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Zwei Jahre nach Hanau Zwischen Gedenken und Vereinnahmung

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Kein Vergeben, Kein Vergesssen: Eine Gedenkkundgebung für den Anschlag von Hanau aus dem Jahr 2021
Kein Vergeben, Kein Vergesssen: Eine Gedenkkundgebung für den Anschlag von Hanau aus dem Jahr 2021 (Quelle: Nicholas Potter)

Am 19. Februar 2022 gedachten Zehntausende bundesweit an den zweiten Jahrestag des rechtsterroristischen Anschlags von Hanau. In allen größeren Städten gingen Menschen im Gedenken an Hamza Kurtović, Said Nesar Hashemi, Ferhat Unvar, Vili-Viorel Păun, Mercedes Kierpacz, Kaloyan Velkov, Fatih Saraçoğlu, Sedat Gürbüz und Gökhan Gültekin auf die Straße. Doch das ging nicht über die Bühne ohne verschiedentliche Versuche, die Erinnerung an menschenverachtende Gewalt für zweifelhafte Zwecke einzuspannen.

„Das Land Hessen hat unser Gedenken vereinnahmt“

Die Gedenkveranstaltung auf dem Hanauer Hauptfriedhof glich einem Staatsakt. Von Kameras umringt und unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen trugen die Angehörigen der Ermordeten sowie Vertreter:innen aus Politik und Zivilgesellschaft ihren Reden vor. Zu den hochkarätigen Gästen zählten Hessens Innenminister Volker Bouffier (CDU), die deutsche Innenministerin Nancy Faeser (SPD) und Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky (SPD). Angehörige der Opfer übten indes bereits im Vorfeld herbe Kritik am Ablauf der Veranstaltung. Denn wegen Covid-19-Auflagen war die Teilnahme auf 100 Personen reduziert. Die Entscheidung darüber, wer teilnehmen durfte, oblag unterdessen nicht den trauernden Angehörigen, sondern vielmehr dem Land Hessen.

Emis Gürbüz, Mutter des ermordeten Sedat Gürbüz, zeigte sich angesichts dieser Pietätlosigkeit fassungslos. Wurde hier doch Vertreter:innen der Politik der Vorrang vor trauernden Freund:innen und Angehörigen eingeräumt. Die Wünsche der Familien seien ignoriert worden. „Das Land Hessen hat unser Gedenken vereinnahmt“, sagte Gürbüz dann auch bei ihrer eigenen Rede auf dem Hauptfriedhof. Im Nachhinein beschrieb Gürbüz das Vorgehen der Behörden ebenfalls als „unverschämt“. Sie werde niemals verzeihen.

Auch die Initiative 19. Februar Hanau – ein aktivistischer Zusammenschluss der Angehörigen – unterstrich, dass der Ablauf des zentralen Gedenkaktes nicht ihren Vorstellungen entsprochen hat. „Staatsbesuche und Blitzlichtgewitter“ hätten demnach viel Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Für den Abend mobilisierte die Initiative per Twitter für eine Gedenkveranstaltung am Hanauer Holzmarkt – dieses Mal betont „ohne Gästeliste“ (Twitter).

In den sozialen Medien zeigte sich die Initiative mit Blick auf die zahlreichen politischen Versprechungen und ritualisierten Beileidsbekundungen – Nancy Faeser sprach von einer „Bringschuld“ – folgerichtig unbeeindruckt: „Wenn die Verantwortlichen glauben, dass sie dieses Mal mit ihren Besuchen darüber hinwegtäuschen können, dass sich nichts ändert, haben sie sich getäuscht“ (Twitter).

Hanaus Oberbürgermeister bemüht problematischen Vergleich

Besondere Beachtung verdient außerdem eine Äußerung von Hanaus Oberbürgermeister Claus Kaminsky, der sich bei seiner Rede auf dem Hauptfriedhof zu folgender Bemerkung hinreißen ließ: „Hier liegen auch die Toten der Bombennacht des 19. März 1945, die letztlich ebenfalls Opfer eines blinden Rassismus geworden sind, der von Deutschland ausgegangen ist.“ Unerheblich bleibt, ob Kaminsky unbeabsichtigt in ein Fettnäpfchen trat oder bewusst den Bogen überspannte. Denn in beiden Fällen offenbart sich hier eine Parallelisierung, die überaus problematisch ist.

Zur Erinnerung: Die Ermordeten von Hanau entstammen allesamt migrantischen Communitys. Viele von ihnen waren zeitlebens mit Alltagsrassismus konfrontiert. Sie fielen einem rechtsextremen Täter zum Opfer, der der deutschen Mehrheitsgesellschaft entstammt. Ihr Verlust unterscheidet sich deshalb von dem jener Deutschen, die im Zuge der alliierten Bombardierung Hanaus im Zweiten Weltkrieg den Tod fanden. Einen derartigen Vergleich zu formulieren, blendet die unzählbaren von Wehrmacht und deutscher Luftwaffe verübten Grausamkeiten aus, die dem Bombenangriff auf Hanau vorausgegangen waren. Vergessen wird hier, dass in der deutschen Mehrheitsgesellschaft bis heute ein mörderischer Rassismus und Antisemitismus um sich greift, der den Nährboden für den 19. Februar 2020 bereitet hat. Unthematisiert verbleibt aber auch die weltanschauliche Kontinuität, die nahtlos vom nazistischen Deutschland bis hin zu den NSU-Morden und den Tätern von Hanau und Halle reicht.

