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Hilfe Wie können wir Opfer rechter Gewalt unterstützen?

Unterstützung für Opfer rechter und rassistischer Angriffe kann ganz unterschiedliche Formen annehmen. Für die Betroffenen sind sie oft (überlebens-)notwendig, um die Folgen der Gewalttat bewältigen zu können.

 
(Quelle: pixabay.com / ShonEjai)

Hilfe nach rassistischem Brandanschlag

Vier Mal innerhalb von zwei Jahren wurde der Dönerstand von Mehmet Çimenda in der brandenburgischen Kleinstadt Rheinsberg Ziel von rassistisch motivierten Brandanschlägen. Um ihre Unterstützung für den Besitzer und ihren Protest gegen Neonazis öffentlich zu zeigen, kamen rund 100 Rheinsberger und Rheinsberger Bürgerinnen zur Wiedereröffnung des Imbisses. In einem offenen Brief hatte Rheinsbergs Bürgermeister zuvor den Imbissbetreiber gebeten, in Rheinsberg zu bleiben. Stadt, Bürger und der Verein Opferperspektive sowie die Ausländerbeauftragte des Landes Brandenburg sammelten insgesamt 16.803 Euro Spenden, damit der Imbiss neu öffnen konnte. Das überzeugte Mehmet Çimenda?, sich nicht vertreiben zu lassen und einen Neuanfang zu wagen.

Unterstützung beim Umzug

Bei einem Heimatfest in Zerbst (Sachsen-Anhalt) im Sommer 2005 verlor der damals 16-jährige Punk Rico R. ein Auge, als er von einem vorbestraften Rechtsextremisten mit einer Bierflasche angegriffen wurde. Dem Neonazi hatte Rico?s T-Shirt mit dem Aufdruck „Gegen Nazis“ nicht gefallen. Nach dem Angriff konnte sich Rico R. nicht vorstellen, weiter in Zerbst zu leben. Zu groß war die Angst vor einer neuen Gewalttat. 3.800 Euro spendeten Menschen aus ganz Deutschland, um ihm und seiner Familie einen Umzug zu ermöglichen.

Hilfe im Alltag

Im Dezember 2007 berichtete Frank Jansen, Reporter des Tagesspiegel, über das mühevolle Leben des italienischen Bauarbeiters Orazio Giamblanco und seiner Bielefelder Familie. Orazio Giamblanco war im September 1996 von zwei Neonazis in der brandenburgischen Ortschaft Trebbin angegriffen und schwer verletzt worden. Er überlebte ? mit Lähmungen, Sprachstörungen und Depressionen. Gesund wird er nie mehr werden. Seine Lebensgefährtin und ihre erwachsene Tochter haben ihre Arbeit aufgegeben, um ihn zu pflegen. Leser des Tagesspiegels spendeten über 11.000 Euro, um der Familie zu helfen.

Freiräume für Opfer

„Auf die Plätze“ hieß die öffentliche Aktion, mit der das Nordharzer Städtetheater und Einzelpersonen, Initiativen und die Kommune in Halberstadt auf einen Angriff von Rechtsextremisten auf Mitglieder eines Theaterensembles im Sommer 2007 reagierten. Das Ziel: Die von Neonazis besetzten öffentlichen Plätze zurück zu erobern und Freiräume für potenzielle Opfer rechtsextremer Bedrohung und Gewalt zu schaffen.

Professionelle Beratung

In allen Bundesländern finden Opfer rechtsextremer, rassistischer und antisemitischer Gewalt professionelle Beratung und Unterstützung bei eigens durch den Bund und die Länder finanzierten Projekten. Sie beraten Opfer, deren Freund*innen und Angehörige sowie Zeug*innen. Die Beratung ist kostenlos, vertraulich und parteilich. Die Berater*innen kommen an einen Ort, den der oder die Betroffene selbst wählen kann.

Beim Erstberatungsgespräch nach einer rechten Gewalttat werden die drängendsten Fragen besprochen. Zum Beispiel: Wie kann man eine Anzeige gegen den oder die Angreifer stellen? Welche Konsequenzen kann das haben? Wie verläuft ein Strafverfahren weiter, wenn schon Anzeige erstattet wurde?

