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Warum stehen Nazis eigentlich auf Wikinger?

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Die perfekte "Ahnenreihe" für Neonazis auf einem Plattencover der Band "No Remorse": Skinhead, Nazi-Soldat, Wikinger (Quelle: Screenshot)

Ob Germanen, Wikinger ? egal. In der rechtsextremen Szene werden da keine großen Unterschiede gemacht. Hauptsache blond, brutal und lange her; so könnte der Wikinger- beziehungsweise Germanenkult der Nazis vereinfacht zusammengefasst werden. Sicherlich könnten viele Menschen nicht genau bestimmen, wer wann, warum und warum nicht als Wikinger oder Germane bezeichnet wird. Doch von Anhängern einer Ideologie, in der die Huldigung und die scheinbare Abstammung von einer ?überlegenen Rasse? einen solch hohen Stellenwert hat, sollte mehr erwartet werden können. Denn ob Rituale, Runen, Kleidung oder Musik – die Motive tauchen in allen Spektren der Neonazi-Szene auf.

?Blut und Boden?

Selbst bei Rechtsextremen, die für die alten NS-Zeiten nur ein müdes Lächeln übrig haben, stehen Wikinger und Germanen hoch im Kurs. Sie dienen der ?Identitätsproduktion, die für die gesamte rechte Szene einen enorm wichtigen Faktor darstellt?, so der Sozialpädagoge Jan Raabe. Als Experte für rechtsextreme Musik hat er sich intensiv mit dem Germanenkult bei Nazis auseinandergesetzt.
Der Kult ist eine Konstante, die zur Ideologie fest dazu gehört. Er ist so bedeutend, da Rechtsextreme einerseits die den Germanen nachgesagten Charakterzüge als die besten und wichtigsten hochloben. Da stellen sie sich selbst gleich dazu, indem sie sich ?eine Ahnenreihe basteln?, formuliert es Raabe.

Die Darstellungen der Germanen durch die rechtsextreme Szene sind popularisierend. Gewalttätigkeit, Raub und Kampf werden positiv umgedeutet zu Stärke, Gerechtigkeit und Überlegenheit. ?Geschichtlich und wissenschaftlich ist das natürlich Quatsch?, so Raabe Moral und Tugend der ?Nordmänner? werden auch in der Nazi-Szene hoch angesehen. Ins hehre Bild passt nicht, dass raubende Wikinger teilweise sogar von ihren eigenen Stämmen als Verbrecher bekämpft wurden. Doch Quellenkritik sei sinnlos, so Raabe: ?Es wird nur herausgegriffen, was passt, wie der vermeidliche Charakter und die Herkunft?, sagt der Experte.

Der ?originale Germanische Glaube? ? was immer das heißt

?Wir sind der Auffassung, dass wir an die eigenständige Religionsentwicklung unserer Vorfahren – frei von fremder Missionierung – anknüpfen müssen.?, heißt es auf der Seite der ?Nordischen Zeitung ? Stimme des Artglaubens?. Verfasser ist der stellvertretende NPD-Vorsitzende Jürgen Rieger. Er erklärt dort die Grundlagen, nach denen sich heutige Anhänger und Anhängerinnen richten sollen. Denn so einfach sei es nicht, bei all den Wandlungen in der germanischen Vorzeit, die ursprünglichen religiösen Ansichten herauszufiltern.

Seit 1989 ist Rieger Vorstand der ?Artgemeinschaft Germanische Glaubens-Gemeinschaft wesensgemäßer Lebensgestaltung? (GGG). Die Gemeinschaft ist sogar ein eingetragener Verein, in Berlin Charlottenburg. Mit dem NPD-Anwalt Rieger an der Spitze werden Sonnwendfeste gefeiert und Julfeste statt Weihnachten. Die Mitglieder treffen sich, um ?germanische Bräuche? aufrecht zu erhalten. Laut Raabe ist das enorm wichtig für die Stabilisierung der Kader, obwohl nur ein verhältnismäßig kleiner Teil der Rechtsextremen regelmäßig und aktiv ihr ideologisch verbogenes Heidentum pflegt.