Kaminskys Äußerung vollzieht deshalb eine unheilvolle Täter-Opfer-Umkehr. Sie wird noch schlimmer, wenn der Oberbürgermeister im Folgesatz auch die auf dem Friedhof ruhenden Zwangsarbeiter:innen – von den Deutschen im Zuge des Krieges verschleppt und zu Tode geschunden – in seinen Vergleich mit einbezieht. Aus dieser Haltung spricht eine Schuldabwehr, die für deutsche Erinnerungskultur oftmals symptomatisch bleibt. Man will sich selbst als Opfer imaginieren und doch vergisst man hier: Sowohl im Zweiten Weltkrieg als auch am 19. Februar waren die Deutschen in erster Linie Täter und nicht Opfer.

Gedenkveranstaltungen als Bühne für antizionistische Agitation

Der rassistische Terrorakt von Hanau ereignete sich nur wenige Monate nach dem antisemitischen Anschlag von Halle. Antisemitismus hatte auch im verschwörungsideologischen Weltbild des Attentäters von Hanau seinen festen Platz. Dieser Umstand müsste eigentlich zur Solidarität zwischen jenen einladen, die von Rassismus und Antisemitismus betroffen sind. Doch nicht alle Demonstrierenden vom 19. Februar 2022 wussten um die Notwendigkeit eines solchen Schulterschlusses gegen menschenfeindliche Ideologien.

Denn aus Berlin, wo laut Polizei 6.400 und laut Veranstalter:innen sogar 10.000 Menschen zum Gedenken an Hanau auf die Straßen gingen, gelangten Aufnahmen von antisemitischen und antizionistischen Bekundungen an die Öffentlichkeit. In Kreuzberg skandierten Demonstrant:innen „Yallah Intifada – von Hanau bis nach Gaza.“ Im Wedding schwenkten Demonstrierende zudem eine Fahne der palästinensischen „Samidoun“-Bewegung. Diese Bewegung, die sich vordergründig für die Rechte von in Israel inhaftierten Palästinenser:innen engagiert, ist Teil der „Volksfront für die Befreiung Palästinas“ (PFLP) – eine Terrororganisation, die in Israel seit Jahrzehnten blutige Anschläge verübt. Die Zweitstaatenlösung im Nahostkonflikt und damit auch das Existenzrecht Israels lehnt sie vehement ab. Die israelische Regierung führt deshalb auch „Samidoun“ als terroristische Vereinigung (vgl. mena-watch).

In zweifelhafter Manier wurde das Gedenken an Hanau und der Widerstand gegen deutschen Rechtsextremismus also mit dem Kampf gegen den jüdischen Staat assoziiert. Mehr noch: Das Skandieren von derartigen Parolen und das Schwenken solcher Fahnen ist nicht zu trennen von einem Antizionismus, der von Vernichtungsfantasien gegenüber Israel zehrt und dadurch unverkennbar ins Antisemitische übergeht. Auf einer Gedenkveranstaltung für die Opfer von deutschem Rechtsterrorismus ist diese Form von politischem Engagement deshalb schlicht fehl am Platz. Diejenigen, die dies zu verantworten haben, instrumentalisieren das Gedenken an Hanau für ihre eigenen Zwecke. Dem Andenken an die Opfer und dem Kampf gegen Rechts erweisen sie so aber einen gehörigen Bärendienst.

München: Gewalttätige Auseinandersetzungen mit der Polizei

Abseits der soeben umrissenen Instrumentalisierungen überschattete in München ein gewaltvoller Zusammenstoß zwischen der Polizei und Demonstrant:innen das Gedenken. Videoaufnahmen des „Kollektiv Communique“ zeigen, wie die Polizei Teilnehmer:innen einer Kundgebung am Rande einer Baustelle gewaltsam zurückdrängte. Auch Pfefferspray kam hierbei zum Einsatz, zehn Demonstrierenden mussten die Augen ausgewaschen werden. Drei Polizist:innen wurden ebenfalls leicht verletzt (Süddeutsche Zeitung). Ein weiteres Video zeigt den beherzten Einsatz von Schlagstöcken an einer Haltestelle der Münchener U-Bahn. Zu sehen ist hier nicht zuletzt, wie die Polizei Demonstrierenden in den Rücken schlägt, die sich in den U-Bahn-Zug zurückziehen.

Die Münchener Polizei spricht in diesem Zusammenhang von einem „Zwischenfall zwischen polizeilichen Einsatzkräften und Versammlungsteilnehmern“. Einsatzkräfte seien an der Baustelle in der Luisenstraße in Bedrängnis geraten. Sie setzten demnach auf „unmittelbaren Zwang“, um sich aus der Gefahrenlage zu befreien: „Hierbei mussten auch der Schlagstock, vornehmlich zum Schieben und Drücken, und Pfefferspray eingesetzt werden.“ Demonstrierende aus dem „schwarzen Block“ sollen ferner für die Eskalation verantwortlich sein, so die Polizei. In einer Mitteilung, die der Süddeutschen Zeitung vorliegt, wies der „Antifa-Stammtisch München“ diese Behauptung entschieden zurück: „Das angebliche Bedrängen der Polizei hat nicht stattgefunden.“

Im Zuge der Auseinandersetzung an der Luisenstraße soll zudem ein 20-Jähriger mit einer Fahnenstange auf Polizeibeamt:innen losgegangen sein. Ihn soll die Polizei an der U-Bahnhaltestelle wiederentdeckt haben. Die Schlagstöcke kamen demnach bei dem Versuch zum Einsatz, den 20-Jährigen festzusetzen. Denn seine Begleiter:innen haben laut Polizeiangaben versucht, die Festnahme „aktiv zu unterbinden.“

Eine der Veranstalter:innen der Münchener Kundgebung meldete sich zwischenzeitig auf Instagram zu Wort. Sie betonte einen friedlichen Ablauf der Gedenkveranstaltung und zeigte sich schockiert angesichts der Eskalation seitens der Polizei.

 

 

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