Begleitung zur Polizei und vor Gericht

Auf Wunsch begleiten die Berater*innen Opfer rechtsextremer Gewalt zur Anzeigenaufnahme oder zur Zeugenvernehmung bei Polizei und Staatsanwaltschaft. Sie organisieren Dolmetscher und informieren über die Möglichkeit nach einer Gewalttat als Nebenkläger in einem Strafverfahren vertreten zu sein. Kommt es zu einem Gerichtsverfahren gegen den oder die mutmaßlichen Täter, bereiten die Berater die Betroffenen auf die Situation vor Gericht vor. Auf Wunsch begleiten sie die Betroffenen zum Prozess und stellen Öffentlichkeit für das Gerichtsverfahren her.

Neben Fragen nach rechtlichen Schritten sind es oft Probleme des unmittelbaren Alltags, in denen sich Betroffene rechtsextremer Gewalt Begleitung und Unterstützung wünschen: beispielsweise beim Arztbesuch, bei der Suche nach professioneller (psycho-)therapeutischer Hilfe, bei Verhandlungen mit der Ausländerbehörde oder mit Vermietern.

Materielle Hilfen in Ost und West

Die Erfahrung zeigt: Auch wenn die Täter nach einem Angriff verurteilt wurden und die Betroffenen zivilrechtliche Ansprüche auf Schadensersatz und Schmerzensgeld haben, zahlen Neonazis und rassistische Schläger nur selten.

Aufgrund dieser Erfahrungen hat das Bundesamt für Justiz einen eigenen „Fonds zur Entschädigung von Opfern rechtsextremistischer Übergriffe“ aufgelegt. Die Antragsformulare können auf der Website des Bundesamtes herunter geladen werden. Das Bundesamt prüft dann, ob es eine so genannte Billigkeitsentschädigung zusprechen kann. Wichtige Voraussetzungen hierfür sind, dass die Gewalttat einen politisch rechts motivierten Hintergrund hatte und es ein polizeiliches Ermittlungsverfahren gibt.

Der Deutsche Anwaltsverein hat die „DAV Stiftung contra Rechtsextremismus und Gewalt“ gegründet, damit den Betroffenen unbürokratisch Hilfe durch anwaltlichen Rat zu teil werden kann. Die Stiftung gewährt einen Zuschuss für Anwaltskosten von Opfern rechter Gewalt.

Der Opferfonds Cura bei der Amadeu Antonio Stiftung bietet Unterstützung für alle Opfer rechter Gewalt.

Die bundesweite Organisation „Weißer Ring“ vergibt bei Bedarf so genannte Beratungsschecks zur Deckung der Kosten eines ersten anwaltlichen Beratungsgesprächs und gewährt auf Antrag weitere finanzielle Hilfen.

Hilfe bei zivilrechtlichen Klagen

Wer Opfer vom Hass, Abwertung, Beleidigung, Verleumdung im Internet wird, kann oft eine zivilrechtliche Klage gegen den oder die Verfasser*in vorgehen – das machen aber nur wenige, da die Prozesse aufwendig und teuer sind. Hier setzt die Organisation „Hate Aid“ an: Sie unterstützt Opfer bei der Rechtsdurchsetzung, dafür fließen erstrittene Schmerzensgelder an den Verein, um weitere Klagen zu ermöglichen. Hier geht es darum, ein Zeichen zu setzen, dass das Internet kein rechtsfreier Raum ist, um damit weiteren Online-Hass-Angriffen vorzubeugen.

Zum Thema

| Beratungsstellen für Opfer rechtsextremer und rassistischer Gewalt

| Was tun nach einem rechtsextremen Angriff?

Weblinks

| Bundesjustizamt

| Opferfonds Cura der Amadeu Antonio Stiftung

| Deutscher Anwaltverein

| Weisser Ring

| Hate Aid – Wir helfen, wenn Sie Gewalt im Netz erfahren

 

Zuletzt aktualisiert am 25.11.2019

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