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Sömmerda Antiziganistische Stimmung gegen Geflüchtete Roma in Thüringen

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Foto: © Mut gegen rechte Gewalt (Quelle: KA)

CN: Romafeindlichkeit

Ein Mann in helllila T-Shirt steht vor einem Gebäude, einer Unterkunft für Geflüchtete im thüringischen Sömmerda, und redet samt Mikrofon in eine Kamera. Er sagt: „Dass das natürlich Menschen sind, die gegenüber solchen Gesetzen, wie wir sie in Deutschland haben, nicht wohl gesonnen sind, das dürfte eigentlich jedem einleuchten.“ In dem antiziganistischen Hetz-Video warnt der Mann vor angeblichen „Roma-Großfamilien aus der Ukraine“.

Er behauptet, die Polizei habe Geschäfte in der Gegend vor Ladendiebstählen gewarnt. Sollte es zu Diebstählen kommen, sollen die Bestohlenen nicht die Polizei rufen. Stattdessen sollen sie den entstandenen Schaden „an die Behörden“ schicken. So würden sie entschädigt werden – das behauptet der Mann in dem Video jedenfalls. Das Faktencheck-Team von Correctiv hat jedoch herausgestellt, dass an den Behauptungen rein gar nichts dran ist. Und trotzdem geht dieses Video seit Ende Juli vor allem auf Telegram in rassistischen und rechtsextremen Kreisen viral. 

Viele Nutzer*innen teilen das Video mit der Kommentierung: „150 Roma-Großfamilien bekommen Wohnungen in Sömmerda Thüringen und die Geschäfte wurden informiert, nicht bei jeder Straftat die Polizei zu rufen, sondern es nur anzuzeigen, um dann Entschädigung zu erhalten. Die laufen übrigens offiziell unter Ukrainische Flüchtlinge. Es wird alles gezahlt, was zu zahlen geht…“

In Sömmerda leben seit jeher schon Roma*. Jene von ihnen, die nicht als weiße Deutsche angesehen werden, erleben hier immer schon Antiziganismus. Seit Juli spitzt sich die Situation aber weiter zu: Es wurde bekannt, dass auch Roma-Flüchtlinge aus der Ukraine Schutz in dem 19.000 Einwohner Städtchen Sömmerda erhalten sollen. Befeuert wurde die Wut auf Roma* durch die thüringische CDU und die AfD. Es geht dabei um das Narrativ, dass sie sehr viel Unterstützung vom Staat bekommen würden.

Der Mann in dem rassistischen viralen Hit-Video ist Thomas Brauner. Der „Querdenker“ und ehemalige Busfahrer musste sich im Juni bereits wegen Nötigung und Freiheitsberaubung vor Gericht verantworten. Im September 2020 soll er bei einer Schulbusfahrt die Kinder dazu aufgefordert haben, ihre Corona-Schutzmasken abzunehmen. Er filmte den Vorgang und veröffentliche die Aufnahme später im Internet. Zudem soll Brauner im März 2021 an einer Corona-Teststation Passant*innen gefilmt haben – unter anderem eine Mutter, die ihren Sohn testen lassen wollte. Brauner spricht in dem Video davon, dass das Kind zu dem Test gezwungen würde und sich massiv wehren würde. Auch hier soll er das Video im Internet hochgeladen haben.

Das Narrativ der Roma-Großfamilien, das Brauer in seinem Video verbreitet, wurde schließlich auch von der thüringischen CDU verbreitet. Der CDU-Abgeordnete Andreas Bühl sprach beispielsweise in einem Interview von Ende Juli davon, dass „Sinti- und Roma-Großfamilien“ neue Problemlagen schaffen würden. Die Akzeptanz der Bürger für diese sei nicht gegeben. Gegenüber dem Portal in Südthüringen sagte er: „Menschen, die unsere Gastfreundschaft nicht würdigen und sich unangepasst verhalten, kann man nicht dulden. Deshalb finde ich es angemessen, darüber nachzudenken, auch wieder zu Sachmitteln, statt Bargeldauszahlungen zurückzukommen. Wir können nicht unsere Gastfreundschaft ausnutzen lassen.“

Auch die AfD griff dieses rassistische Thema gerne auf und veranstaltete schließlich eine Bürgerversammlung in Sömmerda unter dem Titel „Problemlage der ukrainischen Roma“. Hier wurde unter anderem das rassistische Stereotyp des „klauenden und bettelnden Roma“ reproduziert, der angeblich reichlich vom Staat Unterstützung bekäme.

„In sozialen Netzwerken betrieben zusätzlich bekannte Coronaleugner, Reichsbürger und rechtsgesinnte Akteure die antiziganistische Hetze“, so Dr. Guillermo Ruiz Torres von der Melde und Informationsstelle Antiziganismus (MIA) gegenüber Belltower.News. Es gibt zahlreiche diskriminierende und antiziganistische Narrativen über geflüchtete Roma* aus der Ukraine in der Region. Die meisten Fälle stellen sich als unwahr heraus.

Auch das antiziganistische Narrativ um suspekte „Roma-Großfamilien“ ist nicht haltbar. Es sind bisher mehrheitlich Frauen und Kinder nach Deutschland gekommen, so MIA gegenüber Belltower.News. Der Begriff „Großfamilie“ wird in öffentlichen Diskursen verwendet, um Minderheitsangehörigen in Verbindung mit illegalen Handlungen in Verbindungen zu bringen, ohne dass es irgendwelche Anhaltspunkte dafür gibt.  

„Diese Ungleichbehandlung ist völlig inakzeptabel“

„Während die Hilfsbereitschaft gegenüber ukrainischen Kriegsgeflüchteten groß ist, wird Roma aus der Ukraine oftmals abgesprochen, vor dem Krieg geflohen zu sein. Diese Ungleichbehandlung ist völlig inakzeptabel. Wir fordern hinsichtlich des Umgangs mit geflüchteten Roma: Gleichbehandlung und gleichen Schutz gewähren!“, so Guillermo Ruiz.

Geflüchtete Menschen gehören zu den vulnerabelsten Gruppen unserer Gesellschaft. Es ist erschreckend, dass in Zeiten vielfacher Krisen Menschen wieder nach unten treten müssen. Obwohl sie nie weg waren, brechen nun wieder jahrhundertealte Stereotype über Roma* Bahn. Mithilfe von Akteuren wie AfD und CDU wird wieder einmal das Bild der kriminellen, unzivilisierten, disziplinlosen und triebgesteuerten Roma gezeichnet, die keine Moral kennen würden. Solche rassistischen Vorurteile sind brandgefährlich, besonders, wenn sie aus dem demokratischen Spektrum kommen. Sie können von rassistische Täter*innen als Ermutigung aufgefasst werden.

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