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Wöller wird entlassen Chronik des sächsischen Polizeiproblems

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Fünf Einzelfälle? Symbolbild: Sächsische Polizei
Fünf Einzelfälle? Symbolbild: Sächsische Polizei (Quelle: Yohann LIBOT/Unsplash)

Der CDU-Politiker Roland Wöller wird als Innenminister von Sachsen entlassen. Das bestätigten Regierungskreise den Nachrichtenagenturen dpa und AFP. Wöller, seit 2017 im Amt als Innenminister, steht seit längerem wegen strittiger Personalentscheidungen unter Druck, der Vorwurf der Vetternwirtschaft steht im Raum. Kritik gibt es aber auch immer wieder gegen den sächsischen Polizeiapparat. Der fällt regelmäßig mit rechtsextremen und rassistischen Skandalen auf und schafft es so immer wieder überregional in die Presse.

Viele Studien zeigen, wie wichtig das Verhalten politischer Eliten und den Staat repräsentierender Organe wie der Polizei für die gesellschaftliche Stimmung im Land ist. Das lässt ahnen, wie groß das Problem der Akzeptanz demokratiefeindlicher Aktivitäten in Sachsen eigentlich ist.

Hier eine – unvollständige – Auflistung rechter Polizeiskandale unter Wöller:

April 2022: Martialisches Aufnahmeritual beim MEK

Auf Veranlassung der Generalstaatsanwaltschaft Dresden fanden am 13. April 2022 Durchsuchungen bei 23 Polizeibeamt:innen statt. Der Vorwurf gegen die 25 Beschuldigten, die Angehörige des Mobilen Einsatzkommandos (MEK) Leipzig des Landeskriminalamts sind, und eine Ärztin: Verdacht der gefährlichen Körperverletzung im Amt und des Diebstahls mit Waffen. In einer Pressemitteilung der Generalstaatsanwaltschaft heißt es, ein Neumitglied des Kommandos sei mit „Übungsmunition zur Farbmarkierung“ beschossen worden und „erlitt Hämatome, die von der vor Ort anwesenden Polizeiärztin medizinisch versorgt wurden“. Weiterhin, so die Pressemitteilung, ist die Munition für diese Schießübung „unberechtigt entwendet und verbraucht“ worden.

Januar 2022: Eklat an Dresdener Uniklinik

Rechtsextreme und Pandemieleugner:innen-Gruppen, allen voran die „Freien Sachsen“, hatten dazu aufgerufen, vor dem Universitätsklinikum in Dresden zu demonstrieren. Medizinstudent:innen formieren dagegen einen stillen Protest. Während der Aufzug der Leugner:innen, wie so oft ohne Rücksicht auf Abstände und ohne Mund-Nasen-Schutz, weitgehend unbehelligt von der Polizei laufen konnte, kam es zur Einkesselung der mit Abstand und Maske protestierenden Studierenden. 22 Personen wurde ein Bußgeld wegen Verstößen gegen die zu diesem Zeitpunkt geltende Corona-Notfallverordnung angedroht. Einige Polizist:innen wollten in den weißen Kitteln der Studierenden an diesem Abend zudem eine rechtswidrige Uniformierung erkannt haben.

November 2021: JVA-Seelsorger mit Verbindungen zum NSU

Ein Seelsorger mit Bezügen zum Thüringer Heimatschutz, einer Vorfeldorganisation des NSU, war von 2018 bis 2020 in der JVA Leipzig angestellt. Sein Name taucht sogar in Akten zum NSU auf. Das Landesamt für Verfassungsschutz informierte das Justizministerium nicht über die Personalie.

März 2021: MEK bezahlt Nordkreuz-Schießplatz mit geklauter Munition

Gegen 17 Angehörige einer Spezialeinheit wird ermittelt – wegen Diebstahl, Verstößen gegen das Waffengesetz und Bestechlichkeit. Polizist:innen des Mobilen Einsatzkommandos Dresden sollen 7.000 Schuss Munition von der Polizei entwendet haben, die sie als Gegenleistung für ein privates Schießtraining genutzt haben sollen – ausgerechnet bei der Schießanlage „Baltic Shooters“ in Güstrow, die von einem Mann mit mutmaßlicher Verbindung zum rechtsextremen und paramilitärischen Preppernetzwerk „Nordkreuz“ betrieben wird.

Nach dem Skandal um die entwendete Munition entschied das sächsische Innenministerium den Chef des LKA Sachsen, Petric Kleine und Sven Mewes, zuständig für das MEK, zwar formal zu entlassen, tatsächlich erhielten beide aber eine Beförderung. Kleine war seither für die Fachaufsicht des LKA zuständig und Mewes leitet den Führungsstab der Polizeidirektion Görlitz.

November 2020: Polizei kann sich und andere auf „Querdenken“-Demo nicht schützen

Auf einer großen Demonstration sogenannter „Querdenker“ in Leipzig, verlor die Polizei zeitweise ihr Gewaltmonopol an Neonazis und rechte Hooligans. Die Polizei und das sächsische Innenministerium stehen in der Kritik, sie hätten die Situation unterschätzt, während der Demonstration unverhältnismäßig gehandelt und seien ihrer Aufgabe, Journalist:innen zu schützen, nicht nachgekommen. Im Nachgang nannte Wöller die Demonstration „überwiegend friedlich“ – die Übergriffe auf Polizist:innen und Journalist:innen, die Anwesenheit von rechtsextremen Hooligans spricht er nicht an.