Spuren in der Musik

Auch Neonazi-Bands lieben es, die Heldentaten Odins oder Wotans zu besingen. Eine Rechtsrockband wählte ?Sleipnir?, das achtbeinige Pferd Odins, gar als Bandnamen. Die rechtsextreme Band ?No Remorse? singt im Song ?Bonded by blood? (?Durch Blut verbunden?) die Zeile ?Sind wir auch getrennt durch Land und See – unsere rassische Oberherrschaft verbindet uns?. Das ist nur ein kleiner Auszug aus einem großen Repertoire von rechtsextremer Hetze.

World wide Vikings

Ob ?Wikinger-? oder ?Asgardversand? ? im Netz sorgen zahlreiche Anbieter für die Grundversorgung neonazistischer Germanenfreunde und -freundinnen. Es können Thors Hammer als Kettenanhänger und Wikingerfiguren als Staubfänger erstanden werden. In der Tat harmlos, Keltenschmuck ist auch im Mainstream beliebt.

Doch ein paar Klicks weiter erscheinen Angebote für Sportshirts mit Triskele und Reichsadler darauf. Sicher, die Triskele ist ohne eindeutigen Zusammenhang mit der verbotenen Organisation ?Weiße Jugend? nicht strafbar. Fakt ist aber auch, dass sie von der SS verwendet wurde und heute noch vom Ku-Klux-Klan verwendet wird.

Nicht nur beim Online-Versand sind Spuren des Germanenkults zu finden. Auf der Newsgroupseite ?derkeiler? regen seltsam in Reihe geschaltete Anzeigen zum Stirnrunzeln an: ?Germanische Tattoos Odin?, daneben verspricht ?Afrikanischer Tanz Berlin? viel Spaß und Power, dann ein Link zu einer Herkunftsanalyse, ob man germanische Wurzeln habe. Darunter preist ein User mit nicht wenig Stolz seine ?germanische Musik? an. Ein Auszug:
?Ich produziere Germanische Musik, Musik, die unsere Vorfahren gesungen haben, bevor sie Römer ungespitzt in den Boden stampften.
Wir sind ja schliesslich [sic!] Germanen und bei Wotan, wer will schon
Buschmusik hören, so daß [sic!] die Walküren kotzen??

Nur die „Autonomen Nationalisten“ spielen nicht mit

Eine Ausnahme auch bei der Germanenbegeisterung sind die ?Autonomen Nationalisten?. Diese relativ neue Strömung mit überwiegend sehr jungen Anhängern und Anhängerinnen bildet sich über Tradition generell eine eigene Meinung. Für sie sind die Germanen nicht mehr von so großer Bedeutung. Vielleicht könnte es so in ein paar Jahren auch zu einem Bedeutungsverlust der Germanen für die extreme Rechte kommen.

Hilfe, ich mag Runen ? bin ich ein Nazi?

Nein, so einfach ist das nicht. Wer Interesse an germanischer Geschichte und Spaß an entsprechenden Rollenspielen im Internet hat, ist genausowenig ein Nazi wie Freunde des Honigmets oder der durchschnittliche Mittelaltermarkt-Besucher.

Es gibt einen entscheidenden Unterschied zwischen romantisch verklärter Freizeitgestaltung und einer rechtsextremen Einstellung. Letzteres beinhaltet einen ernsthaften Glauben an das Prinzip von Rassen und die nachweisbare Abstammung der heutigen eigenen ?arischen? Rasse von den Germanischen Stämmen, das ?Blut und Boden?-Prinzip. Dazu kommt, dass mit der imaginierte Verbindung zu starken, heroisierten ?Vorfahren? eine Abwertung aller anderen Menschen einhergeht – die Angehörigen dieser Ahnenlinie seien allen anderen vorangestellt. Im Endeffekt dient der Nazi-Germanenkult also dazu, den ausgelebten Rassismus der Szene argumentativ zu unterfüttern ? falls ein Nazi-Interessent mit Hirn doch einmal hinterfragt, warum er eigentlich Menschen Gewalt antun soll, die ihm selbst nichts getan haben.

P.S. Übrigens sind die Wikinger historisch Angehörige germanischer Völker des skandinavischen Seeraums in der so genannten Wikingerzeit (ca. 793-1066 n.Chr.). „Wiking“ ist der Begriff für eine Raubfahrt, auf die Normannen bisweilen gingen.

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