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Antisemitismus 2016/2017 – im Rechtspopulismus und Rechtsextremismus

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Titelbild der Broschüre "Lagebild Antisemitismus 2016/2017" (Ausschnitt) (Quelle: Amadeu Antonio Stiftung)

 

Dieser Text ist ein Auszug aus dem „Lagebild Antisemitismus 2016/17“ der Amadeu Antonio StiftungMehr hier.

 

1. Rechtspopulismus

Während die neonazistische Szene in Deutschland als eindeutig antisemitisch gilt und dies auch ist (siehe 2. Extreme Rechte), ist die Einordnung beim Rechtspopulismus uneindeutiger. In Deutschland werden aktuell unter Rechtspopulismus vor allem große Teile der Partei »Alternative für Deutschland« (AfD) und die »Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes« (Pegida) subsumiert. Sowohl in der AfD als auch bei Pegida gibt es beides: klare proisraelische Statements wie auch eindeutig antisemitische. Das kann, muss aber kein Widerspruch sein.

 

Israel-Solidarität: zwischen Taktik und verzerrtem Israel-Bild

Teile der europäischen Rechtspopulist_innen vertreten einen proisraelischen Kurs, der eindeutig taktisch bestimmt ist. Hierbei sind zwei Ziele bestimmend: Israel wird zum einen als Bollwerk gegen »den Islam« angesehen. Zum anderen soll formulierte Israel-Solidarität Ausdruck dafür sein, dass man nicht antisemitisch ist, und es verunmöglichen, als rechtsextrem bezeichnet zu werden. Ein Teil der AfD-Führungsspitze befürwortet auch für die Partei solch einen proisraelischen Kurs. »Israel ist unsere Zukunft«, beschwor beispielsweise Marcus Pretzell bei einem Treffen seine Europaparlamentsfraktion ENF.

Diese Positionierung ist jedoch in der AfD bei weitem nicht konsensfähig, weder in der Parteispitze noch in der Gesamtpartei. Nach Medienberichten ist selbst die Befürwortung des Existenzrechts von Israel in der Partei nicht mehrheitsfähig.

Eine aus antiislamischen Einstellungen motivierte proisraelische Positionierung findet sich auch bei einer kleinen Minderheit von Pegida. Auf Demonstrationen wird dies häufig mit Israelfahnen zum Ausdruck gebracht. Diese Pegida-Anhänger_innen reduzieren den Antisemitismus in Deutschland nahezu auf islamisierten Antisemitismus und hoffen Muslim_innen mithilfe einer starken Rechten aus Deutschland zu vertreiben.

Die im Rechtspopulismus von einigen propagierte »Israel-Solidarität« lässt sich aber nicht allein auf taktische Überlegungen reduzieren. Manche sind durchaus überzeugte »Israel-Freunde«, deren Israelbild jedoch nicht von Israel als einem jüdischen Staat und vielseitigem Land mit heterogener Bevölkerung bestimmt ist. Israel wird statt dessen auf wenige Aspekte wie »Wehrhaftigkeit«, »klare Reaktionen auf Terrorismus« und »Bollwerk gegen den Islam« reduziert. Hierbei wird auch der knapp 17prozentige muslimische Bevölkerungsanteil gern ignoriert – da dies nicht ins eigene Israelbild passt. Viele dieser rechtspopulistischen Israelbilder beruhen zudem auf antisemitischen Varianten evangelikaler Weltbilder.

 

Viermal höherer Antisemitismus

Im gesamten rechtspopulistischen Spektrum sind jedoch die kaum verdeckten antisemitischen Haltungen dominierend. Auf Demonstrationen des Pegida-Spektrums sind des Öfteren Rufe wie »Nieder mit den Rothschilds« oder »Judenpresse« zu hören. Man beruft sich positiv auf die »Protokolle der Weisen von Zion« (siehe 9. Verschwörungsideologien), Israel wird vorgeworfen, das »größte Konzentrationslager der westlichen Hemisphäre« zu betreiben, oder der Brexit als Werk »zionistischer Banker« dargestellt.