September 2020: „Schubs mich und du fängst dir ne Kugel“

Während einer Demonstration der „Seebrücke“ in Dresden bedrohte ein Polizist einen Demonstranten mit den Worten: „Schubs mich und du fängst dir ne Kugel“.

Februar 2020: Kommissaranwärter rufen „Sieg Heil“

Nachdem aus einer Wohnung in Bautzen „Sieg Heil“-Rufe zu hören gewesen sein sollen, traf die Polizei dort drei Kommissaranwärter an. Die Hochschule hat sie vom Studium ausgeschlossen. Wöller schweigt zu den Vorfällen an sächsischen Polizeischulen.

November 2019: RT zu Gast im LKA

Der russische Propagandasender RT Deutsch war im LKA Sachsen zu Besuch, um mit dem Leiter der Sonderkommission Rechtsextremismus über Linksextremismus zu sprechen. Doch nicht nur der Beamte wird als Kronzeuge herangeführt, auch ein Aktivist der „Identitären Bewegung“ kommt zu Wort, um vor den Gefahren „linksextremer Gewalt“ zu warnen. Beim LKA sieht man offenbar keine Probleme an der Berichterstattung.

August 2019: Rassismus gegen Rumänen

Im August 2019 wurde bekannt, dass die Polizei Leipzig Briefe an Hotels in der Stadt verschickte, „in dem die Polizeidirektion Leipzig darum bat, die Ankünfte von Gästen aus Rumänien zu melden“. Begründet wurde dieses, mit einer Serie von Diebstählen auf einem Festival. Das Innenministerium unter Roland Wöller machte dafür „ausnahmslos rumänischen Tätergruppierungen“ verantwortlich. Eine kleine Anfrage der Linken ergab, dass es eben dafür keine Belege gibt.

August 2018: Der Haftbefehl-Leak

Der Dresdener Justizvollzugsbeamte Daniel Z. fotografierte den Haftbefehl gegen einen mutmaßlichen Täter, der den Chemnitzer Daniel H. getötet haben soll – und leitete ihn an rechtspopulistische bis rechtsextreme Chat-Netzwerke weiter, wo er sich rasend schnell verbreitete und maßgeblich zur aufgeheizten Stimmung beitrug, die zu den rechten Schulterschluss-Großdemonstrationen in Chemnitz führte. Er wurde vom Dienst suspendiert und es liefen Ermittlungen wegen Verletzung von Dienstgeheimnissen. Z. trat derweil in die AfD ein, wo er als Held gefeiert wird.

Oktober 2018: Rassismus in Polizeiausbildung

Ein Polizeischüler aus Köln brach seine Ausbildung bei der Polizei Sachsen ab und sprach über die Gründe: Er konnte den Rassismus, der an der Polizeischule als „normal“ gilt, und zwar bei Azubis wie bei Ausbilder:innen, nicht mehr ertragen. „Zum Beispiel hat nach der Silvesternacht in Köln 2016 ein Mitschüler in unsere WhatsApp-Gruppe des Jahrgangs geschrieben: ‚Wir sind aus Cottbus, Und nicht aus Ghana, Wir hassen alle Afrikaner.‘ Wenn man solche Sprüche immer wieder hört – oder ‚Ich wähle lieber braun, als grün‘ – da ist mir die Kinnlade fast auf den Tisch gefallen und keinen anderen hat es interessiert. Das ist eben das, was ich so kritisiere. (…) Einmal im Schießunterricht hat ein Lehrer sinngemäß gesagt, wir müssten aufpassen und gut schießen lernen, schließlich seien sehr viele Gäste nach Deutschland gekommen. Das ist schon ziemlich fremdenfeindlich.“ Wöller schweigt zu den Anschuldigungen.

September 2018: Tarnname für SEK-Beamten Uwe Böhnhardt

Zwei SEK-Beamte aus Sachsen wurden zur Begleitung des Erdogan-Besuchs nach Berlin geschickt. Die beiden Polizisten waren für die Erstellung einer Tarnnamenliste verantwortlich, auf der dann der Name des NSU-Terroristen Uwe Böhnhardt eingetragen wurde. Entlassen werden die zwei verantwortlichen Polizisten dafür nicht.

