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Von Maulheldentum bis Kriegstourismus Deutsche Rechtsextreme in der Ukraine

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In den sozialen Medien behaupten viele Rechtsextreme, in den Krieg ziehen zu wollen. Nur die allerwenigsten fahren tatsächlich ins zerbombte Kriegsgebiet. (Quelle: picture alliance/Associated Press/Efrem Lukatsky)

Auf Telegram rekrutieren deutsche Neonazis für den Krieg: Sie teilen die Adressen von vermeintlichen Anlaufstellen in der Ukraine oder Telefonnummern von Kontaktpersonen vor Ort, wie Belltower.News berichtete. Andere Rechtsextreme fragen in Chats, wie sie sich dem rechtsextremen Freiwilligen-Regiment „Asow“ anschließen können. Manche erkundigen sich nach Mitfahrgelegenheiten. Auch wenn die extreme Rechte in Deutschland seit dem Kriegsausbruch gespalten ist, stößt der Appell vom Präsident Selenskyj an internationale Kämpfer, die Ukraine zu unterstützen, zumindest in Teilen der Szene auf Begeisterung. In den sozialen Medien zeigen sich deutsche Rechtsextreme kriegsbereit und wollen offenbar Kampferfahrung sammeln (siehe Jungle World).

Doch wie viele deutsche Rechtsextreme sind tatsächlich in die Ukraine gereist, um gegen Putin zu kämpfen? Auf Anfrage von Belltower.News sagt ein Sprecher des Bundesinnenministerium (BMI), dass es aus dem rechtsextremen Spektrum Erkenntnisse zu Ausreisen im niedrigen einstelligen Bereich gebe, bei denen tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen, dass die Ausreisenden an Kampfhandlungen teilnehmen wollen. Darüber hinaus liegen Hinweise zu Ausreiseabsichten von zurzeit 27 Personen vor, die sich dem rechtsextremen Spektrum zuordnen lassen. „Aufgrund des gegenwärtigen Konflikts wurden die Bundespolizeidirektionen zu möglichen Reisebewegungen rechtsextremer Personen sensibilisiert“, so der BMI-Sprecher weiter. Ausreisen von Rechtsextremen im niedrigen einstelligen Bereich habe die Behörde bereits verhindern können.

Die Ausreise von deutschen Rechtsextremen hat Nancy Faeser (SPD) bereits letzte Woche auf einer Pressekonferenz thematisiert: Eigentlich wollte die Bundesinnenministerin einen Aktionsplan gegen Rechtsextremismus vorstellen. Doch viele Medienfragen drehten sich um den Krieg: Die Bundesregierung habe die Situation im Blick, es gebe aber nur wenige Rechtsextreme, die ausreisen wollen, erklärte Faeser. „Wenn wir Anhaltspunkte dafür haben, dass sie die Voraussetzungen erfüllen, dass wir Nicht-Ausreise erteilen können, reagieren wir mit Passentzug“, so Faeser weiter.

Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang ergänzte: „Das Ganze ist überwiegend Maulheldentum.“ Das Thema von Ausreisen in die Ukraine werde in rechtsextremen Kreisen im Internet intensiv diskutiert, sagte Haldenwang. Es komme aber praktisch zu keinen Ausreise-Versuchen. „Bisher gibt es lediglich eine Zahl, die man an einer Hand abzählen kann“. Auch bei dieser Handvoll geht seine Behörde nicht davon aus, dass sie an Kampfhandlungen teilgenommen haben. „Man darf das Problem aktuell jedenfalls nicht überschätzen“, so Haldenwang weiter. Er sehe auch keine Anhaltspunkte dafür, dass das Phänomen zahlenmäßig noch weiter anwachsen könnte.

Gleichzeitig räumte BKA-Präsident Holger Münch ein, dass die Grenzkontrolle lückenhaft sei. Denn schließlich gehört auch Polen, das eine Grenze mit der Ukraine teilt, zum Schengen-Raum. So könnten auch Rechtsextreme privat bis an die ukrainische Grenze reisen. „Das muss uns klar sein: Wir haben keine vollständigen Grenzkontrollen“, sagt Münch. Die Bundespolizei sei aber im Grenzraum unterwegs und kontrolliert Autos. Relevante Personen aus dem rechtsextremen Spektrum bekämen im Fahndungssystem einen Vermerk, dass die Bundespolizei sie bei der Ausreise kontrollieren soll, um dies zu verhindern – „was auch schon passiert ist“, so Münch.

