolviert. Von wem diese organisiert wurden, verrät er nicht – nur, dass alles „außerhalb der Bundeswehr“ sei.

Über einen engen Freund sei Stephan rekrutiert worden: Denis Nikitin, ein russischer Neonazi, der mit seiner Kampfsportmarke „White Rex“ in der internationalen rechtsextremen Szene bestens vernetzt ist. Nikitin, der mit bürgerlichem Namen eigentlich Kapustin heißt, wurde in Moskau geboren und wuchs als Kontingentflüchtling in Köln auf. Seit mehreren Jahren wohnt er in der Ukraine, wo er Verbindungen zu „Asow“ pflegt. So fungiert Nikitin als Bindeglied zwischen deutschen und ukrainischen Rechtsextremen. Seit Kriegsbeginn versucht Nikitin ganz offen, für den Krieg zu mobilisieren: „Für alle Krieger, die gegen roten Abschaum und Neobolschewiken in der Ukraine kämpfen: Willkommen Brüder“, schreibt er etwa im März 2022 in einem Telegram-Beitrag auf Englisch samt Anweisungen für die Anreise.

Auch Stephan sei von Nikitin geholfen worden, heißt es im Gespräch mit dem „III. Weg“. In den ersten Monaten habe er in einem proukrainischen Freiwilligenbataillon für „russische Nationalisten“ gekämpft, das Nikitin gegründet haben soll. Inzwischen sei Stephan aber Teil der regulären ukrainischen Streitkräfte und diene im Infanterie-Bataillon „Karpartska“. Dort erhalte er einen regulären Sold sowie militärischen Schutz und Absicherung, falls er verwundet werde. Der Hauptgrund sei aber, dass er die ukrainische Staatsbürgerschaft erhalten möchte. In der Zwischenzeit sei er außer Gefecht gesetzt worden: Durch eine Explosion Anfang Januar sei sein Bein an mehreren Stellen gebrochen worden. Er werde nun Richtung Westukraine evakuiert, wo er operiert werden soll, heißt es.

Ideologisch spielt auch bei Stephan der Antikommunismus eine wichtige Rolle für seine Kampfbereitschaft: „Ich möchte nicht dabei zusehen, wie man zum zweiten Mal versucht, Europa mit der roten Pest zu verseuchen“, sagt er etwa. Auch „Der III. Weg“ hat in Vergangenheit gewarnt, dass Russland eine Wiederherstellung der Sowjetunion anstrebe. Russland wird als kommunistische Gefahr imaginiert, gegen die Deutschland kämpfen müsse, genau wie die Nationalsozialisten damals. Putins tatsächlicher ultranationalistischer und oligarchenfreundlicher Ideologie zum Trotz. „Für mich ist jeder, der pro Putin ist, kein Nationalist“, so Stephan weiter: „Diese Leute sollten sich die Frage stellen, gegen wen ihre Großväter gekämpft haben?“ Für ihn und andere ausländische Kämpfer zähle deshalb nur „Der III. Weg“ als echte „deutsche Nationalisten“.

Gleichzeitig entlarvt besonders eine Frage des „III. Weg“ die Grenzen der vermeintlichen Solidarität mit der Ukraine: „Was ist deine Position hinsichtlich der mehr als kritikwürdigen Regierung der Ukraine, insbesondere des jüdischen Präsidenten Selenskyj?“, fragt die zutiefst antisemitische Partei. Die Antwort ist eine vorsichtige: Als Angehöriger der ukrainischen Streitkräfte möchte Stephan sich weder zu Selenskyj noch zur Regierung äußern. Der Präsident sei aber auch in rechtsextremen Kreisen respektiert.

Gesprächiger wird Stephan, wenn es um die vermeintlichen Werte der Ukraine geht, die er sich auch für Deutschland wünscht: „Das Schöne hier ist, dass auch die jungen Menschen dieses nationale Erbe in sich tragen und jeden Tag leben“, sagt er zum Beispiel. Er will, dass auch die Deutschen „zurück zu unserer Kultur“ finden: „Dass man stolz darauf ist, wer wir sind und was Deutschland wirklich ausmacht. Und dass man einfach nicht mehr alles zu Tode toleriert.“ Er wünsche sich auch, dass „in allen europäischen Ländern der Nationalismus erwacht“. So zeigt das Interview, dass Rechtsextreme, die gegen den Kreml kämpfen, mitnichten für dieselben Werte der meisten Ukrainer*innen stehen. Der Krieg ist eine ideologische Projektionsfläche für ihren autoritären Nationalismus. Für Selenskyjs Ukraine kämpfen sie nicht.

Besonders gefährlich bleibt, dass deutsche Rechtsextreme im Kontext des Krieges Zugang zu Waffen bekommen und militärisch ausgebildet werden können. „Die Sicherheitsbehörden beobachten Rückkehrer im Rahmen ihres gesetzlichen Auftrags“, heißt es weiter vom Bundesinnenministerium auf Anfrage von Belltower.News. Erkenntnisse zur Ausreise von Rechtsextremen in die Ukraine werde von Bund und Ländern im Gemeinsamen Extremismus- und Terrorismusabwehrzentrum ausgetauscht: „Wenn diese auf Reiseabsichten extremistischer Personen hindeuten, werden unverzüglich Maßnahmen eingeleitet, um mögliche Ausreisen zu verhindern“, sagt die Sprecherin. Maßnahmen wie Fahndungsnotierungen, Ausreiseuntersagungen, Passentzug oder im Einzelfall Meldeauflagen. So konnten bislang aber nur sechs Ausreisen verhindert werden, bestätigt das Bundesinnenministerium. Stephan aus Solingen nicht.

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