Diesen offenen Antisemitismus findet man auch in der AfD. Wolfgang Gedeon ist das bekannteste Beispiel, aber bei weitem nicht das einzige. Der im Kasseler Kreistag sitzende Gottfried Klasen postet via Facebook, dass der Zentralrat der Juden die »politische Meinungsbildungshoheit sowie die politische Kontrolle über Deutschland« hat und alle Parteien, auch die AfD, infiltriere, um die Kontrolle über sie zu behalten. André Poggenburg, Vorsitzender der AfD in Sachsen-Anhalt, rief via Twitter dazu auf, Michél Friedmann des Landes zu verweisen. Bernd Pachal, AfD-Fraktionsvize in Berlin-Marzahn, lobt öffentlich »die kluge Politik des Reichsprotektors Reinhard Heydrich«. Heydrich ging in die Geschichte als »Schlächter von Prag« ein und war Organisator der Wannsee-Konferenz zur »Endlösung der Judenfrage«. Laut der Studie »Gespaltene Mitte — feindselige Zustände« der Friedrich Ebert Stiftung vom November 2016 stimmen Anhänger_innen der AfD klassisch antisemitischen Aussagen viermal häufiger zu als Anhänger_innen der aktuell im Bundestag vertretenen Parteien. Häufig wird kolportiert, dass die AfD vor allem im Osten ein Rechtsextremismus-Problem habe. Hier zeichnet eine Studie der Universität Hamburg ein anderes Bild. Sie ergab, dass 59% der Wähler_innen der AfD in der Hansestadt der Aussage »Auch heute ist der Einfluss von Juden groß« zustimmen, während es unter den Wähler_innen der anderen Parteien 16% sind. Beide Studien sprechen also von knapp viermal höheren Zustimmungsraten zu antisemitischen Aussagen durch Wähler_innen der AfD. Bei israelbezogenem Antisemitismus liegt die Zustimmungsrate der AfD-Anhänger_innen zwei- bis dreimal höher.

Einer der bestimmenden Faktoren für den Antisemitismus im deutschen Rechtspopulismus ist das vertretene Geschichtsbild. Dass Deutschland sich »immer noch« mit dem Nationalsozialismus auseinandersetzen muss, die Rolle des »ewigen Büßers« innehabe, hindere Deutschland daran, seine »ihm zustehende« Rolle in der Welt einzunehmen. Häufig wird dies mit antisemitischen Erklärungen begründet: Die Juden bzw. Israel würden den Holocaust instrumentalisieren, um Deutschland klein zu halten. Selbst Holocaustleugnung scheint in der AfD eher als Kavaliersdelikt zu gelten. Björn Höcke bezeichnete die notorische Holocaustleugnerin Ursula Haverbeck-Wetzel (siehe 2. Extreme Rechte) als Opfer und sieht Holocaustleugnung als »Meinungsdelikt«. Auch Alexander Gauland scheint kein Problem mit diesen Positionen zu haben. Er hielt einen Vortrag bei einem Seminartag des rechten Vereins »Staats- und Wirtschaftspolitische Gesellschaft« (SWG). Unter den Gästen des Seminars war auch Haverbeck-Wetzel.

 

Für Antisemitismus sehr anschlussfähiges Weltbild

In diesem völkisch geprägten rechtspopulistischen Weltbild gibt es nur einen »natürlichen« einheitlichen Volkswillen. Dass dieser nicht zum Tragen komme, wird auf eine mächtige, kleine Elite zurückgeführt, die bewusst und absichtsvoll gegen die Interessen »des Volkes« agiert, um eigene Machtinteressen umzusetzen. Die Elite gehe sogar soweit, das Volk durch ein anderes, also ein weniger widerspenstiges Volk als das deutsche, zu ersetzen (siehe 9. Verschwörungsideologien).