Kampfsport und Kriegstagebücher

In Instagram-Stories tritt der rechtsextreme Kampfsportler Tom Neubert mit Armee-Ausrüstung auf und gibt an, in der Ukraine gewesen zu sein (Quelle: Instagram-Screenshot/Belltower.News-Collage)

Doch zumindest drei mutmaßliche Ausreisen von deutschen Rechtsextremen in die Ukraine sind Belltower.News bereits bekannt: Auf Instagram posiert der rechtsextreme Kampfsportler Tom Neubert bewaffnet in Uniform und behauptet, in der Ukraine gewesen zu sein. Dazu teilt er Fotos von zerbombten Wohnblöcke in Kyjiw. Neubert bestreitet, noch Teil der rechtsextremen Szene zu sein – was allerdings im Hinblick auf die vielen Verbindungen ins rechtextreme Milieu in Dortmund und darüber hinaus fragwürdig erscheint. Neubert, der bereits beim rechtsextremen Fight-Event „Kampf der Nibelungen“ oder an der schwedischen Tournee „King of the Streets“ teilgenommen hat, kennt bereits den russischen Neonazi und Kampfsport-Veranstalter Dennis Nikitin (mit bürgerlichem Namen: Kapustin): Neubert hat im Mai 2019 auf Nikitins Kampfsportgala „F1ght K1ngs“ in der ukrainischen Hauptstadt gekämpft. Der „Asow“-nahe Nikitin rekrutiert derzeit internationale Rechtsextreme auf Telegram für den Kampf in der Ukraine gegen Russland. Neubert gibt allerdings an, „aus ganz persönlichen“ Gründen inzwischen wieder nach Deutschland gereist zu sein.

Auch ein anonymer Autor des „neurechten“ Verlags „Jungeuropa“ gibt in einem Online-Blog an, in die Ukraine gereist zu sein. Auf der Verlagswebseite führt er ein „Ukraine-Tagebuch“. Darin behauptet er, mit einem befreundeten Autor unterwegs zu sein. Bei „Jungeuropa”  ist 2020  „Natiokratie“ von Mykola Sziborskyj erschienen, das „Manifest des ukrainischen Nationalismus“. Sziborskyj war eine Führungsfigur der nationalistischen „Organisation Ukrainischer Nationalisten“ (OUN), die für die Unabhängigkeit der Ukraine einstand. Die Fraktion der OUN, zu der Sziborskyjsich zählte, kämpfte im Zweiten Weltkrieg auf Seiten der Waffen-SS. Das Vorwort lieferte Mykola Krawtschenko, Mitglied des rechtsextremen „Asow“-Regiments. Am 16. März gab der Verlag bekannt, dass Krawtschenko durch eine russische Rakete getötet wurde.

Der namenlose Rechtsaußen-Publizist, der für den Verlag vor Ort ist, zeigt sich vorsichtig: Mit den „Damen und Herren von Polizei und Geheimdiensten“ habe er in Vergangenheit schon genügend Erfahrungen gemacht, heißt es etwa. „Daher gehe ich lieber auf Nummer sicher und halte die Pläne so geheim wie möglich; auch den Flugmodus meines Telefons würde ich erst nach dem Verlassen des deutschen Hoheitsgebietes deaktivieren.“

Ein Autor des „neurechten“ Verlags „Jungeuropa“ führt auf der Webseite ein Kriegstagebuch aus der Ukraine (Quelle: Screenshot)

Sein Kontakt in der Ukraine, ein Mann, den er im Tagebuch „Svat“ nennt, gehört oder zumindest gehörte offenbar dem rechtsextremen „Regiment Asow“ an. Er behauptet auch, mit dem „Asow“-Kämpfer Serhiy Korotkyh alias „Botsman“ sowie „Rodion“ Interviews geführt zu haben. Auch seinen Freund „Andrij“, der ein Anführer der Dynamo Kyjiv Hooligan-Gruppe sein soll, habe er getroffen. Seine vielen Fotos von „Asow“-Kämpfern und der ukrainischen Hauptstadt lassen seine Angaben glaubwürdig erscheinen. Der namenlose „Jungeuropa“-Autor kämpft nicht – oder zumindest noch nicht. „Ein Wort von mir und auch ich würde ein Sturmgewehr in die Hand gedrückt bekommen“, schreibt er. „Aber ich bin hier, um zu berichten.“

Andere deutsche Rechtsextreme waren weniger erfolgreich: Die Kader von der „Neuen Stärke Partei“ fuhren bis zur polnisch-ukrainischen Grenze, nach eigenen Angaben mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln, doch offenbar auch mit dem Ziel, dem „ukrainische(n) Volk…(zu) helfen, auf allen erdenklichen Wegen“. Die Mission war ein Flop: In einem „Fazit“ auf YouTube zeigt sich der Bundesvorsitzender der Partei Bryan Kahnes enttäuscht: Da sie keine Zeit hatten, Reisepässe zu besorgen, durften sie nicht in die Ukraine einreisen. „Wir hatten noch die Hoffnung, dass, wenn wir vor Ort sind und die Situation weiter eskaliert, man sich vielleicht erkenntlich zeigt und sagt gut, deutsche Staatsbürger mit Personalausweis, vielleicht kommen wir so rein“, so Kahnes.

