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Antiziganismus Die EU-Politik gegen Antiziganismus muss sich grundlegend ändern

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Der Rechtsausschuss des EU-Parlamentes hat den Bericht über die EU Strategie zur Integration von Roma mit großer Mehrheit verabschiedet. (Quelle: Wikimedia / Dillif / CC BY-SA 3.0)

Romeo Franz sitzt für Bündnis 90 / Die Grünen im Europaparlament in Brüssel. Franz ist deutscher Sinto und der zuständige Berichterstatter des EU-Parlaments. Sein Bericht befasst sich mit den Bemühungen der letzten zehn Jahre und stellt ihnen kein gutes Zeugnis aus. Es ist ein Rückblick auf den „Europäischen Rahmen für nationale Roma-Integrationsstrategien“ und gleichzeitig eine Empfehlung für eine neue Rahmenstrategie der Staatengemeinschaft gegen Antiziganismus. Der Rechtsausschuss des Parlaments hat die Empfehlungen für die neue Strategie mit großer Mehrheit verabschiedet.

Ein Problem des bisherigen Vorgehens zeigt sich schon in der Sprache. „Vom Begriff ‚Integration‘ habe ich mich nicht angesprochen gefühlt. Meine Familie lebt seit 600 Jahren in Deutschland“, berichtet Romeo Franz. Er fordert, dass von Inklusion statt von Integration gesprochen wird. Und dass die Heterogenität von Menschen mit Romani-Hintergrund endlich wahrgenommen wird. Denn einerseits handelt es sich dabei um die größte Minderheit in Europa, mit etwa 6,3 Millionen Menschen in der EU und zwischen 12 und 15 Millionen in Kontinentaleuropa. Andererseits sind diese Menschen divers und unterschiedlich. Schon seit Jahrhunderten leben Menschen mit Romani-Hintergrund in Europa und pflegen zum Beispiel über 200 Dialekte der Sprache Romanes. Innerhalb der Länder haben sich einzelne Gruppen gebildet, die dort gesellschaftlich tief verwurzelt und trotzdem Diskriminierungen ausgesetzt sind.

So berichtet Franz beispielsweise von Zahlen aus Italien, wo über 80 Prozent der Mehrheitsbevölkerung Sinti*zze und Rom*nja ablehnen. Oder von einem Besuch in einem kleinen Ort in Ungarn. „Wo der Asphalt endet, leben die Roma“, heißt es in Ungarn und laut Franz bewahrheitet sich diese Redensart. Der EU-Abgeordnete berichtet über katastrophale Zustände. Siedlungen ohne fließendes Wasser oder Strom. Kinder ohne Zugang zu Bildung, die in Armut leben, wie man sie sich in Europa eigentlich überhaupt nicht vorstellen kann. 

In Rumänien gibt es eine 450-jährige Geschichte der Versklavung von Menschen mit Romani-Hintergrund, die erst im 19. Jahrhundert zu Ende ging. Konsequenzen daraus und Diskriminierungen erleben die Menschen allerdings bis heute. 

Die Situation in Deutschland ist eine andere als die in osteuropäischen Ländern und trotzdem ist auch im westlichen Teil Europas, Diskriminierung an der Tagesordnung: „Wenn man einen Job sucht, eine Wohnung, eine Ausbildung, kann man sich gedanklich verabschieden, wenn man sich als Roma outet oder geoutet wird. Egal ob man EU-Abgeordneter ist, arbeitslos, ein Bäcker oder Metzger. Man kann sich mit dem beruflichen Status nicht davor schützen. Man muss entweder sehr stark sein oder die eigene Ethnie verstecken.“

Es zeigt sich also: Es braucht neue Strategien, um EU-weit gegen Antiziganismus vorzugehen. „Wir fordern die EU Kommission und die Mitgliedsstaaten auf, einen grundsätzlich neuen Ansatz in Ihrer Roma-Politik zu verfolgen, der verbindlich und überprüfbar ist, in dem der Kampf gegen Antiziganismus zur Priorität gemacht wird und Vertreter von Romani Communities aktiv in die Entwicklung und Umsetzung der nationalen Inklusionsstrategien involviert werden. Eine weitere Priorität muss es sein, dass die nationalen Strategien auch mit den notwendigen Finanzmitteln von Seiten der EU und den Mitgliedsstaaten ausgestattet werden“, so Romeo Franz.

Das bedeutet zum Beispiel die Mitgliedsstaaten zu verpflichten, Maßnahmen und Inklusionsprojekte voranzutreiben. Bisher beruhte der „Europäische Rahmen“ auf Freiwilligkeit. Auch in Deutschland wurde er deswegen nicht vollständig umgesetzt. Der neue Aktionsplan darf nicht paternalistisch und von oben herab, schlimmstenfalls ohne Beteiligung von Sinti*zze und Rom*nja Maßnahmen festlegen. „Betroffene von Antiziganismus wurden in der Lösungskonzeption nicht mit einbezogen“, so Franz. Das muss sich ändern. Menschen mit Romani-Hintergrund sollen von Anfang teilnehmen. Es braucht aber auch ein klares Budget und vor allem Möglichkeiten dieses Budget abzurufen. Und zwar so, dass auch kleinere Organisationen und Vereine die Möglichkeit dazu haben, ohne eine eigene Person nur für bürokratische Fragen abstellen zu müssen. Franz fordert auch ein genaues Monitoring und Kontrolle darüber, wo Gelder schlussendlich hinfließen. Denn besonders in Osteuropa kommt es immer wieder zu Korruptionsvorwürfen. Mit dem Label „Roma“ kann Geld verdient werden, ohne dass die Betroffenen davon profitieren können. 

Es wäre nichts weniger als ein Paradigmenwechsel. Die Mitgliedsstaaten würden sich endlich eindeutig gegen Diskriminierung positionieren. Romeo Franz fasst die Forderungen so zusammen: „Es wird zu einer anderen Wahrnehmung der Mesnchen führen. Das Land stellt sich hinter seine Minderheiten und sagt: Ihr gehört zu uns und wer euch diskriminiert, diskriminiert auch uns.“

Foto oben: Wikimedia / Dillif / CC BY-SA 3.0

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