Einschätzung: Im Rechtspopulismus dominieren aktuell die Themen Geflüchtete, Islam in Europa und Gender. Das verstellt für viele den Blick auf den Antisemitismus und führt häufig zum Irrglauben, Antisemitismus spiele keine entscheidende Rolle. Antisemitismus ist aber nach wie vor eine sehr verbreitete Welterklärungsideologie, über die sich aktuell viele erklären, warum Geflüchtete und Muslim_innen nach Europa kommen oder wer hinter der vermeintlichen »Genderisierung« steckt. Daher: Eine halbwegs erfolgreiche Rechte ohne Antisemitismus wird es in Deutschland in absehbarer Zukunft nicht geben können. Dazu ist der Antisemitismus, auch aufgrund der deutschen Geschichte, zu wirkungsmächtig und handlungsleitend für sie. Dennoch spielt ein positiver Bezug auf Israel im Rechtspopulismus eine Rolle. Dieser positive Israelbezug ist oft taktisch bedingt und nicht automatisch ein Gegenbeweis zu antisemitischen Einstellungen. Klassischer Antisemitismus ist im Rechtspopulismus um ein vielfaches höher als im Gesellschaftsdurchschnitt. Im Rechtspopulismus wird der breit vorhandene Antisemitismus auch von Personen toleriert, die selbst nicht antisemitisch sind, mit dem Ziel, die Machtoption nicht aufgeben zu müssen.

2. Extreme Rechte

 

Antisemitismus ist das Kernideologem der extremen Rechten. Wie im historischen Vorbild des Nationalsozialismus ist das Ziel von Neonazis die Vernichtung aller Jüd_innen und Juden. Veröffentlichte Auflistungen von jüdischen und als jüdisch wahrgenommenen Einrichtungen zum 9. November (Berlin), Schändungen Jüdischer Friedhöfe (2016 u.a. in Konstanz, Kröpelin und Hannover) oder direkte Bedrohungen und Angriffe auf Jüd_innen und Juden (in mehreren Regionen bundesweit) sind nur einige der Ausdrucksformen des Antisemitismus von rechts. Neben dem Antisemitismus der »klassischen« Neonaziszene (siehe 8. Ländlicher Raum) spielt Antisemitismus auch in völkischen und esoterischen Kreisen eine hervorzuhebende Rolle.

Im Zentrum rechtsextremer Weltanschauung steht die Bedrohungsthese, nach der das deutsche Volk ausgetauscht, »umgevolkt«, vernichtet werden soll; es derzeit fremdbeherrscht, unterdrückt, verblendet und fehlgeleitet und daher unfrei sei und auszusterben drohe. Als die vermeintlichen Aggressor_innen gelten hierbei zum Beispiel die Bilderberger, Illuminati und weitere »Besatzer Deutschlands« und Profiteure der »BRD GmbH« (eine Umschreibung der Überzeugung, dass es sich bei der BRD um eine Verwaltungseinheit und keinen souveränen Staat handele). Diese »Aggressor_innen« sind meist austauschbar, da aber Antisemitismus den Kern dieser Weltanschauung bildet, werden fast immer »die Juden« als dahinterstehend angesehen.

 

Die völkische Offensive

Das »Volk« ist in der deutschen Rechten seit jeher die wesentliche Bezugsgröße der eigenen Agitation. Doch auch in den gesamtgesellschaftlichen Diskurs drängt die Kategorie »Volk« in den letzten Jahren wieder mit Vehemenz. Dies spiegelt sich in »Wir sind das Volk«-Rufen auf zahlreichen Demonstrationen wider und im rechten politischen Diskurs in der Forderung »völkisch« wieder positiv zu besetzen. Die »traditionelle« völkische Szene, die ihre Wurzeln im ausgehenden 19. Jahrhundert hat und dem Nationalsozialismus Vorschub leistete, wächst und vernetzt sich zudem weiter. Dies zeigten unter anderem die größeren Szenetreffen 2016 in Niedersachsen: An einem völkischen Maifest in Edendorf in der Nähe Lüneburgs nahmen rund 200 Personen teil, unter ihnen Politiker der NPD und AfD.

Bei der alljährlichen Ostertagung des »Bundes für Gotterkenntnis« (BfG) im kleinen Ort Dorfmark in der Lüneburger Heide waren auch internationale Gäste anwesend. Die Anhänger des BfG beziehen sich auf die antisemitische Ideologie Mathilde und Erich Ludendorffs. Letzterer war General im Ersten Weltkrieg und Anhänger der Dolchstoßlegende, bevor er in der Weimarer Republik führend in der völkischen Bewegung aktiv wurde und gemeinsam mit Hitler 1923 einen Putschversuch unternahm. Die Anhänger des Bundes für Gotterkenntnis werden auch »Ludendorffer« genannt. Ihre Treffen in Dorfmark werden seit einigen Jahren vom Protest verschiedener zivilgesellschaftlicher Akteure begleitet. Eine ehemalige Rednerin der Ostertagungen ist Ursula Haverbeck-Wetzel. Die notorische Holocaust-Leugnerin ist im letzten Jahr in drei Gerichtsverfahren zu jeweils mehrmonatigen Haftstrafen verurteilt worden. Selbst vor Gericht sprach die 88-Jährige noch von der »Auschwitz-Lüge«.