Kriegsverbrechen verboten

Wie viele anderen Fälle von deutschen Rechtsextremen in der Ukraine es gibt, ist schwer zu überprüfen. Auf Anfrage von Belltower.News sagt die ukrainische Recherchegruppe „Marker“, die die extreme Rechte im Land beobachtet und von der Rosa-Luxemburg-Stiftung gefördert wird: „Wir haben keine Informationen über die Beteiligung von deutschen Rechtsextremen am Krieg. Höchstwahrscheinlich sind einige von ihnen dort, aber sie nehmen am Krieg auf individueller Basis teil, ohne eigene Einheiten zu bilden. Es gibt allerdings weniger Information als 2014“. Das „Asow“-Regiment hat „Marker“ zufolge aktuell kein internationales Bataillon, doch eine belarussische Kompanie sei inzwischen etabliert worden – was die „Asow“-Partei „Nationalkorps“ in einem Telegram-Beitrag bestätigt.

Aufgrund des Krieges habe „Marker“ allerdings weitestgehend ihre Arbeit einstellen müssen, so der Sprecher. Die Rechtsextremismus-Forscher:innen betonen: „Die Ukraine benötigt keine ‚Entnazifizierung von außen‘. Und die russische Aggression wird nur zu der Verstärkung ultrarechter Gruppen und der Normalisierung ihrer Aktivitäten und Agenda in der Ukraine führen“.

Juristisch gibt es durchaus Spielraum, um die Ausreise von deutschen Rechtsextremen zu verhindern: Die Polizei kann zum Beispiel die Ausreise von deutschen Staatsangehörigen unterbinden, wenn sie „erhebliche“ Handlungen im Ausland planen, die die auswärtigen Beziehungen oder das internationale Ansehen der Bundesrepublik schädigten. Gleichzeitig ist es grundsätzlich nicht illegal für deutsche Staatsbürger:innen, im Ukraine-Krieg zu kämpfen. In Deutschland wird nur das Anwerben eines Deutschen zum Militärdienst sowie das Zuführen zu einer fremden Streitkraft bestraft. Allerdings müssen Deutsche für staatliche Streitkräfte kämpfen, nicht privat, als Söldner oder für nicht-staatliche Bataillons. Sie dürfen auch nicht Kriegsverbrechen begehen. In der ersten Kriegswoche sollen sich insgesamt rund 500 Deutsche für den freiwilligen Kampfeinsatz gemeldet haben, die meisten davon Ukrainer oder Menschen mit deutsch-ukrainischen Hintergrund.

Alarm aus der Opposition

Auch wenn die Zahl der in die Ukraine gereisten deutschen Rechtsextremen noch gering ist, ist die Linken-Bundestagsabgeordnete Martina Renner alarmiert. Die Fraktionssprecherin für Innenpolitik und antifaschistische Politik sagt Belltower.News: „Die größte Gefahr sehe ich darin, dass gewaltaffine Neonazis mit einer Ausbildung und Kampferfahrung an Kriegswaffen in die Bundesrepublik zurückkehren.“ Renner erinnert daran, dass sich auch heute noch große Probleme für die innere Sicherheit aus den „Altlasten“ der „Balkan-Kriege“ ergeben. „Immer wieder tauchen Waffen in islamistischen und neonazistischen Kontexten auf, deren Spuren sich dorthin zurückführen lassen. Wir haben hier leider die Erfahrung gemacht, dass diese Waffen bei Terroranschlägen in Europa eingesetzt wurden.“

Die Bundesanwaltschaft und das BKA fordert Renner dazu auf, sich im Hinblick auf den Krieg in der Ukraine entsprechend vorzubereiten. Auch eine mangelnde Strategie der Bundesregierung in Bezug auf die Ausreise von deutschen Rechtsextremen kritisiert Renner. „Ausreisen müssen verhindert werden“, sagt sie. „Perspektivisch wäre es gut, ein Strukturermittlungsverfahren zu eröffnen, um vorhandene Informationen zu den Tätigkeiten deutscher Neonazis in der Ukraine zeitnah zu erfassen.“

Im Fall einer Rückkehr von deutschen Rechtsextremen wieder nach Deutschland sollen die zuständigen Sicherheitsbehörden „die Gefahrenabwehrmaßnahmen im Rahmen der Notwendigkeit und Verhältnismäßigkeit“ treffen, heißt es vom Bundesinnenministerium auf Anfrage von Belltower.News. „Die Bundesregierung steht dazu mit den Ländern in stetigem engen Austausch“, so der BMI-Sprecher. Wie effektiv diese Strategie in der Praxis sein wird, wird sich noch zeigen müssen.

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