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Verfahren eingestellt Sven Liebichs Angriff auf Journalisten bleibt ungeahndet

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Sven Liebich 2019 auf einer rechtsextremen Demonstration in Berlin (Quelle: Kira Ayyadi)

Am 16. Januar 2023 musste sich der bekannte Neonazi Sven Liebich im Amtsgericht Tiergarten einfinden. Es ging um Beleidigung. Mit angeklagt ist Florian D., ein enger Wegbegleiter Liebichs. Nach einem kurzen Gespräch samt Anwältin mit der Richterin, wird das Verfahren gegen beide Beschuldigte vorläufig eingestellt.

Worum geht es? Knapp zweieinhalb Jahre zuvor, am 4. Juni 2020, wurde am Landgericht Berlin über einen Widerspruch gegen eine gegen die „L&H-shirzshop GmbH“ erlassene einstweilige Verfügung verhandelt. Liebich vertrat damals seine Schwester S., die damalige Geschäftsführerin. In dem Streitfall ging es um ein Bild der ehemaligen Vorsitzenden der Amadeu Antonio Stiftung, Anetta Kahane, dass Liebich kombiniert mit einer falschen Tatsachenbehauptung in dem von ihm gegründeten Shop vertrieb.

Bereits Tage vor Prozessbeginn mobilisierte Liebich vor allem in seiner Telegram-Gruppe Anhänger*innen, den Prozess zu besuchen. Es kamen tatsächlich rund 20, teils gewaltbereite Liebich-Fans. Der Rechtsaußen-Aktivist und seine Fans griffen anwesende Pressevertreter*innen vor und im Gerichtsgebäude an und behinderten sie daran, ihrer Arbeit nachzugehen. Besonders der Journalist Arndt Ginzel und sein Kameramann Gerald Gerber, die für einen ZDF-Dreh vor Ort waren, wurden angegangen.

Wiederholt schlugen die rechtsextremen Anhänger*innen gegen die Kamera und versuchten Kabel herauszuziehen. Auch der Sohn des nun mitangeklagten Florian D. (damals laut Liebich erst elf Jahre alt), beteiligte sich vehement an den Angriffen. Auf Videos von Sven Liebich, der vor dem Gerichtsgebäude einen Livestream machte, und auf Aufnahmen des freien Journalisten Henrik Merker, ist zu sehen, wie die rechten Fans immer wieder in die Kamera griffen. Auch ein Justizbeamter drückte die Kamera nach unten und behinderte das ZDF-Team so am Dreh.

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Der Angriff hatte ein mediales Echo zur Folge. Die Berliner Justizverwaltung wolle den Angriff auf die Pressevertreter*innen und das Behindern ihrer Arbeit aufklären, hieß es damals. „Die Pressefreiheit muss geschützt und gewahrt werden. Selbstverständlich ist in unseren Gerichten und um unsere Gerichte eine freie Presseberichterstattung zu gewährleisten“, sagte der damalige Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) am Tag nach den Übergriffen. Er sei froh, dass das Landgericht den Vorfall aufklären wolle. Thomas Heymann, Sprecher der Berliner Zivilgerichte sagte: „Wir nehmen den Vorgang sehr ernst, die Aufklärung dauert noch an. Die Pressefreiheit ist für die Demokratie wesentlich und muss von der Justiz geschützt werden.“

Knapp zweieinhalb Jahre später stehen schließlich Liebich und sein Kamerad Florian D. vor Gericht. Sie müssen sich wegen Beleidigung verantworten. Doch obwohl Justiz und Politik kurz nach dem Übergriff noch großspurig betonten, dass man die Presse schützen müsse und man um Aufklärung bemüht sei – wurde das Verfahren gegen Liebich und Florian D. nun sang- und klanglos (vorläufig) eingestellt. Die Richterin begründete die Einstellung des Verfahrens am Montagmittag damit, dass beide wegen anderer Delikte bereits verurteilt seien.

Langes Vorstrafenregister, milde Strafen

Das Landgericht Halle verurteile Liebich im Oktober 2022 auch in zweiter Instanz zu einer Bewährungsstrafe. Es sprach ihn der Verleumdung gegen Personen des politischen Lebens, der Volksverhetzung und der Beschimpfung von religiösen Bekenntnissen für schuldig. Es ging dabei hauptsächlich um verleumderische Lügen auf Social Media über die Grünenpolitikerin Renate Künast. Die Politikerin hatte 2020 wegen Liebichs Äußerungen von Facebook Auskunft über Nutzer verlangt, die herabsetzende Kommentare über sie veröffentlichten, und im Rahmen einer Verfassungsbeschwerde recht bekommen. Politiker müssten sich auch in einer öffentlichen Debatte eine auf die Person abzielende öffentliche Verächtlichmachung oder Hetze nicht gefallen lassen, entschied das Bundesverfassungsgericht. Das Landgericht Halle bestätigte im Oktober weitestgehend ein Urteil des Amtsgerichts Halle. Dieses hatte Liebich im September 2020 in erster Instanz zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von elf Monaten, ausgesetzt zur Bewährung verurteilt. Dagegen hatte er Berufung eingelegt.

Für das Bundesamt für Verfassungsschutz zählte Sven Liebich im Jahr 2000 zu den regionalen Führungsfiguren des im selben Jahr durch das Innenministerium verbotenen Neonazi-Netzwerks „Blood & Honour Deutschland“. Er ist also eine Person mit einer langen Kariere in der Neonazi-Szene. Der aktuelle Verfassungsschutzbericht (2021) aus Sachsen-Anhalt widmet Liebich gleich fünf Seiten im Phänomenbereich Rechtsextremismus.

Die rechtsextreme Szene in Halle sei weiterhin von seinem intensiven Versammlungsgeschehen geprägt. „Seine ideologische Nähe zum Nationalsozialismus spiegelt sich in den von ihm verwendeten Symboliken und Stilelementen wider“, schreibt der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt.

Am 21. April 2021 (einen Tag nach dem Geburtsdatum von Adolf Hitler) posierte Sven Liebich am Rande einer „Querdenken“-Demonstration am Holocaustmahnmal mit einer Ausgabe des Tagebuchs der Anne Frank und trug dabei einen Pullover mit einem sogenannten NS-„Judenstern“ und der Aufschrift „Ungeimpfte sind hier unerwünscht“. Im November 2022 wurde er in Berlin vom Vorwurf der Volksverhetzung freigesprochen.

Und auch an diesem Montag verließ Liebich den Gerichtssaal mit einem Lächeln im Gesicht.

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