August/September 2018: Polizei kapituliert vor rechtsextremem Mob

Nachdem in Chemnitz mehrere Tage Rechte, Hooligans, AfD-Abgeordnete demonstrierten und in dessen Folge es zu Ausschreitungen kam, sowieso zu mehreren Übergriffen, befand Sachsens Innenminister Wöller, dass die Polizei den Einsatz „sehr gut bewältigt“ habe. Und das, obwohl der Staat hier teilweise sein Gewaltmonopol aus der Hand gab. Allein am 27. August standen 6.000 Neonazis und rechte Hooligans nur rund 591 Beamt:innen gegenüber. Lediglich die rechtsextremen Ordner konnten die aufgepeitschte Masse etwas besänftigen und so Schlimmeres verhindern. Die Polizei befand im Nachhinein selbst, mit zu wenig Kräften vor Ort gewesen zu sein. Wöller sprach davon, man sei „überrascht“ gewesen von der Mobilisierung, die sich aber im Vorfeld praktisch öffentlich über die üblichen (Social-Media-)Kanäle angekündigt hatte. Offenbar soll der sächsische Verfassungsschutz die Chemnitzer Polizei im Vorfeld mit dem Hinweis gewarnt haben, dass deutlich mehr Rechtsextreme und rechte Kampfsportler:innen aus ganz Deutschland anreisen würden, als vom Veranstalter angemeldet worden waren. Dennoch war die Polizei nicht annähernd angemessen vorbereitet.

August 2018: Der „Hutbürger“ ist Mitarbeiter des LKA Sachsen

Im August 2018 filmten Investigativjournalisten Demonstrant:innen auf dem Weg zwischen zwei Protesten anlässlich eines Besuches von Bundeskanzlerin Angela Merkel in Dresden. Ins Bild kam in der Menschenmenge auch ein Demonstrant mit einem auffälligen Anglerhut in den Farben Schwarz-Rot-Gold, der gerade mit Fingerzeig auf den Kameramann „Lügenpresse!“ skandiert hatte. Der „Hutbürger“, wie auf Twitter so passend gehashtaggt wird, beschimpfte den Kameramann, er dürfe nicht von vorn gefilmt werden, das sei eine Straftat. Der Kameramann reagierte naheliegend: „Gehen Sie doch einfach weiter“. Doch der Mann dachte nicht daran, drohte mit Polizei.

Die stand auf der anderen Bürgersteig-Seite. Schließlich wurden die Presseausweise von Kameramann und dem Reporter überprüft – und es gab nichts zu beanstanden. Dann fiel dem Pegida-Fan im braunen T-Shirt ein, eine Anzeige wegen Beleidigung stellen zu wollen. Und ab da begann eine „polizeiliche Maßnahme“ gegen die Journalisten, die nun 45 Minuten an ihrer Arbeit gehindert wurden. Später wurde bekannt, dass der „Hutbürger“ Mitarbeiter des LKA Sachsens ist. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) stellte sich vor seine Polizist:innen und verlautbarte per Twitter: „Die einzigen Personen, die in diesem Video seriös auftreten, sind Polizisten“ und diffamierte damit das ZDF-Team. Später hat sich auch die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel geäußert und sich zugunsten der Pressefreiheit ausgesprochen.

Dezember 2017: Panzer mit Stickereien in NS-Ästhetik 

Im Dezember 2017 schaffte die sächsische Polizei Panzer an, mit bestickten Logos auf den Sitzen, die an Symbolik des Nationalsozialismus erinnerten – zunächst hieß es, das sei nur zufällig und vom Panzer-Hersteller so geplant, später musste das LKA zurückrudern und zugeben, dass sie das Logo vorgelegt hatten.

September 2017: „Polizeirassismus“

Im Leipziger Stadtteil Connewitz stand ein Graffito mit „No Cops – No Nazis – Antifa Area“. Via Twitter bezeichnete die sächsische Polizei dies als „Polizeirassismus“. Nach viel Häme in den Sozialen Medien kam es zu einer Entschuldigung.

September 2017: Rechtes Symbol an der Uniform

Im September 2017 lief ein Polizeibeamter im Dienst bei einer Demonstration gegen Rassismus in Wurzen mit dem Symbol von „Odins Raben“ an seiner Uniform herum, das auch in der rechten Szene verbreitet ist. Der Polizist wurde dafür abgemahnt – allerdings nur, weil er die „Polizeidienstkleidungsordnung“ verletzt habe. Eine politische Gesinnung spielte dabei keine Rolle.

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Eine Demonstration im Januar 2021 in Köln, um dem 2005 in Polizeigewahrsam verstorbenen Sierra-Leoner Oury Jalloh zu gedenken.

Polizeiproblem Tod in Gewahrsam

Erschossen, gefoltert, misshandelt, in den Suizid getrieben – mindestens 183 Todesfälle von schwarzen Menschen und People of Colour in Gewahrsam zählt die Recherchegruppe „Death in Custody“ seit 1990. Die Dunkelziffer dürfte wesentlich höher sein.

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Polizisten des Mobilen Einsatzkommandos (MEK), eine schwerbewaffnete „Eliteeinheit“

Polizeiproblem Einsatzkommando bezahlt Nordkreuz-Schießplatz mit geklauter Munition

Das Mobile Einsatzkommando Dresden soll entwendete Behördenmunition gegen ein nicht genehmigtes Schießtraining bei einem „Nordkreuz“-nahen Ausbilder getauscht haben. Der Vorfall schadet dem  bereits angeschlagenen Image der sächsischen Polizei noch weiter. Und er könnte erklären, warum Polizei-Patronen bei „Nordkreuz“-Mitgliedern gefunden wurden.

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