 

Waffenschrank statt Zaubertrank

Der hohe Grad der Vernetzung innerhalb der völkischen Szene zeigt sich am Besuch des Prozesses gegen Haverbeck von einem Mann, der Monate später selbst wegen seiner rechtsextremen Aktivitäten in den medialen Fokus rückte: dem selbsternannten Druiden »Burgos von Buchonia« (mit bürgerlichem Namen Burghard B.) Dieser hatte in sozialen Netzwerken über Jahre rassistische und antisemitische Hetze verbreitet. Als seine Gewaltaufrufe gegen die erklärten Feinde immer drastischer wurden, führte die Bundesanwaltschaft eine Razzia bei ihm und weiteren Unterstützer_innen durch und verhaftete Burghard B.  Die esoterische Szene, die in Teilen offen rechtsextrem agiert, ist oftmals einem starren Gut-Böse-Denken verhaftet, wonach das Schicksal des Individuums von einer göttlichen Instanz gelenkt sei. Durch die spirituelle Rückbesinnung auf die Natur sollen die fehlerhaften Entwicklungen der Moderne, die den Menschen von seinem »ursprünglichen«, erfüllten Leben entfernt haben, beseitigtwerden. Daher ist in weiten Teilen der Esoterikszene eine Skepsis gegenüber den Repräsentant_innen der modernen Zivilisation feststellbar. Die Vorstellung, dass der Staat und die Medien die Bevölkerung manipulieren und von ihrer spirituellen Erleuchtung fernhalten, ist weit verbreitet und anschlussfähig für antisemitische Verschwörungsideologien.

Aufschlussreich ist hier vor allem die neu-esoterische Anastasia-Bewegung, die als Sammelbecken verschiedener Esoteriker_innen fungiert und in ihren Reihen Mitglieder duldet, die offen rechtsextrem auftreten und den Holocaust leugnen.

Fazit: Antisemitismus als Kernideologem der extremen Rechten verbindet Geschichtsrevisionist_innen, NS-Apologet_innen und Holocaustleugner_innen mit Anhänger_innen von völkischen Ideologien, Verschwörungstheorien und rechter Esoterik. Antisemitische Ideologiefragmente der extremen Rechten wie etwa sogenannte »Systemkritik« sind dabei zunehmend anschlussfähig in die breite Bevölkerung.

 

Was tun?

Um Antisemitismus aus der extremen Rechten effektiv entgegenzutreten, bedarf es einer konsequenten Verfolgung strafrechtlich relevanter Äußerungen und Handlungen. Dazu gehört auch, antisemitische Äußerungen und Straftaten klar als solche zu kennzeichnen, statt sie nur unter »rechtsextrem« zu subsumieren. Auf Seiten der Zivilgesellschaft braucht es eine sichtbare Solidarisierung mit den Opfern – z.B. nach Friedhofsschändungen oder persönlichen Angriffen auf Jüd_innen und Juden vor Ort – und ein öffentliches Klima, das antisemitischen Stimmungen und Täter-Opfer-Umkehrungen klare Grenzen setzt.

 

 

Die Broschüre „Lagebild Antisemitismus 2016 / 2017“ steht unter dem Link unten zum Download bereit oder kann gedruckt bei der Amadeu Antonio Stiftung bestellt werden.

 

Das Lagebild Antisemitismus 2016/2017 ist im Rahmen der Aktionswochen gegen Antisemitismus entstanden, die gemeinsam vom Anne Frank Zentrum und der Amadeu Antonio Stiftung organisiert werden. Gefördert wurde die Broschüre durch das Bundesprogramm „Demokratie Leben!“ des BFSFJ und dem Anne Frank Zentrum Berlins.i

 

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