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Kommentar Demokratie muss man auch leben, Dresden

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Gegendemonstranten halten anlässlich einer als «Spaziergang» deklarierten Demonstration von Impfgegner:innen und Kritiker:innen der Corona-Maßnahmen vor dem Universitätsklinikum Dresden ein Schild mit der Aufschrift «Lass dich impfen Genossi». (Quelle: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Sebastian Kahnert)

Vor zwei Tagen veranstaltete das Kulturbüro Sachsen einen Twitter-Space, also eine Onlinediskussion, zum Thema „Die Polizei beim Coronaprotest“. Vertreter:innen der Zivilgesellschaft berichteten von ihren Erfahrungen der letzten Wochen, vor allem in Sachsen. Es war eine sehr sachliche Diskussion. Viele Kommentierungen gingen in die Richtung: Es sei offensichtlich, dass die Polizei oft personell zu schlecht aufgestellt sei, um sich den – auch gewalttätigen und rechtsextremen – Aufmärschen, die die Pandemieleugner:innen als „Spaziergänge“ verniedlichen, entgegenzustellen, sie gar zu beenden. Das kann an Fehleinschätzungen der Einsatzleitung liegen, an Personal-Engpässen wegen Krankheiten – lauter menschliche Gründe, die nichts mit eventuellen politischen Sympathien und Antipathien zu tun haben.

Polizei gegen Gegenproteste?

Was aber auch alle Sprecher:innen beobachteten: Wenn sich die Aufmärsche nicht eindämmen ließen, dann wandte sich die Polizei oft gegen die Gegenproteste. Wir sprechen von den zarten, gerade erst beginnenden Gegenprotesten zu demokratiefeindlichen, verantwortungslosen und illegalen Versammlungen, auf denen rechtsextremes Gedankengut verbreitet wird und bisweilen Gewalt ausgeübt. Von Gegenprotesten, die Menschen in einer Pandemie unter dem Risiko der eigenen Gesundheit organisieren, weil sie spüren, dass es Zeit ist für ein Zeichen: Ihr seid nicht die Mehrheit. Ihr sprecht nicht für die Mehrheit. Die vernunftbegabten Menschen können nicht länger schweigen.

Es sind Gegenproteste, die – im Gegensatz zu den Corona-Aufmärschen – in der Regel angemeldet sind und Auflagen beachten. Diese wurden etwa aufgelöst, von angemeldeten Plätzen verwiesen – meist mit der menschlich ebenfalls verständlich klingenden Begründung, man könne nicht für die Sicherheit der Protestierenden garantieren. Aber was für ein Bild wird da vermittelt? Wenn Menschen, die für Solidarität, gesellschaftliches Verantwortungsbewusstsein und für die Demokratie auf die Straße gehen, nicht geschützt werden, während die gesellschaftsgefährdenden Corona-Verbreiter:innen die Innenstädte okkupieren dürfen, ohne auf großen Widerstand zu stoßen?

Eklat an der Uniklinik Dresden

Gestern Abend kulminierte diese Praxis in Dresden in einem Eklat. Rechtsextreme und Pandemieleugner:innen-Gruppen, allen voran die „Freien Sachsen“, hatten dazu aufgerufen, vor dem Universitätsklinikum zu „spazieren“ – hierbei geht es natürlich darum, die Provokation zu erhöhen, wenn draußen Corona geleugnet wird, während drinnen Menschen daran sterben und Klinikangestellte seit Monaten im Ausnahmezustand arbeiten, um so viele Leben wie möglich zu retten – auch von Impfverweigerern und Pandemieleugner:innen.

Unter diesen Umständen wäre auch ein lautstarker, unreflektierter, emotionaler Protest von medizinischem Personal verständlich gewesen. Was in Dresden aber passierte, war: Medizinstudent:innen der Human- und Zahnmedizin der Technischen Universität Dresden organisierten einen „stillen Protest“ über Instagram. Sie trugen ihre weißen Arbeitskittel und stellten sich schützend vor das Klinikgelände. Sie trugen Schilder mit Aufschriften wie „Impfen statt Schimpfen“, „Keine Macht den Rücksichtslosen“, „Sachsen lasst Euch impfen“. Es sollte ein „stilles Zeichen gegen Wissenschaftsleugnung und rechte Hetze“ sein. Der Protest wurde kurzfristig angemeldet, alle trugen Masken und waren in Kleingruppen aufgestellt. 

Sie diskutierten mit Teilnehmer:innen der Aufmärsche, ließen sich anschreien und beschimpfen, blieben ruhig und friedlich.

Dann kam die Polizei. 

