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Europäische Roma Armee Wir müssen Herr über unsere eigenen Narrative werden

Europäische Roma-Aktivist_innen und Künstler_innen haben es satt, dass andere das Bild von ihnen bestimmen. Sie wollen heraus aus dem Fremd-Zuschreibungs-Kosmos und nutzen die Kunst als Werkzeug der Emanzipation.   

 
Kulisse des Theater-Stücks „Roma Armee“ von den irischen Travellern Delaine und Damian le Bas (Quelle: KA)

 

 

Kunst und Kultur sind sowohl wichtige Orte des Empowerments als auch Werkzeuge für die Kommunikation mit der Mehrheitsgesellschaft. Das gilt in besonderem Maße für die größte europäische Minderheit: Rund 12 Millionen Sinti und Roma leben derzeit in Europa. Manche von ihnen am Rande der Gesellschaften und in großer Armut, andere sind vollständig in die Mehrheitsgesellschaften integriert und assimiliert.

Derzeit gibt es noch wenig geteiltes Wissen über die Kultur der Sinti und Roma. Dabei ist die Kultur für die Selbstidentifikation besonders wichtig – und sie hat besonders positiven Einfluss auf die Gesellschaften genommen, in denen Sinti und Roma leben. Über die Jahrhunderte sind viele Elemente der Roma-Kultur in die jeweiligen nationalen Kulturen eingeflossen. So prägte sie beispielsweise die ungarische Volksmusik oder den Flamenco, der heute als spanisches Kulturgut angesehen wird.

Ihre auf Diskriminierungs-Erfahrungen zurückzuführende Verschlossenheit gegenüber der Mehrheitsgesellschaft und auch das Fehlen historischer Dokumente tragen dazu bei, dass vergleichsweise wenig über die Kultur der Roma bekannt ist. Hingegen sind die Klischeebilder der Sinti und Roma in der Gesellschaft, die seit Jahrhunderten über die  Literatur und Kunst vermittelt werden, auch heute noch in den Köpfen vorherrschend, ob romantisierend von Tänzen und Röcken geschwärmt wird oder abwertend über zu viele Kinder und Wohnsitzlosigkeit geurteilt wird.

 

Herr über die eigene Geschichte sein

Dieses von nicht-Roma gezeichnete Bild über Roma ist langsam dabei, aufzubrechen. Wir erleben gerade ein Aufbegehren junger europäischer Roma, die es satt haben, dass ihre Geschichten von anderen erzählt werden. Sie wollen sich ihre eigenen Geschichten zurückholen und Herr über die eigenen Narrative werden.

Einen wichtigen Teil dieses europäischen Roma-Empowerments spielt dabei ERIAC (European Roma Institute for Art and Culture). Das europäische Roma-Institut für Kunst und Kultur hat seinen Betrieb im Sommer 2017 in Berlin aufgenommen. Im Gegensatz zur bisherigen Herangehensweise an die Lebenswirklichkeit der Sinti und Roma, in der andere über sie sprachen, bietet ERIAC den diversen europäischen Roma-Communitys eine interaktive Plattform, die von ihnen selber gestaltet wird.

Ausstellungsstück in der Galerie ERIAC. Quelle: KA

 

Was ist „die Kultur“ der Sinti und Roma?

Dabei gibt es die eine Roma-Kultur nicht wirklich. Denn genau wie die Community, zeichnet sich auch ihre Kultur durch eine große Heterogenität der verschiedenen nationalen Eigenheiten und Identitäten aus. So gibt es beispielsweise die spanischen Gitano, die rumänischen Roma und die Irish Traveller aus Großbritannien.

„Wir wollen zeigen, dass wir Europäer sind und wir einen Platz in der EU haben. Schließlich sind wir älter als die meisten europäischen Staaten“, so sagte es Dr. Anna Mirga-Kruszelnicka, stellvertretende Direktorin von ERIAC. Der Anspruch von ERIAC ist es,eine Gegenerzählung schaffen, um die eigene Kultur zu schützen und weiterzuentwickeln. Wobei sich die Ansprüche nicht nur nach außen richten, sondern auch nach innen. So geht es auch darum, Phänomene von Selbststigmatisierung, Selbstviktimisierung und Scham zu überwinden, so Mirga-Kruszelnicka.

Ein überaus gelungenes Beispiel dieses Empowerment können Berliner_innen noch bis zum 10. April 2018 im Maxim-Gorki-Theater in dem Theaterstück „Roma Armee“ sehen. Sechs der acht Schauspieler_innen dieses Ensembles sind Roma aus Österreich, Serbien, Rumänien, Großbritannien und dem Kosovo. Sie erzählen hier in schrillen Farben und poppiger Musik ihre autobiografische Geschichten.

Die Schauspielerin Sandra Selimovi? aus Österreich. Quelle: Esra Rotthoff

 

Wie etwa Mihaela Dragan aus Bukarest. Sie erzählt auf der Bühne des Gorki von ihrer Cousine, die vor wenigen Jahren in Rumänien sterilisiert wurde: „Sie kamen in ihr Dorf und boten jeder Romni, die in die Sterilisation einwilligte, siebzig Euro.“ Oder Riah May Knight, sie berichtet aus ihrer Kindheit in einem britischen Dorf von Feindbildkonstruktionen, Roma-Bildverbrennungen und Ausgrenzung.

Neben dem Fokus auf strukturelle Diskriminierung und Rassismus findet aber auch eine Emanzipation aus der Opferrolle statt. Dies gelingt eben dadurch, dass hier nicht über „die“ Roma gesprochen wird, sondern über einzelne Individuen. Denn, die einzelnen Identitäten zeichnen sich eben durch viel mehr aus, als durch eine externe wie auch interne Gruppen-Zuschreibung.

Mihaela Dragan (Rumänien) und Lindy Larsson (Schweden). Quelle: Ute Langkafel

 

Wie schon das Stück „Roma Armee“ impliziert, kann und soll Roma-Kunst als kreativer Widerstand von Roma wahrgenommen werden. Sie soll zur Überwindung „der Ignoranz gegenüber der Romani Kultur in weiten Teilen der Gesellschaft“, beitragen so Timea  Junghaus,  geschäftsführende Direktorin des jungen Europäischen Roma-Instituts für Kunst und Kultur.  

 

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