Auf Twitter beschrieben teilnehmende Student:innen, dass sie dann nicht mehr vor der Klinik stehen durften, sondern hin und her laufen sollten, bis der Protest nach einer Stunde ganz aufgelöst wurde – per Platzverweis. Einige Studierende wurden derweil von der Polizei gekesselt und ihre Personalien wurden festgestellt. Der Vorwurf: Verstoß gegen die sächsische Coronaverordnung und das Versammlungsgesetz wegen Uniformierung. Weil die Demonstrierenden weiße Kittel trugen. Ihre Arbeitskleidung. (Die Polizei dementiert das inzwischen, vgl. Tagesspiegel).

Der gesellschaftliche Schaden ist riesig

Gegen die Studierenden wurden 22 Ordnungswidrigkeiten verhängt, sie werden Unterstützung bekommen, um mit diesen umzugehen. Der gesellschaftliche Schaden dieses Polizeihandelns ist dagegen ungleich größer. Denn da kann die Polizei noch so sehr betonen, dass sie auch gegen Coronaleugner:innen vorgegangen sei, 200 Personalien festgestellt habe, einen größeren Aufmarsch durch Ansprechen „verhindert“ habe (vgl. Spiegel): Es bleibt das Bild: Medizinstudent:innen dürfen nicht für ihre Profession, für Wissenschaft und Demokratie ein Zeichen setzen, aber Coronaleugner:innen dürfen gewähren, werden von der Polizei höchstens freundlich gebeten, woanders hinzugehen, und formierten sich schlicht in anderen Teilen der Stadt neu. Darunter nach Augenzeugenberichten mindestens 600 Rechtsextreme, die für den rechtsextremen sogenannten „Trauermarsch“ am 13. Februar warben.

Gegenproteste sind zentral, um Demokratiefeindlichkeit einzudämmen

Wer sich länger mit rechtsextremen Aufmärschen auseinandersetzt, wie die Szene sie etwa immer wieder zu Anlässen in den gleichen Orten anmeldet, weiß: Die Aufmärsche enden nicht, wenn die Gesellschaft sie ignoriert, wenn die Stadt oder der Ort sie gewähren lässt. Symbolische Aktionen – Stichwort: Hinterherfegen – sind ein erster Schritt. Aber: Was die Freude am Aktionismus wirklich vergällt, sind lautstarke Gegenproteste – in Erinnerung geblieben ist mir etwa eine Nazi-Aussage zu rechtsextremen 1. Mai-Demonstrationen in Berlin, man habe keine Lust mehr, in Berlin im Kreis zu laufen, weil immer blockiert werde, sich anschreien zu lassen und wieder nach Haus zu fahren. Was ebenfalls hilft, ist eine entschlossene Verwaltung, die Auflagen gibt und durchsetzt und damit Menschen schützt, die sich von rechtsextremen Demonstrationen bedroht fühlen. 

Dresden hat eine Geschichte der unterdrückten Zivilcourage

Dresden könnte all dies wissen: Es war über 20 Jahre lang Austragungsort der größten Nazi-Demo Europas am 13. Februar. Als Stammstadt von Pegida ab 2014, die immer die schönsten Stadtplätze für ihren Islamhass und ihre Flüchtlingsfeindlichkeit bekamen. Und jetzt wieder bei den Coronaleugner:innen-Protesten. Traditionell schien es immer Dresdens Strategie zu sein, Gegenproteste nach Möglichkeit zu unterbinden, sie zumindest außer Sichtweite zu verbannen, auch zu kriminalisieren. Es wäre jetzt dringend Zeit, damit aufzuhören. Weil klar ist: so geht die Verteidigung der Demokratie nicht. Überall werden aktuell wieder Rufe laut, „die Zivilgesellschaft“ müsse sich gegen die Coronaleugnungsdemonstrationen positionieren, und das ist wahr. Um den Aufmarsch-Teilnehmer:innen zu zeigen: Ihr bildet Euch nur ein, für Mehrheiten zu sprechen. Ihr sprecht aber nur für Euch. Wenn ihr die Schutzmaßnahmen anzweifelt. Wenn ihr die Demokratie anzweifelt. Die meisten Menschen wollen das nicht. Das müssen sie auch zeigen und vertreten, im Alltag oder auch auf der Straße.

Wenn Menschen dabei aber Gefahr laufen, in polizeiliche Maßnahmen zu geraten, kriminalisiert zu werden, obwohl sie sich an alle Regeln halten, motiviert das niemanden, Zivilcourage zu zeigen, obwohl das ein wirksames, vielleicht das wirksamste Mittel gegen demokratiefeindliche Propaganda ist. Demokratie muss aber auch gelebt werden. Die Polizei Sachsen sollte ihre Rolle hinterfragen und damit anfangen.

Dresdens Polizeipräsident Jörg Kubiessa meint: „Für mich bleibt der gestrige Einsatz ein erfolgreicher Einsatz.“ (vgl. Medienservice Sachsen).

Sachsens Ministerpräsident äußert sich inzwischen dazu auf Twitter:

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